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verhindern und er mog die kraft der direkten demokratie stephan heller

ein mutmacher. für wegbegleiter, mandanten, freunde und kritiker.

redaktion: maximilian böltl assistenz: kathrin schneider, aaron gottardi artdirektion: christine swoboda grafik: kathrin joba lektorat: dr. jörg allgäuer die deutsche bibliothek – cip-einheitsaufnahme heller, stephan: die kraft der direkten demokratie – verhindern und ermöglichen. 1. auflage – münchen – publishinggroup – 2013 isbn 978 - 3 - 8 8 8 6 3 - 0 2 6 - 2 © 2013 publishinggroup, münchen alle rechte vorbehalten gesamtherstellung: publishinggroup, münchen druckerei: mdv maristen druck & verlag, furth printed in germany isbn 978 - 3 - 8 8 8 6 3 - 0 2 6 - 2

inhaltsverzeichnis gastbeitrag von gerhard matzig 16 1. rechtlicher rahmen 1.1. entscheidungen im öffentlichen raum 24 1.2. kommunalpolitik in den ländern 32 1.3. organe der kommunen 36 1.4. raumplanung 44 1.5. bauen in deutschland 54 1.6. privilegierte vorhaben 65 1.7. gastbeitrag von joachim herrmann 69 2. direkte demokratie 2.1. die ebenen in deutschland 77 2.2. die situation in europa 81 2.3. die themen auf kommunaler ebene 85 2.4. vom begehren zum entscheid 88 2.5. das quorum – hürde der demokratie 95 2.6. gastbeitrag von dr. ulrich schmid 97 3. die politik 3.1. motive von politikern 102 3.2. die ängste der politiker 105 3.3. wenn politiker täuschen 107 3.4. gremienarbeit: wissen oder wollen? 111 4. die gegner 4.1. entstehung 116 4.2. verhalten 122 4.3. charaktere 122 4.4. fünf fragen an arno reichert 128 5. die befürworter 5.1. entstehung 132 5.2. charaktere 134 5.3. konfrontation mit den gegnern 138 5.4. eskalation von streitthemen 144 5.5. fünf fragen an heinz mohr 146

stephan heller über 30 jahre erfahrung an der schnitt- stelle zwischen wirtschaft, politik und gesellschaft machen stephan heller zu einem der profiliertesten experten der politischen kommunikation. bereits nach seinem abitur legte er 1981 den grundstein für die heller & partner gruppe, eine der größten inhaber­ geführten kommunikationsagenturen deutschlands. ein besonderer schwerpunkt der tätig- keit betrifft die begleitung von vorhaben im öffentlichen raum. eingebettet in einem komplexen umfeld, erfordern sie einen intensiven und sensiblen dialog mit bürgern und anderen unterschied­ lichen zielgruppen. mit seiner agentur hat ­ stephan heller eine vielzahl von bürger­ entscheiden begleitet. stephan heller ist 1961 in münchen geboren und studierte jura, politik und kommunikationswissenschaften. der promovierte philosoph ist professor für politische kommunikation und pr an der hochschule mittweida.

die mehrheit interessiert nicht, wie ihre heimat in zukunft gestal- tet wird. ist das noch repräsentativ, wenn die gewählten nur mehr einen bruchteil der bürger repräsentieren? auf bundesebene ein ähnliches bild. nur noch in portugal ist der rückgang der wahlbetei- ligung ähnlich drastisch wie in deutschland. seit den 80iger jahren rund 20 prozent. der bodensatz ist hoffentlich erreicht. mit 0,7 pro- zentpunkten ist die wahlbeteiligung bei der bundestagswahl 2013 erstmals seit 1998 auf immer noch magere 71,5 prozent gestiegen. politik ist nicht attraktiv, ist nicht interessant, ist nicht verständ- lich. politiker sind unbeliebt und unglaubwürdig, sagen uns die ­sozialwissenschaftler in jeder studie. warum soll sich da ein bürger einbringen, gar mitmachen? die spd als deutschlands älteste partei hatte 1995 noch 831.000 mitglieder. 2013 sind es nur noch 474.000 genossen. trotz moderner formate, trotz offenheit und transparenz – es gelingt den volks- parteien nicht mehr, die menschen bei grundlegenden politischen fragen einzubinden. vielerorts haben parteien ernsthafte probleme ausreichend kandidaten für gemeinde-, stadtrats- oder kreistags- listen aus eigenen reihen zu rekrutieren. die im grundgesetz vorgesehene funktion als graswurzel der demo­ kratie ist längst verloren gegangen. auch in wahlkampfzei- ten bleiben parteifreunde bei ihren veranstaltungen unter sich. wie aber soll man das volk vertreten, wenn das volk nicht kommt? aber moment. das volk kommt ja doch. es gibt ihn noch den mündigen bürger. er kommt immer dann, wenn es ihn ganz persön- lich, ganz hautnah und vor der haustür betrifft. zum beispiel als im sommer 2013 eine vorortgemeinde münchens über die ansiedlung eines ikea-marktes abstimmt. da kommen 63 prozent an die urnen. da ging es mal nicht um grundlegende fragen, wie steuerpolitik, bildung oder energie. es ging um persönliche betroffenheit. keine frage – für den ort war die entscheidung wichtig. aber ist denn eine parlamentswahl nicht wichtiger? im gleichen ort lag da die wahlbeteiligung bei der letzten europawahl um 15 prozent niedriger. paradoxer wird die situation dann, wenn auch bürgerbeteiligung nur von einer minderheit angenommen wird. denn diese minderheit entscheidet dann für alle. letztlich werden so entscheidungen von mehrheitlich gewählten mandatsträgern wegdelegiert an wenige betroffene. ist das die neue idee unserer demokratie?

einfach nur dagegen gastbeitrag von gerhard matzig denkt an stuttgart. wollt ihr ein kressbronn 21 erleben?“ ­edwin weiß, der bürgermeister von kressbronn am bodensee, erinnert sich mit einem gewissen schaudern an diesen satz, der aus der mitte ei- ner bürgerinitiative stammt und noch immer wie ein donnergrollen über dem bodensee liegt. es ist nicht lange her, da war die gemein- de, die sich so sanft in die bewegt modulierte topografie im süden deutschlands schmiegt, zerrissen: der eine teil der rund 9.000 einwohner war für ein bauprojekt auf dem areal der ehemaligen bodan-werft, der andere teil war dagegen. es kam zum streit – und aus der drohung wurde realität. unter der überschrift „wie die wut nach kressbronn kam“ hieß es im oktober 2011 in der hamburger wochenzeitung „die zeit“: „die gemeinde am bodensee ist ein idyll. wegen eines bauprojekts erlebt sie nun ihr stuttgart 21.“ es ging und geht um das vier hektar große gelände der ältesten industriellen werft am bodensee. nach ihrem ende sollten hier vor allem wohnungen entstehen. der eigentümer der werft wollte ver- kaufen. dazu musste das terrain in bauland umgewandelt werden. die gemeinde war dafür, weiß spricht von einer ­„jahrhundertchance für kressbronn“. ein investor war schnell gefunden. als dessen bau- pläne öffentlich vorgestellt wurden, kam es jedoch zum eklat: so viele häuser, so nah am wasser. es sollen, so „die zeit“, sätze gefallen sein wie: „das ist monte carlo, aber nicht kressbronn.“ man kann die geschichte hier abkürzen beziehungsweise offen lassen – ohnehin wartet das immer noch umstrittene projekt weiter auf ein happy end. entscheidend aber ist die konstellation. denn sie ist sehr typisch für das deutsch- land der gegenwart. auf der einen seite: böse, raffgierige investoren, verantwortungslose industrielle und das will- fährige politische personal. scheinbar. auf der anderen seite: bürger, die sich tapfer gegen den ausverkauf ihrer heimat und die zumutung der veränderung wehren. ebenfalls scheinbar. das muster ist immer das gleiche. „der zeitgeist“, so die eingangs gastbeitrag ermöglichen  16 gerhard matzig, geboren 1963, hat rechts- und politi- sche wissenschaften sowie architektur in passau und münchen studiert. nach sei- ner tätigkeit als freier autor wurde er 1997 redakteur bei der süddeutschen ­ zeitung für das feuilleton. seit 2009 leitet er das ­ ressort „sz wochenende“.

gesellschaft (gerade in ihrer form als blaupausen für bauprojekte) zur disposition und zur diskussion stehen. doch das ist sattsam bekannt. seit mehr als sechs jahrzehnten werden in deutschland in- nerhalb des bestens bewährten systems der repräsentativen demo­ kratie die verschiedensten projekte, ob sie nun die infrastruktur, den wohnungsbau oder sonstige fragen der stadtgesellschaft be- treffen, durch mehrheiten und deren repräsentanten organisiert. doch dieser grundlegende konsens ist porös geworden. es ist, als ob das wut-männchen eine renaissance erlebt. das übrigens bruno heißt. er, weißes hemd, entspannter ge- sichtsausdruck, betritt pfeifend sein wohnzimmer, unterm arm die zeitung. nun macht er es sich in einem vanillegelben sessel be- quem, wie er für die 1950er jahre nicht typischer sein könnte. da tritt auf: die fliege mit ihrem nervtötenden herumgesumse. und jetzt geht alles sehr schnell. erst schlägt er mit der zusammengerollten zeitung nach der fliege, trifft aber nur die vase, die klirrend zer- schellt, dann rutscht er auf dem kleinen teppich aus, stößt sich die nase, erklettert den tisch, schlägt erneut nach der fliege, trifft nur die lampe, der tisch kentert – und die zurückschwingende lampe kollidiert mit dem tischbein. aus ist es mit der entspannung. das hb-männchen namens bruno war 1957 eine legendäre werbespot- erfindung der tabakindustrie. er flucht und tobt und plärrt (angeb- lich auf arabisch, das rückwärts abgespielt wird) und ist überhaupt ganz empörung und dunkelroter wutkopf – da ertönt aus dem off eine beruhigende stimme: „halt, mein freund, wer wird denn gleich in die luft gehen?“ das könnte man auch jenen menschen zurufen, die sich noch im- mer darüber streiten, wer eigentlich den begriff wutbürger erfunden habe, der es mittlerweile auch in den duden geschafft hat. dort wird der begriff als „zeitungsjargon“ beschrieben, im gebrauch für ­einen „aus enttäuschung über bestimmte politische entscheidungen sehr heftig öffentlich protestierenden und demonstrierenden bür- ger“. angeblich, so „wikipedia“, verdanke sich das wort, das man auch als unwort des jahrzehnts begreifen könnte, einem essay vom „spiegel“-autor dirk kurbjuweit, veröffentlicht im oktober 2010. in dem aufsatz mit dem titel „der wutbürger“ wird ein bestimmtes bürgerliches protest-milieu beschrieben, das spätestens seit den auseinandersetzungen um das bahnprojekt stuttgart 21 populär gastbeitrag ermöglichen  18 18

kampf der ostdeutschen gegen die diktatur) waren auch schilder mit der aufschrift „stuttgart grüßt tunis“ zu sehen – als hinweis auf den arabischen frühling. zu der zeit, als in stuttgart wieder einmal über den bahnhof gestritten wurde, wurden im arabischen raum allerdings menschen, die für eine menschenwürdige zukunft ein- traten, von panzern zermalmt. man muss schon ein sehr wütender stuttgarter sein, um nicht zu begreifen, dass ein „stuttgart grüßt tunis“-schild vor allem dies ist: ein hinweis auf die dumpfe igno- ranz seines trägers. das zeigt, wie verquer die maßstäbe sind: auf der einen seite kämpfen menschen gegen blutgetränkte diktatoren um ihre frei- heit, auf der anderen seite fürchten menschen um ihre steuergelder, die möglicherweise zu unrecht für einen bahnhof ausgegeben wer- den. deshalb hinkt auch der vergleich mit proteststürmen, wie sie sich in london 2011 auf ziemlich brutale weise ereignet haben. oder mit jenen jungen israelis, die in tel aviv auf die straße gegangen sind, um für bezahlbare wohnungen zu demonstrieren. oder mit den okkupanten in new york („occupy wall street“) oder frankfurt. oder mit jenen jugendlichen, die in madrid wegen einer jugendar- beitslosigkeit von mehr als 50 prozent um eine perspektive gerungen haben und ringen werden. all diese global ausstrahlenden proteste stehen für eine bessere zukunft und für veränderungen eines als ungerecht empfundenen finanz- und politsystems. die träger dieser proteste sind junge men- schen, die die zukunft noch vor sich haben. der deutsche wutbürger ist dagegen in seiner typologischen zuspitzung und einer studie des göttinger politikwissenschaftlers franz walter zufolge schon etwas älter; er ist überwiegend akademisch gebildet – weshalb nur sehr selten die unteren schichten der bevölkerung ihre interessen als wutbürger artikulieren; und es geht ihm oft nicht nur um eine bessere, womöglich ökologischere sowie gerechtere zukunft, also um veränderung ins positive, sondern auch um die bewahrung des status quo. wutbürger entstammen nicht selten einer saturierten, wohlha- benden gesellschaftsschicht und kämpfen infolgedessen auch um den erhalt ihrer besitzstände. in solchen fällen wettern sie zum beispiel gegen stromtrassen oder windkraftanlagen, die den wert des eigenen grundstücks beeinträchtigen. der „spiegel“ kam daher gastbeitrag ermöglichen  20 20

1. rechtlicher rahmen kaffee oder tee? u-bahn oder fahrrad? rot oder blau? das leben steckt vol- ler entscheidungen. menschen wählen – häufig unbewusst – aus mehreren alternativen aus. auch im berufsleben und in der politik hängt vieles von entscheidungen ab. privatpersonen und unternehmer sind relativ frei in ihren entscheidungen – sofern sie ihr eigenes leben oder unternehmen be- treffen. bei projekten, die folgen für andere menschen haben, ist diese ent- scheidungsfreiheit eingeschränkt. sobald durch ein vorhaben das umfeld betroffen ist, hat der staat als regelschaffende instanz ein mitspracherecht. eine privatperson möchte im eigenen garten einen baum pflanzen – diese entscheidung trifft sie nach eigenem ermessen. möchte diese person einen wintergarten bauen, ist im selben garten eine baugenehmigung der kom- mune nötig. die wahl, ob ein automobilhersteller neben kleinwagen auch vans herstellt, trifft das unternehmen selbst. sind für die mehrproduktion eine weitere produktionshalle sowie zufahrtstraßen erforderlich, entschei- det der staat mit. welche gremien und personen an solchen entscheidun- gen mitwirken, wird in diesem kapitel beleuchtet. 1.1. entscheidungen im öffentlichen raum täglich werden in der politik entscheidungen getroffen – von der bildung bis zur verteidigungspolitik. die höhe der rentenbeiträge und die förde- rung erneuerbarer energien werden im bundestag beschlossen – klar! aber was, wenn es sich um den bau einer umgehungsstraße handelt? um die renovierung einer sporthalle? oder um die ansiedlung eines möbelhauses? diese fragen können nicht vom bund beantwortet werden, lösungen fin- det man in der gemeinde selbst. politik auf lokaler ebene ist gefragt. in deutschland ist die öffentliche verwaltung in drei ebenen aufgeteilt: bund, länder und kommunen. doch: wer entscheidet was? wer delegiert an wen? und wer vollzieht die beschlüsse? „das öffentliche wohl soll das oberste gesetz sein.“ marcus tullius cicero (106 – 43 v. chr., römischer ­politiker, schriftsteller, ­ philosoph und konsul) 24 rechtlicher rahmen

[2] je nach bundesland [1] delegiert aufgaben an bundestag minister bundes- kanzler wählen bestimmt leitet wählt landtag minister minister- präsident wählen wählt bestimmt leitet leitet wählt kommunale volks- vertretung oberste ver- waltungs- instanz kommunale selbstverwaltung aufgaben nach artikel 28 abs. 2 gg freiwillige aufgaben pflichtaufgaben bundes- verwaltung aufgaben nach artikel 87 gg stadtver- ordnetenver- sammlung gemeinderat weitere bürgermeister landrat weitere schwimmbäder büchereien sportanlagen wahlen wohngeld passwesen weitere weitere bundesfinanz- verwaltung bundeswehr bundespolizei weitere bürger/innen wählen wählen landes- verwaltung aufgaben nach artikel 30, 83, 84 gg schulen und hochschulen polizei gerichte weitere öffentliche verwaltung träger und beispiele für zuständigkeiten 1 1 1 2 2 26 rechtlicher rahmen 11

die kompetenz zwischen bund, ländern und kommunen ist nicht immer eindeutig getrennt. vielfach bestehen schnittstellen. von zeit zu zeit kommt es regelrecht zum kampf um das letzte wort. beschlüsse des bundestags scheitern am bundesrat. und immer wieder wird die forde- rung laut, zuständigkeiten und ver- antwortlichkeiten zwischen bund, ländern und kommunen klar zu regeln. grundsätzlich zeigt sich das machtgerangel in zwei entgegenge- setzten richtungen: zum einen von unten nach oben, wenn die untere ebene bei entscheidungen durch die höhere ebene beeinflusst wird. eine kommune will eine lärmschutz- wand vor einer autobahn bauen, dafür ist wiederum der bund zustän- dig. beide müssen sich darüber einig werden, ob eine schutzwand gebaut wird oder nicht. kompetenzkämpfe sind aber auch von oben nach un- ten gerichtet. diese zeigen sich ins- besondere dann, wenn auf höherer ebene ein entschluss gefasst wird und die untergeordnete ebene mit dessen umsetzung betraut wird. beschließt beispielsweise das land, kleinere schulklassen einzuführen, muss die kommune mehr räume zur verfügung stellen und im extrem- fall neue schulen bauen. in diesen fällen fordert dann die kommune finanzielle unterstützung durch die übergeordnete ebene. kompetenzgerangel land kommune bund 2 2 2 1 [1] mitwirkung bei ent­ scheidungen durch die untergeordnete ebene [2] umsetzung von beschlüssen durch die untergeordnete ebene 28 rechtlicher rahmen

wie die kompetenzen umgesetzt werden, hängt letztlich vom jeweiligen rechtsakt ab. eine verordnung ist unmittelbar wirksam: der staat und alle seine gebietskörperschaften müssen sie befolgen und haben keinen gestaltungsspielraum. beispiel für eine verordnung ist das berühmte „glühbirnen-verbot“. bis zum september 2012 sollte die konventionelle glühbirne mit niedriger ­ effizienzleistung aus dem verkehr gezogen werden. tatsächlich dürfen seit diesem zeitpunkt – bis auf restbestände – diese produkte nicht mehr verkauft werden. die verbraucher sollten zum umstieg auf energiespar- lampen gedrängt werden. komplexer ist die richtlinie: die eu beschließt den gegenstand des geset- zes, die umsetzung wird an die mitgliedsstaaten delegiert. in deutschland muss nun je nach sachkompetenz entweder bund, länder, landkreis oder kommune tätig werden. innerhalb einer festgelegten umsetzungsfrist „ver- packen“ sie die europäische vorgabe in nationales recht. eine bedeutende richtlinie ist die nr. 2012 / 27: sie verpflichtet die mitgliedsstaaten zum energiesparen – 1,5 prozent des durchschnittlichen endenergieabsatzes in den jahren 2010 und 2011 soll bis 2020 jährlich eingespart werden. wie, das kann der staat selber entscheiden. indem er beispielsweise die versor- gungsunternehmen verpflichtet oder über die fiskalpolitik das verhalten der verbraucher steuert. eine bestimmte anzahl von nationalen gesetzen haben demnach einen europäischen hintergrund. studien sprechen von durchschnittlich 50 prozent aller nationalen rechtsakte, die entweder di- rekt oder indirekt über verordnungen und richtlinien durch die eu vor- gegeben werden. in der deutschen umweltgesetzgebung sind es über 80 prozent, in der wirtschaftspolitik immerhin noch 40 prozent. drei hauptakteure sind im entstehungsprozess eines solchen europäischen rechtsaktes beteiligt. die initiative kommt von der europäischen kommis- sion, sie formuliert die grundlegenden konzepte und gibt die richtung vor. wie in einem zweikammersystem verhandeln dann das eu-parlament und der ministerrat gleichberechtigt über die inhaltliche auslegung. bis auf wenige politikbereiche verfügen beide institutionen über dieselben kompetenzen. im parlament sitzen die in den mitgliedsstaaten gewählten vertreter. jedoch nicht nach nationaler zuordnung, sondern transnational nach parteifraktion. genauso formiert sich das abstimmungsverhalten: „wer aus brüssel berichtet, bewegt sich zwischen traum und bürokratie.“ wolfgang klein (*1941, deutscher journalist und ehemaliger ard-korrespondent in brüssel) 30 rechtlicher rahmen

man im wahlkampf meist vergebens. wie viele sitze ein land im europä- ischen parlament erhält, regelt der vertrag über die arbeitsweise der eu. einen einheitlichen schlüssel gibt es dabei nicht. es gilt das prinzip der degressiven proportionalität. je bevölkerungsreicher ein mitgliedsstaat, desto mehr mandate. kleinere mitgliedsstaaten sind aber im verhältnis zu ihrer gesamtbevölkerung überrepräsentiert. deutschland hat bei knapp 80 millionen einwohner mit 99 sitzen den höchsten anteil, malta mit ca. 400.000 einwohnern 6 sitze: auf einen deutschen abgeordneten kommen also rund 800.000 einwohner, auf einen maltesischen abgeordneten 67.000 einwohner. erschwerend kommt hinzu, dass mehr als 50 jahre europäische integration nicht zu einer „europäischen öffentlichkeit“ geführt haben. ­ exemplarisch dazu war der prozess rund um die europäische verfassung. die debatte dazu beschränkte sich auf einen austausch zwischen den poli- tischen eliten, ohne die menschen in den mitgliedsstaaten substanziell mit einzubeziehen. das ende vom lied war die ablehnung des verfassungsver- trages durch die bürger in frankreich und den niederlanden. neben den europawahlen verfügt die eu über eine reihe von direkt-demo­ kratischen instrumenten. damit wird eine beteiligung der bürger am politischen system in brüssel zumindest ansatzweise ermöglicht. vergli- chen mit einem staat, dessen demokratischen einbindungssystemen und ­gesetz­gebungsprozessen, hat die europäische union aber noch ­erheblichen aufholbedarf. 1.2. kommunalpolitik in den ländern von europa zurück nach deutschland. von der eu zurück zur kommune. kommunalpolitik findet vor der eigenen haustür statt. im wahrsten sinne des wortes: denn bürgersteig, schulgebäude, schwimmbad, müllabfuhr und radweg sind allesamt kommunale angelegenheiten. kommunalpolitik betrifft jeden – ganz gleich in welchem alter. sie wird daher auch als ele- mentare politik bezeichnet: beschlüsse sind für den bürger direkt erlebbar, politiker sind greifbar und entscheidungen beeinflussbar. auch die hier beschriebenen vorhaben im öffentlichen raum betref- fen zunächst kommunen. wird in stuttgart ein unterirdischer bahn- hof gebaut, wird in taufkirchen ein ikea errichtet und bewirbt sich 32 rechtlicher rahmen

formen der zusammenarbeit viele aufgaben lassen sich alleine nicht, einige aufgaben nur mit erhöh- tem finanzaufwand bewältigen. kapazität und leistungsfähigkeit der kommunen sind damit häufig eingeschränkt. bei der erfüllung ihrer auf- gaben gelangen sie an ihre grenzen – insbesondere bei aufgaben, zu de- nen die kommunen verpflichtet sind, und auch bei größeren projekten für freiwillige leistungen. formen kommunaler zusammenarbeit entwickeln sich. ein seit langem etabliertes und erfolgreiches organisationsmodell ist die kooperation von zwei oder mehreren kommunen, öffentliche leistun- gen gemeinsam zu erbringen. in zeiten, in denen städte und gemeinden zuneh­ mend unter druck stehen – kosten zu senken und gleichzeitig qua- litativ und quantitativ ihre leistung zu erbringen –, rückt interkommunale zusammenarbeit in den mittelpunkt. vorteile zeigen sich bei kosten und qualität der erbrachten leistungen. insbesondere in verdichteten räumen ergeben sich so sinnvolle synergien. eine form der zusammenarbeit bilden verwaltungsgemeinschaften. ­diese unterstützen finanzschwache kleinere gemeinden bei ihren aufgaben. ­ ohne in deren selbstverwaltungsrecht einzugreifen. 325 verwaltungsge- meinschaften gibt es aktuell in bayern, über 840 in ganz deutschland. wer- den aufgaben und befugnisse auf eine von den beteiligten neu geschaffene körperschaft des öffentlichen rechts übertragen, spricht man von einem zweckverband: gemeinden schließen sich beispielsweise zu einem wasser­ versorgungszweckverband zusammen. interkommunale zusammenarbeit gilt als kommunales erfolgsmodell. in vielen bereichen kooperieren kommunen seit jahrzehnten. überregionale gewerbeparks und infrastruktureinrichtungen wie schulen, freizeiteinrich- tungen oder abfallentsorgung werden erschlossen. auch bei gemeinsamen sozial-, jugend- und gesundheitsverwaltungen oder dienstleistungen wie feuerwehr und kindergärten kommt es häufig zu kooperationen. lohnend ist die zusammenarbeit bei zukunftsträchtigen, kostenintensiven investitio- nen, wie bei der energieversorgung. eine in jüngster zeit im münchner um- land häufig diskutierte form der energieversorgung ist die geothermie. die wärme aus der erde ist innovativ und umweltschonend, deren förderung zugleich aber kostenintensiv. gemeinsam können kommunen hierzu gesell- schaften bilden. beispielsweise schlossen sich die gemeinden aschheim, feldkirchen und kirchheim 2008 zur afk-geothermie gmbh zusammen. „gemeinsam­ keiten sucht man nicht, gemeinsam­ keiten schafft man sich.“ manfred hinrich (*1926, deutscher philosoph, philologe und schriftsteller) 34 rechtlicher rahmen

1.3. organe der kommunen in deutschland gibt es 13.000 gemeinden. mit mehr als drei millionen ein- wohnern ist berlin die größte kommunale gebietskörperschaft. die ­kleinste eigenständige gemeinde ist wiedenborstel in schleswig-holstein, hier woh- nen vier menschen. kommunen erfüllen vielfältige aufgaben. deren zu- ständigkeit und funktion werden am beispiel bayern veranschaulicht. das besondere hierbei: in bayern gibt es mit den bezirken ein organ oberhalb der kreisebene. nachfolgend werden organe der bayerischen gemeinden, landkreise und bezirke detailliert beschrieben. gemeinde die gemeinde stellt jenseits der familie die grundform der gesellschaft dar, sie nimmt wirtschaftliche, soziale und kulturelle aufgaben wahr. man unterscheidet zwischen kreisangehörigen und kreisfreien gemeinden. erstere bilden gemeinsam einen landkreis. aufgaben, welche die gemein- den zusammen erfüllen sollten, übernimmt der landkreis. im jeweiligen gemein­ degebiet nehmen kreisangehörige gemeinden die örtlichen selbst- verwaltungsaufgaben eigenständig wahr. eine besondere stellung bei den kreisangehörigen gemeinden nehmen die großen kreisstädte ein. bei den aufgaben zwischen kreisfreien und kreisangehörigen gemeinden einge- ordnet, müssen sie nur wenige aufgaben des staatlichen landratsamts erfüllen. kreisfreie gemeinden, wie beispielsweise münchen, nürnberg oder augsburg, sind selbstständiger; sie sind sozusagen gemeinde und landkreis in einem. gemeinden erfüllen eigene aufgaben, wenn sie z. b. ein schwimmbad ­ errichten oder einen spielplatz bauen. alle angelegenheiten der örtlichen gemeinschaft gehören damit zum eigenen wirkungskreis. aufgrund kom- munaler selbstverwaltung handeln die gemeinden nach eigenem pflicht- gemäßen ermessen. dabei erfüllen sie ƒ ƒ pflichtaufgaben, wie z. b. bauleitplanung, entwässerung, feuerschutz, gemeindestraßen, kindergarten, schule etc. sowie ƒ ƒ freiwillige aufgaben, wie z. b. erwachsenenbildung, kultureinrichtun- gen, sportförderung etc. schaubild „aufgaben ­ einer kommune“: s. 37 36 rechtlicher rahmen

der erste bürgermeister wird alle sechs jahre direkt von den bürgern seiner kommune gewählt. in großen kreisstädten und kreisfreien städten trägt er die bezeichnung oberbürgermeister. mindestens ein oder zwei stellvertre- ter werden durch den gemeinderat bestimmt. der bürgermeister ƒ ƒ leitet die gemeindeverwaltung, ƒ ƒ verteilt im rahmen der geschäftsordnung die geschäfte auf die bediensteten, ƒ ƒ trifft dringliche anordnungen, ƒ ƒ führt die dienstaufsicht über das personal, ƒ ƒ erledigt in eigener zuständigkeit alle laufenden angelegenheiten, ƒ ƒ ruft gemeinderatssitzungen ein und bereitet diese vor, ƒ ƒ ist vorsitzender des gemeinderats, ƒ ƒ vollzieht dessen beschlüsse und ƒ ƒ vertritt die gemeinde nach außen. der bürgermeister ist damit schnittstelle für bürger, gemeinderat, verwal- tung, lokale ­ wirtschaft und medien. das letzte wort liegt allerdings beim gemeinderat. er ist das hauptorgan der kommunalen verwaltung und wird in bayern ebenso direkt vom volk ge- wählt. das kollegiale verwaltungsorgan besteht aus dem ersten bürgermeis- ter und den ehrenamtlichen gemeinderatsmitgliedern entsprechend der einwohnerzahl. mitglieder bilden je nach parteizugehörigkeit fraktionen. der gemeinderat repräsentiert die interessen der bürger und ist damit das zentrale beschlussgremium. er ist für alle angelegenheiten zuständig, die nicht dem ersten bürgermeister allein zustehen: er überwacht die gemein- deverwaltung, verteilt die geschäfte durch die geschäftsordnung, erlässt satzungen und verordnungen und stellt ferner den haushalt auf. je nach aufgabe und bereich können zur entlastung der vollversammlung beschließende und vorberatende ausschüsse gebildet werden. erstere ver- walten bestimmte geschäftszweige oder erledigen einzelne angelegenhei- ten anstelle des gemeinderats. vorberatende ausschüsse fassen dagegen beschlussempfehlungen für den gemeinderat. schaubilder „zuständig­ keiten“ sowie „rechte und pflichten“: s. 39 und 40 38 rechtlicher rahmen

gemeinderatssitzungen sind grundsätzlich öffentlich. anders, wenn perso- nalangelegenheiten, rechtsgeschäfte in grundstücksangelegenheiten oder sonstige angelegenheiten, die der geheimhaltung unterliegen, besprochen werden. derartige themen werden in nicht öffentlichen sitzungen behan- delt. grundsätzlich nehmen nur gemeinderatsmitglieder an der beratung teil. auch sachverständige oder sonstige sachkundige personen können bei bedarf zu solchen nicht öffentlichen sitzungen hinzugezogen werden. gemeinderatsmitglieder sind verpflichtet, sowohl an den sitzungen als auch an den abstimmungen teilzunehmen. beschlüsse werden in offe- nen abstimmungen mit mehrheit der abgegebenen stimmen gefasst. eine stimmabgabe ist pflicht. im einzelfall kann ein mitglied wegen persönlicher beteiligung jedoch ausgeschlossen werden. bei stimmgleichheit wird der antrag abgelehnt. über die sitzungen werden öffentlich einsehbare nieder- schriften gefertigt – eine wichtige informationsquelle für alle interessierten. rechte und pflichten der gemeinderatsmitglieder rechte der gemeinderatsmitglieder pflichten der gemeinderatsmitglieder  teilnahme an  sitzungen  beratungen  abstimmungen  antragstellung  aufnahme der abstimmung in niederschrift  einsicht in niederschrift  kopie der niederschrift  akteneinsicht (nur im auftrag des gremiums)  entschädigung  teilnahme an  sitzungen  beratungen  abstimmungen  eidesleistung  gesetzestreue  amtspflichten  objektivität  sorgfalt  verschwiegenheit  geheimhaltung nicht öffentlich behandelter angelegenheiten 40 rechtlicher rahmen

auch bürger können mitwirken. zum einen in der bürgerversammlung: um gemeindliche angelegenheiten zu erörtern, ruft der erste bürgermeister eine bürgerversammlung ein. diese findet mindestens einmal im jahr statt – auf verlangen des gemeinderats auch öfter. weiterhin wird eine bürgerver- sammlung einberufen, wenn mindestens 5 prozent der gemeindebürger, in gemeinden mit mehr als 10.000 einwohnern mindestens 2,5 prozent, einen schriftlichen antrag stellen. vorsitzender ist der erste bürgermeister oder ein von ihm bestellter vertreter, das wort erhalten grundsätzlich nur gemeindebürger. eine bürgerversammlung kann keine beschlüsse fassen. allerdings kann sie empfehlungen beschließen, die dann der gemeinderat innerhalb von drei monaten behandeln muss. bürger können zudem mittels bürgerantrag ein thema auf die agenda setzen. sofern dies mindestens 1 prozent der gemeindebürger schriftlich fordern. ist ein antrag zulässig, muss der bürgerantrag innerhalb von drei monaten behandelt werden. alle gewalt geht vom volke aus – bei bürger­entscheiden trifft dies insbesondere zu. mittels schriftlicher ab- stimmung können so bürger anstelle des gemeinderats entscheidungen fällen – aller­ dings nur in angelegenheiten des eigenen wirkungskreises. zwei wege führen zum bürgerentscheid: zum einen ein antrag durch eine bestimmte anzahl von gemeindebürgern (bürgerbegehren), zum anderen auf beschluss des kommunalen gremiums (ratsbegehren). innerhalb von drei monaten ist der bürgerentscheid wiederum durchzuführen, nachdem die voraussetzungen vorliegen. landkreis landkreise sind analog zur gemeinde politisches zentrum für bürgerak- tivitäten und zugleich dezentrale verwaltung im staat. sie ordnen und verwalten überörtliche angelegenheiten, die über die zuständigkeit und leistungsfähigkeit der gemeinden hinausgehen. hierzu zählen der bau und die unterhaltung von kreisstraßen, krankenhäusern, schulen sowie von sozialhilfe-, jugend- und senioreneinrichtungen. mehr über bürger­ begehren und ­ bürgerentscheide: kap. 2.4. sowie 9.4. 42 rechtlicher rahmen

1.4. raumplanung stellen sie sich vor, man könnte an jedem beliebigen ort ein gebäude hin- stellen, eine fabrik errichten oder eine straße bauen: das ergebnis lässt vermutlich zu wünschen übrig. betonwüsten entstehen. die ­lebensqualität leidet. kein erstrebenswertes szenario. dank raumplanung bleibt diese vorstellung unrealistisch. deren aufgabe ist es, einen geografischen raum bestmöglich zu gestalten, zu ordnen und zu nutzen. die räumliche ent- wicklung soll also gezielt geformt werden. wirtschaftliche, rechtliche, ökologische und soziale möglichkeiten werden in einklang gebracht. kein einfaches unterfangen: auch öffentliche und private bedürfnisse müssen beachtet werden. unterschiedliche ebenen wie stadt, region oder land sollen mit unterschiedlichsten aspekten wie verkehr, umwelt, bevölkerung und wirtschaft abgestimmt werden. raumplanung: ein gebiet gestalten, ­ ordnen und nutzen. planungs- ebene institution programm, plan fach- planung bundesebene bundesministerium für raumordnung; ministerkonferenz für raumordnung bundesraumordnung einwirken auf alle ebenen bundesland oberste landes- planungsbehörde landesentwicklungs- programm, -plan region regionale planungs- gemeinschaft, regionaler präsident regionalplan (regionaler raumordnungsplan) gemeinde gemeinderat, magistrat, baudezernat stadtentwicklungs- programm, bauleitplanung (flächennutzungs- plan, bebauungsplan) haus, objekt bauherr, architekt bauplan raumplanung in deutschland ebenen, institutionen und pläne 44 rechtlicher rahmen

das raumordnungsverfahren ablaufschema unterrichtung des planungsträgers und der beteiligten durchführung durch regierung (höhere landesplanungsbehörde) beteiligte gemeinden, kreisverwaltungsbehörde u.a. formen der beteiligung schriftliche stellungnahme, ortsbesichtigung, erörterungstermin abschluss und landesplanerische beurteilung auswertung: eigene ermittlungen, stellungnahmen beurteilung: entspricht, entspricht mit maßgaben, entspricht nicht den erfordernissen der raumordnung raumbedeutendes vorhaben eines planungsträgers einleitung auf antrag oder von amts wegen 46 rechtlicher rahmen

entscheidend ist also, ob ein projekt sowohl mit der raum- als auch mit der landesplanung übereinstimmt. wie der begriff nahelegt, widmet sich die landesplanung der raumordnung auf landesebene. als zentrales ins- trument der bundesländer bestehen unterschiede zwischen den ländern. werfen wir exemplarisch einen blick auf die landes- und regionalpla- nung in bayern. exkurs: landesentwicklung in bayern die landesplanung hat eine herausragende öffentliche bedeutung – ent- sprechend ist sie in bayern eine staatliche aufgabe: das bayerische staats- ministerium der finanzen, für landesentwicklung und heimat stellt im einvernehmen mit den übrigen ressorts den landesentwicklungsplan ­bayern auf. der landtag erlässt diesen schließlich als verordnung. da- rin geregelt sind charakteristika der räumlichen ordnung und entwick- lung bayerns sowie seiner teilräume – bindend für die nachgeordneten behör­ den und öffentlichen stellen. und damit bindend für regionen und gemeinden. der landesentwicklungsplan bayern ist mittelfristig an- gelegt. er zielt auf gleichwertige lebens- und arbeitsbedingungen in allen landes­teilen sowie auf eine nachhaltige raumentwicklung. vergleichbare chancen für alle bürger sollen geschaffen werden: im verdichtungsraum wie auf dem land, im strukturstarken wie im strukturschwachen raum. arbeitsplätze, bildungs- und versorgungseinrichtungen sollen verfügbar sein. zersiedlung soll vermieden und wichtige natur- und erholungsräume erhalten werden. nicht einzelinteressen, sondern das allgemeinwohl steht im mittelpunkt. unterschiedlich strukturierte teilräume gilt es unterschied- lich zu fördern. hierzu werden folgende gebietskategorien festgelegt: landesentwicklungsplan: pläne und programme, welche die raumordnung auf landesebene ­ festlegen. verdichtungsraum ƒ ƒ stadt- und umlandbereich in verdichtungsräumen ƒ ƒ äußere verdichtungszone ländlicher raum ƒ ƒ allgemeiner ländlicher raum ƒ ƒ stadt- und umlandbereich im ländlichen raum ƒ ƒ ländlicher teilraum im umfeld der großen verdichtungsräume ƒ ƒ ländlicher teilraum, dessen ­ entwicklung in besonderem ­ maße gestärkt werden soll ƒ ƒ alpengebiete 48 rechtlicher rahmen

abweichend sind einzelhandelsgroßprojekte auch außerhalb zentraler orte zulässig. dies ist der fall für ƒ ƒ nahversorgungsbetriebe bis 1.200 quadratmeter verkaufsfläche in ­allen ­gemeinden und ƒ ƒ einzelhandelsgroßprojekte, die überwiegend dem verkauf von waren des sonstigen bedarfs dienen, nur in mittel- und oberzentren sowie in grundzentren mit bestehenden versorgungsstrukturen in dieser bedarfsgruppe. flächen für einzelhandelsgroßprojekte dürfen in städtebaulich integrier- ten standorten ausgewiesen werden, das heißt in standorten innerhalb eines baulich verdichteten siedlungszusammenhangs mit wesentlichen wohnteilen. das ziel: eine verbrauchernahe versorgung der bevölkerung ermöglichen und gleichzeitig das orts- und landschaftsbild schützen. abweichungen in städtebaulichen randlagen sind möglich, wenn ƒ ƒ das einzelhandelsgroßprojekt überwiegend dem verkauf von waren des sonstigen bedarfs dient oder ƒ ƒ die gemeinde nachweist, dass geeignete städtebaulich integrierte standorte aufgrund der topografischen gegebenheiten nicht vorliegen. dabei gilt: die funktionsfähigkeit der zentralen orte und die verbraucher- nahe versorgung der bevölkerung im einzugsbereich dürfen nicht beein- trächtigt werden. überschreiten sortimentsspezifische verkaufsflächen die landesplanerische relevanzschwelle, dürfen einzelhandelsgroßprojekte maximal 30 prozent der sortimentsspezifischen kaufkraft im einschlägigen bezugsraum ausschöpfen. wohnen in einem bezugsraum mehr als 100.000 einwohner, dürfen maximal 15 prozent ausgeschöpft werden. grundlegend ist die unterscheidung verschiedener bedarfsgruppen – nah- versorgungs-, innenstadt- und sonstiger bedarf. denn die sortimentsgestal- tung übt einen erheblichen einfluss auf die versorgungsstruktur aus. je nach bedarfsgruppe wird ein unterschiedlicher bezugsraum ­ zugrunde gelegt. sortimente der nahversorgung, vor allem lebensmittel oder ­ getränke, wir- ken sich auf die nahversorgungsstruktur in innenstädten, ortskernen und stadtteilzentren aus. sortimente des innenstadtbedarfs, unter anderem bekleidung, schuhe oder elektroartikel, beeinflussen wiederum die inner- städtischen versorgungsstrukturen. die auswirkung von sortimenten des 50 rechtlicher rahmen

æ æ energiewende: der ausstieg aus der kernenergie ist beschlossen. der ausbau erneuerbarer energien wie windkraft oder fotovoltaik ist daher zu fördern. flächen werden benötigt und stehen dann der landwirtschaft oder naherholung nicht mehr zur verfügung. konflikte entstehen. der beitrag der landesentwicklung: in der regionalplanung werden geeignete flächen für windkraft explizit ausgewiesen. energieleitungstrassen und kraftwerk- standorte werden auf ihre raumverträglichkeit geprüft. landesentwicklungspläne gelten also für das gesamte bundesland, regio- nalpläne nur für eine bestimmte region. in bayern hat die planungshoheit der gemeinden eine hohe priorität. der gesetzgeber überträgt daher die regio­nalplanung den gemeinden und landkreisen, welche sich zu regiona- len planverbänden zusammenschließen. die regionalplanung hat vielfäl­ tige aufgaben: im wesentlichen stellt sie den regionalplan auf und schreibt diesen fort. weiterhin wirkt sie bei der aufstellung staatlicher planziele, bei der bauleitplanung, bei der raumordnerischen prüfung und abstimmung von einzelvorhaben im rahmen von raumordnungsverfahren sowie bei der aufstellung von programmen und plänen der fachbehörden mit. inhaltlich ist die regionalplanung zwischen dem landesentwicklungsplan bayern und den gemeindlichen bauleitplänen einzuordnen. damit kommt ihr eine wichtige vermittlerrolle zwischen den zielen des staates zur lan- desentwicklung einerseits und den hoheitlich planenden gemeinden ande- rerseits zu. der regionalplan bestimmt die anzustrebende räumliche und strukturelle ordnung und entwicklung für die region als rechtsnorm. das ziel: verbindliche vorgaben zur entwicklung, ordnung und sicherung des raums machen. und durch regionsspezifische ziele ergänzen. der regionalplan wird von der verbandsversammlung bzw. dem regionalen planausschuss beschlossen sowie von der aufsichtsbehörde für verbind- lich erklärt. im regionalplan festgelegte ziele und grundsätze sind für alle öffent­ lichen planungsträger wie gemeinden oder fachbehörden verbind- lich. nehmen privatrechtlich organisierte einrichtungen, wie die deutsche bahn, durch ihre raumbedeutsame infrastruktur öffentliche aufgaben wahr, gilt der regio­ nalplan auch für sie – sofern die öffentliche hand eine mehr- heitsbeteiligung besitzt und das entsprechende vorhaben mitfinanziert. das beispiel des regionalen siedlungs- und freiraumkonzepts zeigt die herausragende bedeutung der regionalplanung besonders anschaulich. praxisbeispiel zu energieprojekten: s. 66 freiraum: beschreibt laut definition alle nicht durch gebäude bebauten flächen. der begriff ­ umfasst somit unter ­ anderem straßen, ­ gewässer und felder. 52 rechtlicher rahmen

1.5. bauen in deutschland bauwerke prägen epochen und geben heimat. sie sind sichtbarer ausdruck politischer entscheidungen. bauen: mittelpunkt der kommunalpolitik – ausgangspunkt der bürgerbeteiligung. weil bauen die menschen schon immer bewegt hat, wurde in deutschland ein umfassendes regelwerk dazu aufgestellt. es organisiert die verfahrensschritte und die umsetzung vor ort. in deutschland ist die zuständigkeit zweigeteilt: für das bodenrecht ist gemäß grundgesetz der bund zuständig. verfahrens- und sicherheits- rechtliche fragen regelt das jeweilige bundesland. einige beispiele veranschaulichen den unterschied: die gemeindliche bauleitplanung die kommunen verfügen in deutschland autonom über die planungshoheit. städte und gemeinden sind dafür verantwortlich, die planungsrechtlichen grundlagen in ihrem hoheitsgebiet zu schaffen und weiter zu entwickeln. vollzogen wird dies anhand der bauleitplanung, bestehend aus flächen- nutzungsplan und bebauungsplan. schaubild „bauleit­ planung“: s. 55 zuständigkeiten von bund und ländern bauordnung länder baugesetzbuch bund  bauleitplanung  zuverlässigkeit von einzelbaubehörden  abstandsflächen  brandschutz  bauaufsichtsbehörden 54 rechtlicher rahmen

die für die bebauung vorgesehenen flächen können zum einen allgemein beschrieben werden, wie z. b. wohnflächen, gemischte bauflächen, ge- werbliche bauflächen oder sonderbauflächen. weiterhin ist eine darstel- lung nach der besonderen art ihrer baulichen nutzung möglich. baugebie- te können unter anderem als kleinsiedlungsgebiete, reine wohngebiete, besondere wohngebiete, mischgebiete, kerngebiete, gewerbegebiete oder industriegebiete gekennzeichnet sein. der plan enthält hinweise auf bestehende, auf fachgesetzlichen bestim- mungen beruhende planungen, die sich auf die städtebauliche entwicklung einer gemeinde auswirken. dem flächennutzungsplan ist eine begrün- dung beizufügen – ziele, zweck und wesentliche auswirkungen werden hier aufgeführt. wer also baurecht bekommen oder verhindern will, sollte seine interessen bereits in die flächennutzungsplanung einbringen. der flächennutzungsplan wird in einem gesetzlich geregelten verfahren aufge- stellt – sowohl bürger als auch träger öffentlicher belange werden beteiligt. rechtswirksam wird der plan erst dann, wenn er von der verantwortlichen behörde genehmigt worden ist. der flächennutzungsplan ein beispiel wohngebiet mischgebiet gewerbegebiet flächen für forstwirtschaft flächen für landwirtschaft 56 rechtlicher rahmen

æ æ einfache bebauungspläne erfüllen weder die voraussetzungen eines qualifizierten noch eines vorhabenbezogenen bebauungsplans. grundsätz- lich wird die bauplanungsrechtliche zulässigkeit von bauvorhaben daher nicht abschließend geregelt. konkretisiert wird der bebauungsplan anhand der baunutzungsverord- nung als regelungsinstrument für art und maß der baulichen nutzung, bauweise oder überbaubare grundstücksflächen. die kommune kann aus zehn typen für baugebiete wählen: das maß der baulichen nutzung steuert das mögliche bauvolumen: ƒ ƒ grundfläche (gr): anteil des grundstücks, der von baulichen anlagen überdeckt werden darf ƒ ƒ grundflächenzahl (grz): quadratmeter grundfläche je quadratmeter grundstücksfläche ƒ ƒ geschossfläche (gf): bebaute fläche ermittelt anhand der außenmaße in allen vollgeschossen ƒ ƒ geschossflächenzahl (gfz): verhältnis der gesamten geschossfläche aller vollgeschosse der baulichen anlagen zur fläche des baugrundstücks ƒ ƒ vollgeschosse (z): zahl der vollgeschosse ƒ ƒ kleinsiedlungsgebiete ƒ ƒ reine wohngebiete ƒ ƒ allgemeine wohngebiete ƒ ƒ besondere wohngebiete ƒ ƒ dorfgebiete ƒ ƒ mischgebiete ƒ ƒ kerngebiete ƒ ƒ gewerbegebiete ƒ ƒ industriegebiete ƒ ƒ sondergebiete 58 rechtlicher rahmen

die öffentlichkeit wird in zwei schritten ganz konkret an der planung betei- ligt. bürger können ihre anregungen und einwände zunächst nach vorlage des plankonzeptes im rahmen eines aufstellungsbeschlusses einbringen. ziele und zwecke sowie voraussichtliche auswirkungen der planung wer- den dargestellt. bürger können sich nun äußern, beraten und einbringen. auch behörden und sonstige träger öffentlicher belange, deren aufgaben- bereich durch die planung betroffen sein kann, werden frühzeitig integriert. stellungnahmen der frühzeitigen bürger- und behördenbeteiligung werden erörtert und der bauleitplan gegebenenfalls überarbeitet. im anschluss wird auf grund eines auslegungsbeschlusses der entwurf des bauleitplans inklusive stellungnahmen für einen monat öffentlich ausge- legt. nun holt die gemeinde wiederum stellungnahmen der behörden und sonstigen trägern öffentlicher belange ein. hierzu haben die fachstellen einen monat zeit. das kommunale gremium prüft nun deren bedenken und wägt diese untereinander und gegeneinander ab. es entscheidet, ob die beabsichtigte bauleitplanung beibehalten, geändert oder eventuell sogar verworfen wird. abschluss bildet bei einem flächennutzungsplan ein feststellungsbe- schluss, bei einem bebauungsplan ein satzungsbeschluss durch das zu- ständige gemeindliche gremium – in der regel der gemeinderat. vier wo- chen vor dem beschluss können hier die bürger ein zweites mal mitwirken. häufig bedarf es vor inkrafttreten zusätzlich einer genehmigung der regie- rung oder des landratsamts. mit öffentlicher bekanntmachung der geneh- migung wird der flächennutzungsplan bzw. der bebauungsplan wirksam. generell ist die frühzeitige beteiligung gesetzlich nur vage definiert. viele kommunen vernachlässigen diese phase der mitbestimmung. einwände und proteste werden dann erst in der förmlichen öffentlichen auslegung offenkundig. dann ist die planung im detail ausgearbeitet, investoren und entscheider haben sich festgelegt. streit entsteht. der perfekte nährboden für verhinderung und verzögerung. daher gilt: frühzeitig öffentliche inte- ressen in die planung integrieren. ablaufschema „bauleit­ planung“: s. 62 und 63 60 rechtlicher rahmen

[1] behörden und sonstige träger öffentlicher belange [2] kann auch parallel zur öffentlichen auslegung nach § 3 abs. 2 durchge­ führt werden (§ 4a abs. 2) [3] gilt nur für behörden [4] bürger können jeweils einen antrag auf bürger­ entscheid stellen – das ­ sogenannte bürgerbegeh­ ren. detaillierte informa­ tionen hierzu: kap. 2 abkürzungen: baugb – baugesetzbuch fnpl – flächennutzungsplan bpl – bebauungsplan ablaufschema zur bauleitplanung nach baugb aufstellungs- beschluss gemeinde planer behörden nachbargemeinden öffentlichkeit bestandsaufnahme, bestandsanalyse, ziele / alternativen bekanntmachung der auslegung § 3 abs. 2 überarbeitung des vorentwurfs entwurf mit fort- schreibung des umweltberichts vorentwurf mit umweltbericht § 2a alternativ alternativ alternativ frühzeitige behörden- beteiligung „scoping“ § 4 abs. 1 frühzeitige beteiligung der öffentlichkeit § 2 abs. 1 bekanntmachung § 2 abs. 1 behörden- beteiligung § 4 abs. 2 abstimmung mit nachbargemeinden § 2 abs. 2 billigungs- und auslegungs- beschluss 62 rechtlicher rahmen

das planfeststellungsverfahren für großprojekte hat der gesetzgeber eine sonderform der bauleitplanung eingeführt: das planfeststellungsverfahren. dies wird für folgende vorhaben angewandt: das aufstellungsverfahren für einen bebauungsplan ähnelt zwar dem plan- feststellungsverfahren – der unterschied liegt jedoch in der gesetzlichen zuordnung. der beschluss des bebauungsplans stellt eine satzung dar, das planfeststellungsverfahren ist dagegen ein verwaltungsakt. haupt- unterschied zum gewöhnlichen bauleitplanverfahren besteht damit in der umfassenden beteiligung von bürgern und behörden, deren belange durch das vorhaben betroffen sind. bürger und betroffene sollen bereits bei grundsatzfragen mitreden können. rechtzeitig erhobene einwendun- gen werden, ähnlich einem förmlichen verwaltungsverfahren, in einem mündlichen termin gemeinsam erörtert. dieser erörterungstermin ersetzt die einfache anhörung des bauleitplanverfahrens. ziel dieser sonderform ist eine möglichst umfassende berücksichtigung aller auswirkungen ­eines großprojektes auf die region. planfeststellungsbehörden sind nicht die kommunen, sondern die regierungen der einzelnen länder. oft stellen sich ganze städte und gemeinden gegen großprojekte. weil der planungsinhalt beeinträchtigt. oder weil das planungsverfahren bevormundet. planfeststellungsverfahren können in einigen bundesländern auch gegen- stand kommunaler bürgerentscheide sein. dies entfaltet für die regierun- gen als durchführende behörden aber keinerlei bindungswirkung. bürger und betroffene werden also stärker eingebunden als im regelfall der bau- leitplanung. gleichzeitig können sie aber nicht unmittelbar darüber abstim- men. mitreden, aber nicht mitentscheiden. eine große herausforderung für investoren und kommunikatoren. ƒ ƒ bundesstraßen oder bundesautobahnen ƒ ƒ bundeswasserstraßen ƒ ƒ eisenbahn-verkehrsanlagen ƒ ƒ flughäfen und luftverkehrsanlagen ƒ ƒ mülldeponien ƒ ƒ betriebsanlagen für straßenbahnen ƒ ƒ bergbauliche vorhaben ƒ ƒ gewässerausbau und deichbau ƒ ƒ endlagerstätten für radioaktive abfälle „flughäfen sollten orte der ruhe sein, leicht zu verstehen und einfach zu gebrauchen.“ norman foster (*1935, ­ britischer architekt) 64 rechtlicher rahmen

ƒ ƒ energetische nutzung von biomasse im rahmen eines betriebes, ƒ ƒ erforschung, entwicklung oder nutzung der kernenergie zu friedlichen ­ zwecken oder der entsorgung radioaktiver abfälle, ƒ ƒ nutzung solarer strahlungsenergie in, an und auf dach- und außen- wandflächen von zulässigerweise genutzten gebäuden (sofern die ­ anlage dem gebäude baulich untergeordnet ist) und ƒ ƒ wenn sie wegen ihrer besonderen anforderung an die umgebung, ­ wegen ihrer nachteiligen wirkung auf die umgebung oder wegen ihrer besonderen zweckbestimmung nur im außenbereich ausgeführt ­werden sollen. privilegierte vorhaben sind zulässig, wenn ihnen keine öffentlichen belange entgegenstehen und eine ausreichende erschließung gewährleistet ist. eine gemeinde kann daher trotz privilegierung vorhaben ablehnen. die grenzen sind eng, da gerade projekte im außenbereich ermöglicht werden sollen. bayerns bürger werden zu energie­ gewinnern – eine initiative des bayerischen wirtschaftsministe- riums macht‘s möglich. „bürger- energie­ anlagen“ wurden ins leben gerufen: anlagen zur nutzung er- neuerbarer energien, an denen sich bürger beteiligen – im sinne eines unternehmens oder finanziell. im zusammenhang mit erneuerbaren energien sind wind- und wasser- kraftwerke privilegiert – wie das beispiel der windenergieanlagen im mittelfrän­ kischen diespeck ver- anschaulicht. 99 bürger aus der um- gebung schlossen sich hier als kom- manditisten zusammen – sie sind energiegewinner. seit oktober 2009 erzeugen dort zwei windenergie­ anlagen strom für 3.500 haushalte. bei privilegierten vorhaben war es der gemeinde diespeck erlaubt, bestimmte flächen als konzentrati- onsfläche darzustellen, wie hier als sondergebiet windenergie. dann können die windräder nur dort und generell nicht im übri- gen außenbereich gebaut werden. die privilegierung ist also einge- schränkt. ist dies der fall, muss der windenergienutzung im plange- biet in substanzieller weise raum geschaffen werden. wie dies in ­ diespeck der fall war. gewinner: windenergieanlagen in diespeck 66 rechtlicher rahmen

zu dieser gruppe zählen insbesondere vorhaben, die den nachfolgenden zielen dienen: ƒ ƒ nutzungsänderung wegen strukturwandel, ƒ ƒ neuerrichtung und erweiterung von wohnhäusern, ƒ ƒ wiederaufbau zerstörter gebäude, z. b. bei brand, naturkatastrophen, ƒ ƒ weiterverwendung prägender gebäude, z. b. alte bauernhöfe, wind- und wassermühlen, historische siedlungen, und ƒ ƒ privilegierte erweiterungsbauten. einzelne betriebsteile privilegierter vorhaben können durch ihre be- triebliche zuordnung teilhaben, sozusagen von ihr „mitgezogen“ werden. ­ „mitgezogene“ privilegierungen zeigen sich häufig in der landwirtschaft. ein landwirt möchte auf seinem hof gästezimmer vermieten. steht die landwirtschaftliche tätigkeit weiter im vordergrund, kann die vermietung von gästezimmer ebenso an der privilegierung teilnehmen – obwohl sie bei einzelbetrachtung landwirtschaftsfremd wäre. wichtig: der nicht landwirt- schaftliche betriebszweig muss dem landwirtschaftlichen betrieb zu- und untergeordnet sein. das typische erscheinungsbild eines landwirtschaftli- chen betriebes muss erkennbar sein. dann sind „ferien auf dem bauernhof“ baurechtlich unproblematisch. 68 rechtlicher rahmen

 bereits während seines studiums engagierte sich herrmann in der politik. seit 1994 ist er abgeordneter im bayerischen landtag und war von 2003 bis 2007 vor­ sitz­ ender der csu-fraktion. ein „mehr“ an öffentlichkeitsbeteiligung bei entscheidungen von politik und verwaltung trägt zu einer besseren aufklärung der bür- ger, zu mehr transparenz und damit auch zu einer höheren akzep- tanz und legitimation der planungsergebnisse bei. dies stärkt nicht nur unsere demokratie, sondern kann verfahren sogar effizienter machen: wenn kontroverse interessen frühzeitig bekannt werden, kann das entscheidungsträgern helfen, geeignete änderungen oder anpassungen vorzunehmen, um konflikte auszuräumen oder zu- mindest abzumildern. frühzeitige information und betei- ligung können also befrieden und aufklären. sie leisten so einen beitrag zur verfahrensbeschleunigung. jahrelange rechtsstreitigkeiten und vergeblicher planungsaufwand für letztlich gescheiterte vorhaben lassen sich so vermeiden. mandatsträger müssen umstrittene projekte vor der öffent- lichkeit nachhaltiger vertreten. klare positionen zu bezie- hen und für die eigenen ideen verstärkt zu werben – das fördert die demokratie. und das fördert das interesse unserer bürger für örtliche belange, weil sie bei konkreten sachfragen mitwirken kön- nen. werden wichtige akteure eingebunden und mit in die verant- wortung genommen, so bedeutet dies einen gewinn an ressourcen und ideen. das spektrum der lösungen, die in bürgerbeteiligungs- verfahren gefunden wurden, überrascht oftmals selbst experten, wissenschaftler und behörden. die akzeptanz kann sich erhöhen, wenn eine entscheidung nicht der verwaltung oder dem parlament, sondern direkt dem volk über- antwortet ist. auch unpopuläre entscheidungen werden von der be- völkerung leichter akzeptiert, wenn diese durch eine ausreichende information über die maßnahme aufgeklärt wurde oder entschei- dungen hinreichend vermittelt werden. die praxis zeigt, dass die weit verbreitete angst vor einer blockade von großprojekten durch bürgerentscheide unbegründet ist. bürgerentscheide führen keines- wegs pauschal zur verhinderung von projekten: es gibt eine vielzahl von beispielen, bei denen sich eine demokratische mehrheit per bür- gerentscheid für ein projekt ausgesprochen hat. vielfach machen bürgerinitiativen auch eigene lösungsvorschläge. bürgerliches en- gagement darf nicht mit modewörtern wie „wutbürger“ diffamiert werden. eine demokratie braucht „aktivbürger“, die sich konstruk- tiv in die gesellschaft einbringen und aktiv nach lösungen suchen. gastbeitrag rechtlicher rahmen  70

intensiv in die planung des großvorhabens einbezogen wurden und die rechtlichen entscheidungen über die zulässigkeit des projekts getroffen und gegebenenfalls von gerichten bestätigt wurden, muss die umsetzung dann auch möglich sein und das ergebnis respektiert werden. in bayern gibt es eine sehr starke tradition von volksentschei- den auf landesebene und von bürgerentscheiden auf kommunaler ebene. diese elemente direkter demokratie haben die bürgergesell- schaft gestärkt, eine neue politische kultur in den gemeinden aufge- baut und zahlreiche chancen auch für politiker und mandatsträger eröffnet. das von manchem befürchtete chaos ist nicht eingetreten. bürgerbegehren und bürgerentscheid haben vielmehr zu mehr bür- gernähe in der kommunalpolitik geführt. bei projekten, die die öffentliche hand selbst plant, geht es im- mer auch um die verwendung von steuergeldern – insoweit ist stets eine gewisse betroffenheit aller bürgerinnen und bürger gegeben. daher muss die öffentliche hand im hinblick auf die beteiligung von bürgern besonders vorbildlich agieren. nach diesem grundsatz plant die staatsbauverwaltung im bayerischen staatsminis- terium des innern schon seit jahrzehnten und verfügt mitt- lerweile über einen reichen praktischen erfahrungsschatz im bereich der beteiligungsverfahren bei der umsetzung von städte- und straßenbauprojekten. auch private träger und investoren tun gut daran, stan- dards bei der offenlegung von plänen und informationen über das vorhaben anzustreben, die über die gesetzlich geregelten auslegungs- und beteiligungspflichten hinausgehen. so werben viele investoren heute schon frühzeitig für die akzeptanz ihres vorhabens und versuchen bei sich abzeichnenden konflikten, ent- sprechend nachzubessern. während man in den 1980er jahren noch argwöhnisch auf bündnisse zwischen politik und verbänden oder auf verbandsklagen blickte, fällt das fazit privater vorhabensträger und der wirtschaft heute eindeutig aus: der dialog mit bürgern, kommunen oder verbänden ist zwar aufwendig und langwierig, aber er zahlt sich aus. immer mehr unternehmen sehen ein, dass es in ihrem ureigenen interesse liegt, aktiv den dialog mit der öffent- lichkeit und betroffenen zu suchen, um widerständen gegen das projekt frühzeitig entgegenzuwirken.  im oktober 2007 ­ wurde er als nachfolger von günther beckstein ­ bayerischer innenminister. 2010 wurde herrmann mit dem bundesverdienstkreuz am bande ausgezeichnet. gastbeitrag rechtlicher rahmen  72

merken  ermöglichen entscheidungen im öffentlichen raum  bei projekten, die auswirkungen auf das direkte umfeld besitzen, ist der staat als regelschaffende instanz beteiligt.  die öffentliche verwaltung gliedert sich auf drei ebenen: bund, länder und ­ kommunen besitzen verschiedene aufgaben und kompetenzen.  in der praxis bestehen schnittstellen zwischen den zuständigkeiten: kompetenz- gerangel zeigt sich von unten nach oben sowie in umgekehrter richtung.  die eu wirkt häufig bei politischen entscheidungen mit: ausschließende, geteilte und unterstützende zuständigkeiten bestehen. der rechtsakt – als verordnung oder richtlinie – legt das ausmaß der umsetzung fest. kommunalpolitik in den ländern  kommunen haben das recht zur selbstverwaltung.  weiterhin gilt das subsidiaritätsprinzip: die übergeordnete ebene greift nur ein, wenn kapazitäten der untergeordneten ebene nicht ausreichen.  verschiedene formen kommunaler zusammenarbeit entstehen, um aufgaben ­ effektiver und effizienter zu erfüllen.  eine gemeinde wird durch organe handlungsfähig. der bürgermeister über- nimmt repräsentations-, leitungs- und verwaltungsaufgaben. der gemeinderat als hauptorgan der verwaltung trifft zentrale beschlüsse. raumplanung  raumplanung soll einen geografischen ort gestalten und so die räumliche ­ entwicklung gezielt fördern.  grundsätze sind im raumordnungsgesetz des bundes geregelt.  im rahmen des raumordnungsverfahrens wird geprüft, ob überörtlich bedeutsame vorhaben mit der raumordnung konform sind.  die bundesländer regeln mit dem landesentwicklungsplan die räumliche ord- nung und entwicklung der länder – verbindlich für regionen und gemeinden.  in der praxis fehlt oftmals eine verbindliche wirkung der raumplanung. bauen in deutschland  die planungshoheit liegt bei den kommunen. diese wird anhand der bauleitpla- nung – bestehend aus flächennutzungsplan und bebauungsplan – vollzogen.  während der flächennutzungsplan für das gesamte gemeindegebiet gültig und unverbindlich ist, beschränkt sich der bebauungsplan auf einzelne gemeinde­ gebiete. er ist damit rechtsverbindlich. die öffentlichkeit wird gezielt integriert.  mit dem planfeststellungsverfahren gibt es für großprojekte eine sonderform der bauleitplanung. privilegierte vorhaben  für bauvorhaben im außenbereich – flächen ohne qualifizierten bebauungsplan und außerhalb bebauter ortsteile – bestehen je nach vorhabenszweck und ­ privilegierung unterschiedliche regelungen. www.verhindern-ermoeglichen.de 74

2. direkte demokratie 17. juni 2012: ein warmer sommertag. münchen strahlt. die menschen genießen das leben. gleichzeitig stoppen weniger als 3 prozent aller ein- wohner der landeshauptstadt den ausbau eines internationalen luftver- kehrs-drehkreuzes: zwischen befürwortern und gegnern liegen nur knapp 15.000 stimmen. in münchen leben 1,4 millionen menschen – in bayern 12 millionen. dieses beispiel zeigt, welche dramatischen auswirkungen direkte demokratie haben kann. ist es gerecht, wenn wenige aktive über die zukunft der mehrheit bestimmen? sind die anderen selbst schuld, weil sie daheim geblieben sind oder einen schönen tag am tegernsee hatten? sind großprojekte in deutschland überhaupt noch mehrheitsfähig? fehlt den politikern der mut zu eigenen entscheidungen? fragen, auf die es noch keine eindeutige antwort geben kann. klar ist nur: direkte demokratie kommt. wo sie möglich ist, wird sie künftig noch stär- ker genutzt. anderswo wird sie neu eingeführt. für alle bereiche. denn politiker fürchten widerstände. und wo widerstände wachsen, ist die ver- lagerung der entscheidung auf „das volk“ bequem und beliebt. vergessen wird dabei nur, wofür wähler eigentlich an wahlen teilnehmen. damit die gewählten entscheiden. oder? „zu einem mündigen volk gehört, dass man die entscheidung zu einem gewissen teil auch dem volk überlässt.“ günther beckstein (*1943, ehemaliger minis­ terpräsident in bayern) ebenen der direkten demokratie in deutschland keine direkte mitwirkung volksbegehren, volksentscheid bürgerbegehren, bürgerentscheid bund land kommune direkte demokratie 76

volksbegehren sind in bayern seit 1946 möglich. dabei sind drei hür- den zu nehmen: die zulassung des antrages, ausreichende unter- schriften im volksbegehren und ei- ne mehrheit beim volksentscheid. zunächst müssen 25.000 wahl- berechtigte bayern das begehren unterschreiben, dann wird es als antrag im innenministerium ein- gereicht. erfolgt von dort die zu- lassung, müssen innerhalb einer frist von 14 tagen 10 prozent aller wahlberechtigten das begehren in einem amt unterschreiben. die lis- ten dafür liegen meist im rathaus aus. anschließend kann der land- tag das begehren zu einem gesetz entwickeln und beschließen oder es kommt zum volksentscheid, bei dem ohne quorum die mehrheits- entscheidung gilt. insgesamt wur- den bislang 19 volksbegehren zuge- lassen. sieben davon schafften auch die zweite hürde der eintragungen, vier schafften es zum gesetz. der wille der bayern volksentscheide im freistaat volksbegehren volksentscheid antrag eines volksbegehrens  25.000 unterschriften  keine frist  in freier sammlung  10 % unterschriften (ca. 930.000)  14 tage  amtseintragung  mehrheit der abstimmenden  kein quorum  amtseintragung landtag: gesetzesübernahme bei verfassungsänderungen via volksbegehren  25 % zustimmungsquorum obligatorischer volksentscheid bei verfassungsänderungen  kein quorum direkte demokratie 78

bürgerbegehren in deutschland eine übersicht bundesland absolut prozent möglich seit gesamt bundesweit 6.107 100 % — baden-württemberg 733 12,0 % 1956 bayern 2.322 38,0 % 1995 berlin 40 0,7 % 2005 brandenburg 232 3,8 % 1993 bremen 6 0,1 % 1994 hamburg 98 1,6 % 1998 hessen 373 6,1 % 1993 mecklenburg- vorpommern 116 1,9 % 1993 niedersachsen 254 4,2 % 1994 nordrhein- westfalen 661 10,8 % 1994 rheinland-pfalz 164 2,7 % 1994 saarland 15 0,3 % 1997 sachsen 286 4,7 % 1993 sachsen-anhalt 266 4,4 % 1993 schleswig-holstein 390 6,4 % 1990 thüringen 151 2,5 % 1993 stand: mai 2013 direkte demokratie 80 gesamt bundesweit 6.107100 % — baden-württemberg 73312,0 % 1956 bayern 2.32238,0 % 1995 berlin 400,7 % 2005 brandenburg 2323,8 % 1993 bremen 60,1 % 1994 hamburg 981,6 % 1998 hessen 3736,1 % 1993 1161,9 % 1993 niedersachsen 2544,2 % 1994 66110,8 % 1994 rheinland-pfalz 1642,7 % 1994 saarland 150,3 % 1997 sachsen 2864,7 % 1993 sachsen-anhalt 2664,4 % 1993 schleswig-holstein 3906,4 % 1990 thüringen 1512,5 % 1993

æ æ anhörungsverfahren: wurde die überprüfung erfolgreich abgeschlossen, kann die initiative der kommission vorgelegt werden. es findet ein anhö- rungsverfahren im eu-parlament statt, bei dem auch die kommission teil- nimmt. nach spätestens drei monaten muss sie sich zur ebi äußern. es bestehen zwei möglichkeiten: entweder nimmt sie die initiative an – dies mündet ins gewöhnliche gesetzgebungsverfahren – oder sie wird abge- lehnt. eine verpflichtung besteht also nicht – eine solche würde mit dem alleinigen initiativrecht der kommission kollidieren. die entscheidung muss in jedem fall öffentlich begründet werden. seit dem start der europäischen bürgerinitiative sind zum jahr 2013 26 anträge eingereicht worden: sieben wurden von der kommission abgelehnt, die anderen 15 befinden sich noch im laufenden prozess. vier anträge wur- den von den initiatoren wieder zurückgezogen. das petitionsrecht beim eu-parlament neben der ebi gibt es noch zwei weitere möglichkeiten, als bürger die eige- nen anliegen den europäischen institutionen vorzubringen. seit 1979 existiert für einzelne bürger und gruppen ein petitionsrecht beim europäischen parlament. sie bezieht sich auf angelegenheiten der europäischen union und ihren organen, welche den oder die antragsteller unmittelbar betreffen. inhaltlich gesehen kann es sich entweder um eine beschwerde oder ein ansuchen handeln. die meisten petitionen befassen sich mit folgenden themenbereichen: ƒ ƒ personenfreizügigkeit ƒ ƒ diskriminierung aufgrund der staatsangehörigkeit ƒ ƒ umweltschutz ƒ ƒ soziale fragen rechtliche bindung entfalten petitionen nicht – die antragsteller erhof- fen sich unterstützung der europäischen institutionen in ihren privaten belan­gen oder in öffentlich relevanten angelegenheiten. jedes jahr werden mehrere 100 bis 1.000 petitionen eingereicht. eine weitere möglichkeit der direkten bürgerbeteiligung besteht in form des sogenannten ombudsmannes: der europäische bürgerbeauftragte. petitionen mit eu-bezug werden beim europäischen parlament eingereicht. direkte demokratie 82 seit dem start der europäischen bürgerinitiative sind zum jahr 201326

abstimmung erwirken. bis auf das burgenland kann in diesen bundesländern auch eine ausreichende anzahl von gemeinden eine abstimmung fordern. bisher ist das instrument auf länderebene nur dreimal verwendet worden – in allen fällen wurde ein gesetz des landtages durch die bürger gekippt. außer in niederösterreich, oberösterreich und tirol können volksabstim- mungen auch auf gemeindeebene stattfinden. voraussetzung ist ein vom gemeinderat beschlossener rechtsakt. die initiative dafür geht vom ge- meinderat aus. nur im burgenland, in der steiermark und im vorarlberg kann eine volksabstimmung auch durch die bürger initiiert werden. volksbegehren: beim volksbegehren formulieren die bürger eine forde- rung gegenüber dem nationalrat. mindestens 100.000 unterschriften ver- pflichten das parlament, sich mit einem gesetzesantrag zu beschäftigen. eine verbindlichkeit zur verabschiedung besteht allerdings nicht. bis 2013 wurden insgesamt 35 volksbegehren gestartet. das volksbegehren zur gen- technik von 1997 war mit 1,2 millionen unterstützern das bisher populärste. ein entsprechendes verbotsgesetz zur produktion, zum import und export von gentechnisch veränderten produkten wurde ein jahr später vom par- lament beschlossen. volksbefragung: sofern es in ihre kompetenzen fällt, können nationalrat und bundesregierung einen sachverhalt den wählern zur entscheidung vorlegen. dabei geht es in erster linie um grundsätzliche und österreich- weit bedeutende fragen. der wähler hat entweder die alternative zwischen zwei lösungsvorschlägen oder eine frage mit ja/nein zu beantworten. im unterschied zur volksabstimmung wird nicht über einen bestehenden oder zukünftigen gesetzestext abgestimmt, sondern über eine allgemeine sachfrage. darüber hinaus ist das ergebnis der volksbefragung für den gesetzgeber in keinem fall rechtlich bindend. es gibt kein quorum. volks- befragungen sind auch auf länder-, bezirks- und gemeindeebene möglich. bundesweite volksbefragungen sind seit 1989 möglich, die erste fand aller- dings erst 2013 statt. eine klare mehrheit von knapp 60 prozent sprach sich für die beibehaltung der wehrpflicht aus. die regierung verwarf daraufhin den plan zur einführung eines berufsheeres. trotz des rein konsultativen charakters ergibt sich für den gesetzgeber also eine art „moralische“ ver- pflichtung, dem ergebnis rechnung zu tragen. direkte demokratie 84

themen von bürgerbegehren in deutschland (auswahl) themenbereich anzahl anteil entsorgungsprojekte 248 4,1 % gebietsreform 730 12,0 % gebühren und aufgaben 78 1,3 % hauptsatzungen oder andere satzungen 95 1,6 % kulturprojekte 264 4,3 % verkehrsprojekte 987 16,2 % wirtschaftsprojekte 960 15,8 % wirtschaftsprojekte (mobilfunk) 150 2,5 % wohngebietsprojekte 108 1,8 % öffentliche infrastruktur-/ versorgungseinrichtungen 876 14,4 % öffentliche sozial-/ bildungseinrichtungen 1.041 17,1 % stand: mai 2013 grundsätzlich lassen sich drei arten von bürgerbegehren unterscheiden: 1. initiierendes bürgerbegehren: es soll etwas neues erreicht werden, mit dem sich die gemeindevertretung noch nicht beschäftigt hat. 2. kassierendes bürgerbegehren, fall 1: es soll etwas, was die gemeinde- vertretung bereits abgelehnt hat, doch noch durchgesetzt werden. 3. kassierendes bürgerbegehren, fall 2: es soll etwas verhindert werden, was die gemeindevertretung bereits beschlossen hat. inhaltlich müssen sich bürgerbegehren immer auf themen beziehen, die in den kompetenzen der kommunen liegen. positiv- und negativkataloge be- stimmen die zulässigkeiten. die übernahme gesetzlich nicht verpflichten- der aufgaben ist typisches element des positivkataloges. angelegenheiten des bürgermeisters und die haushaltssatzung sind unzulässig. planen bürger ein bürger­ begehren, müssen sie sich im klaren darüber sein, ob sie ein initiierendes oder kassierendes bürger­ begehren wollen. denn von der antwort auf diese frage hängen in den meis­ ten bundesländern die fristen ab. direkte demokratie 86 entsorgungsprojekte 2484,1 % gebietsreform 73012,0 % gebühren und aufgaben 781,3 % hauptsatzungen oder andere satzungen 951,6 % kulturprojekte 2644,3 % verkehrsprojekte 98716,2 % wirtschaftsprojekte 96015,8 % wirtschaftsprojekte (mobilfunk) 1502,5 % wohngebietsprojekte 1081,8 % 87614,4 % 1.04117,1 %

2.4. vom begehren zum entscheid ein bürgerbegehren ist der antrag an die gemeindevertretung, einen bür- gerentscheid durchzuführen. ein bürgerentscheid ist die abstimmung der bürgerinnen und bürger über eine kommunalpolitische sachfrage. im normalfall ist das verfahren also zweistufig: erst findet das bürgerbe- gehren statt, dann folgt der bürgerentscheid. die einzelnen verfahrens- schritte im überblick: bürgerbegehren beim bürgerbegehren tragen sich all diejenigen bürger in unterschriften- listen ein, die einen bürgerentscheid herbeiführen möchten. auch wer den initiatoren des begehrens nicht zustimmt, aber dennoch der meinung ist, über eine bestimmte angelegenheit sollten die bürgerinnen und bürger selbst entscheiden, kann unterschreiben. die teilnahme an einem bürger- begehren bedeutet also nicht notwendigerweise eine meinungsäußerung in der sache, faktisch allerdings meistens schon. nach einreichung der unterschriften bei der durchführenden behör- de, wird das begehren auf inhaltliche und formelle zulässigkeit geprüft. anschließend kann das kommunale gremium dem antrag der bürger ­inhaltlich folgen, einen kompromiss erarbeiten oder die durchführung des bürgerentscheides beschließen. beschließt die gemeindevertretung nach durchführung des bürgerbegehrens die beantragte maßnahme, entfällt der bürgerentscheid automatisch. bürgerentscheid beim bürgerentscheid geben die bürgerinnen und bürger wie bei einer wahl in abstimmungslokalen ihre stimme ab. teilweise stehen an einem wahltermin mehrere fragen zur abstimmung. dazu kommt es, wenn zwei bürgerbegehren zum selben thema eingereicht wurden oder wenn dem bürgerbegehren ein ratsbegehren gegenübersteht. in manchen bundes- ländern kommt dazu noch eine stichfrage, mit der entschieden werden soll, welcher entscheid gültig ist, falls beide eine mehrheit erzielt haben. schaubild „bürger­ begehren und bürger­ entscheid“: s. 89 ratsbegehren: s. 90 direkte demokratie 88

sonderfall ratsbegehren manchmal sind kommunalpolitiker selbst der meinung, die bevölke- rung solle über ein thema abstim- men; sie beschließen dann von sich aus, einen bürgerentscheid durch- zuführen. dies ist ein ratsbegehren. möglich ist es jedoch nur in einigen bundesländern: mit einfacher mehr- heit zu beschließen in brandenburg, bayern und mecklenburg-vorpom- mern, dagegen mit zweidrittelmehr- heit in schleswig-holstein, sachsen, sachsen-anhalt und baden-würt- temberg. ohne ein vorheriges bür- gerbegehren und die damit verbun- dene sammlung von unterschriften kommt es also direkt zum bürger­ entscheid. die regelung zur errei­ chung des vorgesehenen quorums bleibt dabei natürlich bestehen. noch sind ratsbegehren relativ sel- ten – künftig könnte aber die verla- gerung von entscheidungen an den bürger zunehmen. exkurs: moderne formen der partizipation eine frühzeitige, aktive beteiligung der bürger wird immer bedeutsamer – protest und aufruhr entstehen schließlich schnell. insbesondere dann, wenn bürger das gefühl haben, dass „über ihren kopf hinweg“ einfach entschieden wird. auch die politik hat erkannt, dass es schnell zu spät sein kann, aufkommende spannungen zu lösen. konfliktpotenzial sinkt erheb- lich, wenn bürger frühzeitig eingebunden werden. neue partizipative for- men entstehen. nicht mehr nur politiker, experten und unternehmer sollen den lokalen raum gestalten, sondern das kreative potenzial der betroffenen bürger soll geweckt werden. so können impulse für eine langfristige unter- stützung geschaffen werden. einbindung statt protest. vor allem bei großen projekten gilt es, die betroffenen aktiv teilhaben zu lassen. dabei gibt es eine vielzahl an möglichkeiten, die bürger in den planungs- und gestaltungsprozess zu integrieren. exemplarisch werden im folgenden die zukunftswerkstatt, open-space-verfahren sowie planungszellen vorgestellt. je unterschiedlicher die menschen, desto vielfältiger die blickwinkel. und desto vielfältiger die ideen. diese leitidee zeigt sich in der sogenannten zukunftswerkstatt. als instrument der bürgerbeteiligung auf lokaler ebene direkte demokratie 90

nach jeder der drei phasen kommen die arbeitsgruppen im plenum zu- sammen und präsentieren die ergebnisse gegenseitig. zukunftswerkstätten sind ein offener prozess, der von den teilnehmern aktiv mitgestaltet wird. ein externer moderator sollte die diskussion lenken, aber nicht inhaltlich steuern. generell gilt: eine gute vorbereitung ist alles. hier werden die weichen fürs gelingen gestellt. eine methode zur gestaltung von konferenzen zwischen 50 und 2.000 teil- nehmern ist das open-space-verfahren. auch bei kommunalen vorhaben ist die methode bestens geeignet, bürger frühzeitig in die planungen mit- einzubeziehen. insbesondere in den ersten phasen eines projektes bietet es gute ansätze, in großen gruppen vielfältige ideen zu entwickeln und erste lösungsansätze zu finden. das besondere: es gibt kein im voraus gestaltetes veranstaltungsprogramm. vorgegeben ist lediglich ein (leit-) thema, wie zum beispiel der bau eines einkaufszentrums, die entwicklung eines stadtteils oder die gestaltung einer bildungseinrichtung. komplexe, vielschichtige themen sind prädestiniert, um verschiedene wege und ide- en zu entwickeln. das thema benötigt daher eine gewisse breite – raum für kreative ansätze ist nötig. im normalfall dauert eine open-space-konferenz zwei bis drei tage. zu beginn steht immer ein kreis zur einführung des verfahrens, geleitet durch einen moderator. anregungen und themen werden gesammelt. an einer großen wand werden die einzelnen anliegen den verfügbaren zeiten und arbeitsplätzen zugeordnet. teilnehmer tragen sich daraufhin für diejenigen themen ein, für die sie ein besonderes interesse haben. nun beginnt die gruppenarbeitsphase: die teilnehmer bearbeiten in eigenregie ihre the- men. damit jeder die ergebnisse einsehen kann, werden diese dokumen- tiert und präsentiert. in einer abschlussrunde wird schließlich der „raum“ wieder geschlossen. die konferenz ist beendet. komplexe sachverhalte lassen sich so von vielen personen in kürzester zeit bearbeiten. das open-space-verfahren ermöglicht vielen menschen, selbstorganisiert und eigenverantwortlich themen gemeinschaftlich zu be- arbeiten. dabei sind alle teilnehmer gleichberechtigt. selbstbestimmtes, freiwilliges und kreatives arbeiten soll so gefördert werden. es sind daher auch die teilnehmer, die anhand des leitthemas den konkreten ablauf bestimmen und einzelne anliegen einbringen. ein großer marktplatz der bei open-space-konfe­ renzen gibt es vorab ­ keinen festen ablauf, die teilnehmer bestimmen die themen. direkte demokratie 92

das gesetz der zwei füße leitet zusätzlich das zusammenwirken der teil- nehmer untereinander. desinteresse und langeweile sind für die gruppen- arbeit hinderlich. wenn ein teilnehmer nichts gewinnbringendes mehr bei- tragen kann, sollte er seine beiden füße benutzen und dorthin gehen, wo er nützlich sein kann. unterschieden werden dabei zwei gruppen: æ æ hummeln diese „fliegen“ von gruppe zu gruppe und bringen dort neue impulse ein. dort verweilen sie nur temporär. geleitet vom interesse, in möglichst ­vielen gruppen nutzen zu stiften, „fliegen“ sie nach kurzer zeit weiter zur ­nächsten gruppe. æ æ schmetterlinge diese personen befinden sich häufig am büfett oder in einer stillen ecke. die verbreiten so ruhe und gelassenheit. mit anderen teilnehmern ergeben sich oft unerwartete, aber dennoch fruchtbare gespräche. es sind meist die politisch interessierten, die aktiven, die die mitwirkungs- möglichkeiten wie zukunftswerkstatt oder open-space-verfahren nutzen. dies wirft unweigerlich die frage auf, ob die erarbeiteten ergebnisse über- haupt die interessenlagen der bürger widerspiegeln. doch wie gelingt es, die bürger zu erreichen, die sich generell nur gering mit politischen prozessen auseinandersetzen? die nicht zu bürgerversammlungen und lokalen veran- staltungen gehen? die methode der planungszelle – auch bürgerforum ge- nannt – setzt genau hier an und versucht, menschen aus unterschiedlichs- ten gesellschaftlichen schichten und meinungsgruppen zu mobilisieren. wie das gelingt? indem bürger nach dem zufallsprinzip ausgewählt werden. die folge: frauen und männer, jung und alt, unternehmer und hausfrauen sind entsprechend ihrem bevölkerungsanteil vertreten. möglichst alle kon­ troversen standpunkte und meinungen sollen vertreten sein. statistisch hat jeder bürger die gleiche chance, eingeladen zu werden. den bürgern ist es selbst überlassen, die möglichkeit zur teilhabe wahrzunehmen. eine planungszelle ist eine gruppe von etwa 20 bis 25 zufällig zusammen- gesetzten bürgern, die über einen zeitraum von einem tag bis zu mehreren wochen stellung zu einer politisch relevanten frage beziehen. erkennen, reflektieren, gestalten – der ablauf erfolgt diesem muster. vorträge, schrift- liche materialien, persönliche gespräche und ortsbegehungen ermöglichen planungszellen können von einem tag bis zu mehreren wochen andauern. direkte demokratie 94

was wird aus bürgerbegehren? übersicht für deutschland 0 300 600 900 1.200 1.500 (1.355) (1.305) (744) (623) (614) (419) (375) (64) unzulässig bürgerentscheid erfolgreich bürgerentscheid gescheitert neuer beschluss nicht eingereicht offen / unbekannt unecht gescheitert kompromiss stand: mai 2013 immer wieder scheitern bürgerentscheide, die eine mehrheit erreichen, am nicht erreichten quorum. solche fälle bieten der politik dann größten in- terpretationsspielraum: käme es zur selben mehrheit, wenn mehr bürger abgestimmt hätten? ist die entscheidung trotz niedriger wahlbeteiligung zumindest emotional trotzdem bindend? wie bürgerbegehren und -entscheide konkret ablaufen, welche prozesse in der praxis relevant sind, zeigen unsere beispiele in kapitel 10. dort erfahren sie auch, welche fallstricke es für befürworter und gegner gibt. direkte demokratie 96 03006009001.2001.500

 neben seiner journa­ lis­ ti­ schen tätigkeit ist ulrich schmid erfolgreich mit zwei romanen hervorgetreten: „der zar von brooklyn“ (2000) und „aschemenschen“ (2006). die idee eines juristischen korrektivs ist unpopulär und wider- spricht der verfassungstradition. trotz der für viele enttäuschenden entscheide der jüngsten ver- gangenheit werden wohl nur die wenigsten schweizer dazu neigen, das instrument der direkten demokratie an eine wie auch immer er- leuchtete elite abzutreten. die erfahrungen mit der direkten demo­ kratie sind im ganzen gute, die bürger schätzen ihre rechte und würden sie trotz partieller enttäuschungen nie hergeben. versuche, per initiative umstrittene maßnahmen durchzusetzen, gab es im- mer wieder, man denke an die „überfremdungsinitiativen“ der 70er jahre. sie wurden allesamt abgelehnt. die minarettinitiative ist erst die zweite angenommene, die sich gegen eine religiöse minderheit richtet (1893 wurde das schächtverbot eingeführt, das oft als ausdruck von antisemitismus gedeutet wird). es ist al- so durchaus nicht so, dass die populisten immer siegten. die verführbarkeit des volkes hält sich in grenzen; noch hat sich die demokratie durch ihre ­ direkte ­ vari­ ante nicht aushebeln lassen. diktatoren hat die moderne schweiz nie gekannt, minderheiten aus aller welt wandern bis heute gerne zu, der ausländeranteil liegt bei etwa 20 prozent – weit über dem deutschlands mit etwa 9 prozent. fazit: belastbare indizien dafür, dass direkte demokratie ins verderben führen muss, fehlen. gemischte bilanz und der umgekehrte vorwurf? könnte es nicht sein, dass ­ direkte demokratie sinnvolles oder notwendiges verhindert? oft ist in deutschland zu hören, die erhöhung des rentenalters auf 67 jahre hätte sich in einer direkten demokratie nie durchsetzen lassen. wie kann man von einem volk erwarten, dass es sich freiwillig mehr fron verordnet? nun, in der schweiz müssen die revisionen der obligatorischen rentenversicherung dem volk vorgelegt werden. zehn revisionen mit teilweise kräftigen beitragserhöhungen sind seit 1948 angenommen worden; die elfte, die eine erhöhung des frauenrentenalters von 64 auf 65 jahre vorsah, scheiterte 2004. ­ eine gemischte bilanz also. sie lässt aber erkennen, dass auch der „gewöhnliche“ bürger wirtschaftliche sachzwänge durchaus zu ­erkennen vermag. gastbeitrag direkte demokratie  98

merken  ermöglichen direkte demokratie  ermöglicht die unmittelbare teilnahme der bürger am politischen entscheidungs- findungs-prozess. entsprechende instrumente sind in deutschland länder­ sache: auf landesebene volksbegehren und anschließender volksentscheid, in kommu- nen und landkreisen bürgerbegehren und bürgerentscheide.  bei einem ratsbegehren entscheiden die ratsmitglieder einer kommunal­ verwaltung, dass ein bürgerentscheid über einen sachverhalt stattfinden soll.  in jedem bundesland gibt es andere regelungen, besonders hinsichtlich ­ terminliche fristen und quoren. so sind bürgerbegehren und -entscheide zur kommunalen bauleitplanung in neun von 16 bundesländern unmöglich. europäische ebene  seit 2012 gibt es auch eine europäische bürgerinitiative (ebi). sie richtet sich an die europäische kommission und benötigt mindestens eine million unterschrif- ten aus der ganzen eu. eine verpflichtung zur ausarbeitung eines rechtsaktes enthält sie aber nicht.  daneben können bürger ihre anliegen im rahmen des petitionsrechts vorbringen oder sich an den europäischen bürgerbeauftragten wenden. bürgerbegehren  ein bürgerbegehren kann initiierend sein und sich mit einem neuen thema ­ befassen, dass noch nicht von der gemeindeverwaltung behandelt worden ist.  es kann aber auch kassierend sein und dabei bereits beschlossene ­ entscheidungen der öffentlichen hand in frage stellen.  in bayern braucht es für ein bürgerbegehren die schriftliche unterstützung ­ zwischen 3 und 10 prozent der stimmberechtigten. je nach größe der kommune kann dieser satz variieren. bürgerentscheid  wird ein bürgerbegehren angenommen, kann innerhalb einer bestimmten zeit- spanne ein bürgerentscheid beschlossen werden. dabei wird die gestellte frage mit ja/nein beantwortet. das ergebnis ist über einen festgesetzten zeitrahmen bindend. allerdings kann die kommune das begehren auch selbst in einen ­ beschluss umwandeln, der entscheid entfällt.  die bayerische gemeindeordnung sieht eine wahlbeteiligung zwischen 10 und 20 prozent vor, damit ein bürgerentscheid gültig ist. quorum  bürgerbegehren benötigen ein einleitungsquorum, um gültig zu sein – eine ­ bestimmte mindestanzahl an unterstützungsunterschriften.  bürgerentscheide werden durch ein zustimmungsquorum gültig: neben einer einfachen mehrheit braucht es noch eine mindestanzahl an wählern, die sich ­ beteiligen, damit der entscheid rechtskräftig ist. www.verhindern-ermoeglichen.de 100

3. die politik der begriff „politik“ entstammt dem griechischen „polis“ und beschreibt alle tätigkeiten, gegenstände und fragestellungen, die das gemeinwesen betreffen. diese ursprüngliche bezeichnung klingt logisch. trotzdem muss sie aus heutiger perspektive hinterfragt werden: geht es tatsächlich immer um unser gemeinwesen? ist dieses gemeinwohl das einzige motiv für poli­ tisches handeln? politik wird immer von menschen gemacht – sie diskutieren, entscheiden, mobilisieren. wer politik verstehen will, muss also verstehen, was diese menschen in ihrem handeln antreibt. wir müssen die politiker und ihre motive kennen, wenn wir veränderung ermöglichen wollen. 3.1. motive von politikern logisch: es gibt nicht den politiker. trotz aller klischees – jeder politiker ist individuell in seinem denken, seiner wertehaltung, seiner beruflichen prägung, seiner ausbildung und in seiner herkunft. genauso individuell sind auch seine motive für politische entscheidungen. und sie sind natür- lich abhängig von der jeweiligen fragestellung auf kommunaler, regiona- ler oder nationaler ebene. aber es gibt wiederkehrende grundmuster, die den hintergrund des verhaltens von politikern erklären. genau wie alle berufsgruppen leiten politiker ihr handeln aus ideellen und materiellen motiven ab. ärzte wollen menschen gesund machen, bauarbeiter wollen gebäude errichten, landwirte wollen ihre äcker bestellen, anwälte wollen anderen zu ihrem recht verhelfen. und alle wollen sich letztlich damit ihr finanzielles einkommen sichern. auch politiker haben zwei hauptmotive: gesellschaftliche veränderung errei­chen und mit einem amt ausgestattet sein, das einen erträglichen ver- dienst mit sich bringt. letzteres mag oft als gier und habsucht interpretiert werden, nüchtern betrachtet aber steht fest: jeder mensch will mit seinem beruf eben auch geld verdienen. „politik ist der kampf um die veränderung oder bewahrung bestehender verhältnisse.“ christian graf von krockow (1927 – 2002, deut­scher politikwissen­ schaftler, historiker und schriftsteller) die politik 102

zur erfüllung der beiden motive „verantwortung“ und „verfügung“ müs- sen politiker bestimmte positionen erreichen oder halten. dazu wiederum werden drei hauptziele verfolgt: parteiinterne profilierung, mediale auf- merksamkeit und erfolgreiche wahlen. die profilierung innerhalb der eigenen partei ist für alle politiker notwen- dig, um letztlich als kandidat für ämter aufgestellt zu werden. ­parteifreunde und parteiführung sollen positiv über den kandidaten denken oder reden. dies führt unweigerlich dazu, dass die mehrheit der politiker ihr eigenes handeln entlang der parteilinie ausrichtet und laufend das stimmungs- bild in der parteibasis prüft. gleichzeitig wird versucht, mehrheiten für die eigenen überzeugungen zu organisieren und dann programmatisch zu manifestieren. gelingt es dem politiker dauerhaft nicht, seine partei mehr- heitlich hinter sich zu bringen, wird er seine position verlieren oder erst gar nicht erreichen. mediale aufmerksamkeit ist einerseits mittel zum zweck: wird vorteilhaft über einen amts- oder mandatsträger berichtet, so denkt auch die öffent- lichkeit positiv. das wiederum führt mittelbar zur wahl oder wiederwahl. andererseits kann mediale aufmerksamkeit auch selbst ein eigenes motiv sein. die präsenz in den medien vermittelt politikern ein hohes selbstwert- gefühl und eine laufende bestätigung für das eigene tun. der vermeintlich erreichte promi-status tut dann sein übriges. wenn mediale präsenz zum zentralen motiv für einen politiker wird, richtet er auch alle tätigkeiten an der möglichkeit für presseberichterstattung aus. nicht wenige verfallen sogar in rauschähnliche zustände und werden schließlich opfer ihrer eige­ nen eitelkeit. der sieg bei wahlen ist existenziell für politiker – das hauptziel zur erfül- lung des finanziellen und ideellen motivs. wer wahlen gewinnen will, muss menschen überzeugen. oder das tun, wovon er glaubt, dass es die mehrheit will. in einzelnen politikfeldern sehen politiker zwingenden handlungs- bedarf für maßnahmen, die in der bevölkerung zunächst auf skepsis oder ablehnung stoßen. wenn einsparungen vorgenommen werden müssen, um das staatsdefizit zu senken, ist beispielsweise mit kritik oder widerstand zu rechnen. dann müssen politiker – um wahlen zu gewinnen – die menschen von ihrer entscheidung überzeugen. welche rolle hierbei journalisten einnehmen: kap. 6.2. wie man einen wahlkampf erfolgreich führt: kap. 9.5. bis kap. 9.9. die politik 104

bürger können anregungen und wünsche äußern, können petitionen bean­ tragen und gespräche mit mandatsträgern führen. nichtsdestotrotz – der wunsch nach direkten entscheidungen durch die bürger wird immer stär- ker. und genau dieser wunsch macht politikern angst. bürger mitwirken zu lassen bedeutet immer, macht abzugeben. wer macht abgibt, läuft gefahr, dass sich eigene vorstellungen und konzepte am ende nicht durchsetzen. politiker wollen demnach gerne kontakt zu bürgern haben, im mittelpunkt stehen und dialoge führen. aber eben nur solange sie letztlich selbst ent- scheiden können, wofür oder wogegen sie sich einsetzen. denn mitwirkung ist mühselig und unbequem. die einbindung des volkes erfordert informa- tion und transparenz. das alles kostet zeit und nerven. besonders dann, wenn man die überzeugungskraft der eigenen argumente anzweifelt. politiker wollen also macht behalten und selbst entscheiden. aus angst vor dem volk. bürgerbeteiligung und direkte demokratie wird dann erschwert oder verhindert. oft müssen bürger ihr recht auf mitbestimmung sogar for- mell erzwingen. das gefühl der machtlosigkeit, des ausgeliefertseins führt dann zu einer noch stärkeren entfremdung zwischen politik und volk. in der konsequenz bilden sich daraus im volk mehrheiten gegen inhaltliche ziele, die von den politischen gremien befördert wurden. aus ärger und wut gegen mandatsträger, die das volk außen vorlassen wollten. was zuvor vielleicht sogar von einer mehrheit in der bevölkerung unterstützt wurde, verliert dann über diese metaebene der diskussion an zustimmung. darü- ber können ganze vorhaben stürzen. die angst vor entscheidungen in entgegengesetzter richtung wirkt die zweite ausprägung der angst von politikern: die angst vor entscheidungen. triebfeder ist auch hier das risiko von machtverlust. nicht macht zu verlieren, weil das volk eigene entscheidungen trifft. sondern macht zu verlieren, weil das volk anders entscheiden würde. vermeintlich unpopuläre beschlüsse werden dann nicht gefasst – aus der befürchtung heraus, die bürger könnten die politik durch abwahl dafür strafen. ein enormes risiko für großprojekte. denn wo widerstände aufkommen und demonstriert wird, ist keiner gerne im schussfeld. wegducken und stillhalten schützt dann vor angriffen. je lau- ter sich gegner artikulieren, umso mehr wächst der eindruck, dass sie die mehrheit der bürger repräsentieren. politiker neigen in solchen situationen vielfältige mitwirkungs­ möglichkeiten der bürger: kap. 2 die politik 106

den wissenschaftlern ist dieses phänomen nicht neu. studien, die sich mit dem management von öffentlichen bauaufträgen beschäftigen, bestätigen die vermutung: es wird immer wieder getrickst. daran sind maßgeblich zwei gruppen beteiligt: 1. baufirmen und planer möchten zum zug kommen. um den auftrag zu erhalten, geben sie ihr bestes. und ein bisschen mehr. projektmanager rechnen vorhaben klein, maßnahmen werden unterbewertet. lieber lässt man es auf mögliche juristische streitigkeiten ankommen, als sich gar nicht an ausschreibungen zu beteiligen. 2. politiker lassen sich allzu oft blenden – oft auch bewusst. schließlich bieten solche vorhaben mediale aufmerksamkeit. und man kann sich in der öffentlichkeit als „macher“ präsentieren. für eine genehmigung braucht es aber auch eine größtmögliche politische mehrheit. daher werden be- reits in der planung die veranschlagten budgets möglichst gering gehalten. eventuelle folgen werden gegenüber den bürgern ausgeblendet oder nach hinten verschoben. hauptsache, die sache geht „erst mal durch“. und ist ein bestimmter grad an bautätigkeit erst einmal erreicht worden, gibt es kein zurück mehr. lieber werden zusätzliche finanzielle belastungen in kauf genommen als eine bauruine in der landschaft. dazu gesellt sich der vielerorts vorherrschende dilettantismus der öffent­ lichen verwaltung. beamte müssen projekte betreuen, mit denen sie über- fordert sind. ohne professionelle hilfe oder beratung kann das ruder schnell aus der hand rutschen. politiker und verwaltungsangestellte sind keine experten. werden zahlen genannt, können diese deshalb oft nicht eingeschätzt werden. dasselbe gilt für aufsichtsräte und andere kontroll- gremien. deren mitglieder sind alles – nur meistens keine professionellen sachverständigen. in der forschung kommt man zu ernüchternden ergebnissen: bei ver- kehrsprojekten liegen die finalen kosten – also die tatsächlich anfallen- den finanziellen aufwendungen – im durchschnitt 45 prozent über der ursprünglich konzipierten planung. bei zukünftigen aufträgen müssten öffentliche bauherren und politiker demnach diesen nicht unwesentlichen prozentsatz bei den kalku­ lationen dazurechnen. erst dann hätte man in vielen fällen die tatsächlichen gesamtkosten. solche methoden werden „erfolgreich zu sein setzt zwei dinge voraus: klare ziele und den brennenden wunsch, sie zu erreichen.“ johann wolfgang von goethe (1749 – 1832, ­deutscher dichter) die politik 108

seitens der architekten und nachforderungen der baufirma hochtief trie- ben die kosten weiter in die höhe. mittlerweile rechnet man mit öffentli- chen ausgaben von über 500 millionen euro und mit einer eröffnung im jahr 2017. sieben jahre später als nach plan. in der hamburger bürgerschaft beschäftigt sich ein untersuchungsaus- schuss mit dem bau. vorläufige erkenntnis: trotz unklarheit an der bau- leistung sind verträge frühzeitig abgeschlossen worden – auch begünstigt durch eine schlechte verhandlungsführung seitens der hansestadt. so wur- de zum beispiel erst eineinhalb jahre nach baubeginn ein einheitlicher bau- terminplan erstellt. streitpunkt zwischen hamburger senat und hochtief war auch die dachkonstruktion. die baufirma zweifelte die statik an; erst nach monaten konnte eine lösung gefunden werden. kostensteigerungen von insgesamt über 450 millionen euro. politische kon- sequenzen blieben aber aus: von beusts koalition mit den grünen zerbrach 2010 nach nur zwei jahren an fragen der schulpolitik. sein nachfolger olaf scholz (spd) bestätigte nach langen verhandlungen ende 2012 den weiterbau mit hochtief. man kann davon ausgehen, dass der weiterbau in eigenregie oder eine neue ausschreibung finanziell deutlich ungünstiger gewesen wäre. 2. berlin: im mai 2010 konnte noch niemand den anstehenden verschie- bungsmarathon absehen. seit der ursprünglichen veranschlagten eröff- nung im okto­ ber 2011 wurde die inbetriebnahme vom flughafen berlin brandenburg (ber) um ganze vier mal verschoben. schuld daran waren vor allem mängel in der brandschutzanlage. diese waren entweder noch nicht einsatzbereit oder entsprachen nicht den vorgaben. doch nicht nur das: zur technik gesel­ len sich schwere mängel in der politischen führung. weder der gesamt­überblick über den baufortschritt wurde genügend kontrolliert, noch die kosten wurden überblickt. hauptvorwurf ist eine mangelnde wahrnehmung der kontrollpflicht durch den entsprechenden aufsichtsrat. das management, von den herausforde- rungen und problemen überfordert, wird allein gelassen. größter kritik- punkt ist die besetzung des aufsichtsrates: 8 von 15 sind aktive politiker. die forderung nach deren ersetzung durch praktiker verhallt. erst nach der vierten terminverschiebung, einer verdoppelung der kosten und ­einer die politik 110

wollen sobald ausreichend wissen über einen sachverhalt vorhanden ist, prüft der entscheidungsträger, ob er den vorgeschlagenen beschluss auch tatsäch- lich will. dieses wollen entsteht durch einzelne subjektive gründe, indi- viduelle lebenserfahrungen oder persönliche werte. selten resultiert das wollen unmittelbar aus dem wissen. denn hier kommen letztlich auch die in kapitel 3.1. beschriebenen hauptziele eines politikers zum tragen: par- teiinterne profilierung, mediale aufmerksamkeit und erfolgreiche wahlen. trägt die einzelne entscheidung zur erfüllung dieser ziele bei oder könn- te sie schaden? die antwort kann oft im widerspruch zum vorhandenen wissen und zu der daraus eigentlich notwendigen entscheidung stehen. der faktor „wollen“ setzt sich dann oft als bauchentscheidung durch. sind umgekehrt wissen und wollen im einklang, ist die überzeugungskraft des politikers gegenüber anderen am stärksten. zwei beispiele: die gemeindeverwaltung berichtet über den stark steigen- den bedarf an plätzen für kinderbetreuung. zuzug sorgt für nachwuchs und eltern wollen zurück in den job. es wird vorgeschlagen, eine neue krippe für ein- bis dreijährige zu errichten. ein gemeindeeigenes grundstück steht für den neubau bereit. klare fakten also und trotzdem stimmen einige räte ­ ohne öffentliche begründung dagegen. eine will den standort nicht, weil sie in der nachbarschaft wohnt. einer will grundsätzlich keine krippen, weil kleinkinder zu hause betreut werden sollen. schweigend erzielen ­ beide keine mehrheit. denn das individuelle wollen steht im widerspruch zum kollektiven wissen. der örtliche fußballclub steigt zum zweiten mal in folge auf und will ein neues stadion bauen. kämmerei und verwaltung sehen den antrag kritisch: leere kassen und andere ausgaben sprechen dagegen. dass man sich den neubau nicht leisten kann, ist allen bewusst. trotzdem stimmt der rat fast einstimmig dafür. eine mehrheit will die clubmitglieder unterstützen. man- che sind selbst mitglied, sind stolz auf ihren club. und bald sind kommu- nalwahlen. das wissen zieht den kürzeren. der bauch gewinnt. beide beispiele zeigen auch, dass entscheidungen in gremien nicht nur auf individuelle präferenzbildung zurückgehen, sondern als gruppendyna- mische prozesse zu verstehen sind. diese prozesse werden hauptsächlich durch meinungsführer geprägt. in jedem unternehmen, jedem verein, jeder „kraft kommt nicht aus körperlichen fähigkeiten. sie entspringt einem unbeugsamen willen.“ mahatma gandhi (1869 – 1948, indischer ­rechtsanwalt, widerstands- kämpfer, ­revolutionär, ­publizist, moral­lehrer, asket und pazifist) die politik 112

www.verhindern-ermoeglichen.de merken  ermöglichen motive von politikern  ihre hauptmotive sind die umsetzung gesellschaftlicher veränderungen und der erwerb eines ertragreichen verdiensts.  letztlich geht es für sie um die erreichung von drei zielen: profilierung innerhalb der eigenen partei, mediale präsenz und wahlerfolge. die ängste der politiker  vor dem volk: es fordert eine immer stärkere miteinbeziehung in die politischen entscheidungsprozesse – entgegen den grundsätzen der repräsentativen demo- kratie. es findet eine latente unterminierung der wahlfreiheit des ­ politikers durch die bürger statt.  vor entscheidungen: weil unpopuläre maßnahmen die beliebtheit bei den ­ wählern schmälern und man deswegen die nächste wahl verlieren kann. daraus entsteht eine gewisse furcht – und man delegiert delikate fragen lieber an die bevölkerung. wenn politiker täuschen  baufirmen erstellen bei großen vorhaben manchmal unrealistische angebote – je günstiger die kalkulation, desto größer ist auch die wahrscheinlichkeit, den auf- trag zu erhalten.  politiker lassen sich ihrerseits – oft auch bewusst – täuschen. besonders groß- projekte bieten eine plattform, um sich medial in szene zu setzen und sich als ­ „macher“ zu profilieren. dabei werden negative konsequenzen für die allge­ mein­ heit gerne ausgeblendet oder nach hinten verschoben.  öffentliche verwaltungen sind oft überfordert: beamte sind meist keine exper- ten und projektmanager. gremienarbeit politische entscheidungen beruhen auf:  wissen: wird benötigt, um anstehende sachfragen beantworten zu können. man kann es sich selbst oder mithilfe von anderen aneignen. hierbei spielt unter an- derem die verwaltung eine große rolle: als gatekeeper bestimmt sie maßgeb- lich, welche informationen die mandatsträger erreichen oder nicht.  wollen: es kommt darauf an, welche entscheidung zur erfüllung der bereits ­ genannten ziele beiträgt. verschafft sie mediale präsenz oder kann man sich ­ gegenüber parteifreunden absetzen? ist eine wahl zu gewinnen? nicht immer korrespondiert dann die antwort mit den eigentlich notwendigen entscheidun- gen, die sich eigentlich durch das wissen ergeben. welche wahl auch getroffen wird – sie wird ein kompromiss zwischen wissen und wollen sein. 114

4. die gegner gegnerschaft entsteht nicht von selbst, gegnerschaft ist nie einfach die unmittelbare folge umstrittener vorhaben. gegnerschaft entwickelt sich immer aus emotionen. dort, wo menschen miteinander reden, wo gruppen sich austauschen: im wirtshaus, im sportverein, beim einkaufen. immer sind es dialoge, die als keimzelle von widerstand nach und nach spreng- kraft entwickeln können. wo information fehlt, wo gerüchte aufkommen, wo befürworter schweigen – dort wird aus erster skepsis ganz schnell ein heftiger sturm. wie es dazu kommt, wer die typischen protagonisten sind und welche aktivitäten sie entfalten, erfahren sie in diesem kapitel. 4.1. entstehung zwischen dem singulären protest einzelner und dem breiten widerstand vieler liegt oft jahrelange überzeugungsarbeit. manchmal reichen aber auch ganz wenige impulse, um massen zu mobilisieren. ob aus einzel- gegnern echte kollektive opposition werden kann, hängt vom thema ab. vom ort und von den personen. was macht eine solche mobilisierung wahrscheinlich? eine mobilisierung kann nur dort entstehen, wo ein intensiver austausch zwischen den menschen stattfindet. in der vergangenheit traf das vor allem auf wirtshäuser und ihre stammtische zu. alle, die etwas zu sagen ­hatten, trafen sich dort. in der modernen gesellschaft gibt es hingegen eine vielzahl solcher „keimzellen“ des widerstands – auch ganz banale. und die haben dann ganz schnell ganz große mediale macht. wie zum beispiel kindergär- ten. hier treffen sich mütter und väter, großeltern und andere bekannte aus dem gesamten ort, die mit ihren familien die trei­bende kraft in den kommu- nen sind. jeden tag werden hier über alle bevölkerungsschichten hinweg bekanntschaften geschlossen und informationen ausgetauscht. meistens aber nur einseitig – schließlich gibt es bei familien mit kindern zu vielen themen eine hauptsächliche meinung. da viele erzie­hungsberechtigte auch ein hohes maß an frei verfügbarer zeit haben, keimen im kindergarten und dessen umfeld, wie spielplätze und andere freizeiteinrichtungen, sehr viele initiativen, forderungen und aktionen auf. ein erstes treffen findet bald statt, denn kinder verbinden auch die erwachsenen miteinander. „gegner bedürfen einander oft mehr als freunde, denn ohne wind gehen keine mühlen.“ hermann hesse (1877 – 1962, deutsch- schweizerischer schriftsteller) ein beispiel: kindergärten sind die ­ neuen stamm­ tische. die gegner 116

negative emotionen die zwingende basis für jeden widerstand sind negative emotionen zu ­ einem thema oder projekt. betroffenheit, empörung, unzufriedenheit, benach­ teiligung, ängste, gerüchte – alles, was zu einer subjektiv kriti- schen wahrnehmung beiträgt, bezieht eine begründung meist aus objek- tiv festgestellten missständen. durch dramatisierung und übersteigerung wird diese objektive bewertung aber meist deutlich verzerrt und verbreitert damit die basis teilnehmender personengruppen. „ich bin nicht allein“ zweite ebene der pyramide des widerstandes bildet das individuelle empfinden, mit den eigenen negativen emotionen nicht allein zu stehen. das ­ gefühl, andere menschen mit derselben einstellung als potenzielle ansprech­partner zu haben, nicht als spinner in verruf zu geraten, mit einer großen gruppe mehr gehör zu erhalten, bestärkt das eigene bewusstsein. negative emotionen werden dann zur latenten bereitschaft, sich zur wehr zu setzen, in einer gruppe zu agieren, zu handeln. besonders dynamisch entwickeln sich solche prozesse im kommunalen umfeld. wo menschen regelmäßig im dialog stehen, meinungen austauschen, da wächst das be- wusstsein einer gemeinschaftlichen sicht noch dichter, noch schneller an. ob die eigene meinung auch von anderen geteilt wird, testet man unbewusst im eigenen lokalen umfeld. gegenseitige bestätigung und vergewisserung verfestigen dann die haltung im widerstand. auch andere soziale netze, wie gewerkschaften, vereine, verbände, kirchen oder online-communitys, potenzieren diese gemeinschaftskomponente. motivation für widerstand sind negative emotionen vorhanden und werden diese als gemeinschafts- gefühl wahrgenommen, kann darauf die dritte ebene folgen: die motivation für widerstand. der feste wille, gegen etwas aktiv zu werden, geht meist von einzelnen vorkämpfern aus. diese agenten des widerstandes formulieren die wesentlichen triebfedern: sie benennen das problem, zeigen eine mög- liche lösung auf und beschreiben, was dafür zu tun ist. von der überzeu- gungskraft ihrer argumente und auch von ihrer persönlichen ausstrahlung hängt ihre motivierungsfähigkeit wesentlich ab. „verbunden werden auch die schwachen mächtig.“ friedrich von schiller (1759 – 1805, deutscher dichter, philosoph und historiker) motivation ist das auf emo­ tionaler und neurona­ ler aktivität beruhende streben nach ­ zielen oder zielobjekten. motivation steigert damit die ­ handlungsbereitschaft für ­ verhalten. die gegner 118

finanzielle und personelle ressourcen vorhanden. unterstützt durch ehren­ amtliche aktivisten, die bereit sind, viel freizeit für ihre ziele zu opfern, entfalten diese organisationsgruppen dann eine große breitenwirkung, die sich wiederum verstärkend auf die motivationsebene auswirken kann. widerstand braucht kommunikation die höchste stufe der pyramide ist eng verwoben mit der organisation, be- zieht sich aber auf noch weniger menschen: widerstand braucht kommuni- kation – nach innen und nach außen. diese kommunikation wird meist von einzelpersonen gesteuert, die dem protest ein gesicht geben. als vertreter gegenüber journalisten, als redner in veranstaltungen, als strippenzieher der organisation oder als antragsteller gegenüber behörden. diese funk- tion kann nicht von allen gegnern gleichzeitig übernommen werden, weil schon aus rechtlichen zwängen oft ein einzelner ansprechpartner genannt werden muss. gleichzeitig wollen auch nur ganz wenige diese aufgaben übernehmen, weil damit immer auch hohe aufmerksamkeit und verantwor- tung verbunden ist. wie auch bei der organisation übernehmen dann meist partei- oder verbandsfunktionäre diese arbeitsintensive rolle. die einzelnen stufen der pyramide können nun auch rückwärts betrachtet werden: ausgehend von einem starken kommunikator, der zusammen mit anderen die widerstandsplattformen organisiert, werden menschen moti­ viert, in form eines kollektiven „wir sind nicht allein“ ihren negativen emo- tionen ausdruck zu verleihen. widerstände können also „von unten“ aufgebaut oder aber „von oben“ durch einzelne angezettelt und vorangetrieben werden. unser modell zeigt dabei, dass meist nur wenige für organisation und öffentliche kommuni- kation verantwortlich sind. immer wieder sind diese kommunikatoren und organisatoren aber auch die tatsächlich einzigen betroffenen. durch geschickte öffentlichkeitsarbeit erwecken sie dann den eindruck, für eine große masse zu sprechen. viele inszenieren sich sogar als vorkämpfer ganzer gemeinden oder städte. und behaupten, stellvertretend für die schweigende mehrheit derer zu sprechen, die sich nur noch nicht trauen, öffentlich stellung zu beziehen. die gegner 120

4.2. verhalten widerstand gegen vorhaben hat viele gesichter. so unterschiedlich wie die projekte, sind auch die formen des protests . für einen besseren überblick bilden wir fünf kategorien, geordnet nach den schwellen, die einer betei- ligung des einzelnen bürgers entgegenstehen könnten. niederschwelliger widerstand ermöglicht ein einfaches, schnelles und formloses mitmachen, während hochschwellige aktionen aufwendig und zeitintensiv sind. welche hürden der einzelne für eine beteiligung am widerstand überwin- den muss, sagt aber nichts darüber aus, welchen aufwand dessen initiato- ren oder absender haben. aktionen, die über einfache mitmach-verfahren viele erreichen sollen, müssen oft besonders intensiv vorbereitet werden. 4.3. charaktere wer sind die gegner von veränderungen im öffentlichen raum? und warum sind sie dagegen? ließen sich diese fragen so einfach beantworten, würde wohl kaum mehr ein großprojekt in deutschland scheitern. die gründe für widerstand, die härte einer auseinandersetzung und die argumente sind aber immer andere. durch den blick auf praktische beispiele lassen sich zwar wiederkehrenden stereotypen entwickeln – eine verallgemeinerung aber entspräche nicht der realität. die zeiten, in denen bürgerinitiativen aus trägern von sandalen, jutetaschen und bärten bestanden, sind näm- lich längst vorbei! das alte weltbild mit konservativen, die jedes bauvor- haben gutheißen, und grünen umweltaktivisten, die alles fortschrittliche bekämpfen, hat ausgedient. traditionalisten denn vielerorts sind es gerade die traditionalisten, die sich gegen bau- vorhaben und entwicklungen im öffentlichen raum wehren. aus angst vor veränderungen im eigenen umfeld wird das bewährte gepriesen und erhalten. neues, fremdes und unbekanntes werden abgelehnt. dass man zuvor selbst durch neue infrastruktur und wirtschaftskraft profitiert hat, gerät in vergessenheit. das bisher erreichte muss genügen. wachstum war gestern. der eigene wohlstand ist gesichert. und die nächste generation schaubilder „formen des protests“: s. 121 und s. 123. stereotyp ist ein gleich­ bleibendes, häufig ­ vorkommendes muster. meist vereinfacht es einen sachverhalt stark. es steht damit in engem ­ zusammenhang mit ­ klischee oder vorurteil. die gegner 122

muss sich selbst um ihre zukunft kümmern. besonders häufig taucht die- ser typus in wohlhabenden regionen auf. dort haben entwicklungen aus der vergangenheit zu saturiertheit geführt. der hohe erreichte standard erzeugt ein gefühl der sicherheit. im zufriedenen blick auf den status quo werden investitionen für die zukunft abgelehnt. alles funktioniert, also muss sich nichts verändern. not in my backyard der zweite stereotyp sind örtliche nachbarn, aus denen gegner werden. forscher sprechen vom „nimby-phänomen“: not in my backyard. die mit- telbar betroffenen sind nicht grundsätzlich gegen eine immobilie, eine technologie oder gegen infrastruktur – nur eben nicht im eigenen umfeld. dann werden ökologische und soziale argumente beschworen, um die geg- nerschaft emotional zu begründen. die tatsächlichen beweggründe sind aber meist ganz rational: eigentümer befürchten einen wertverlust ihrer immobilien. man nutzt handys, findet windenergie sinnvoll, fliegt gern in urlaub. und kämpft gleichzeitig gegen mobilfunkantennen, gegen wind- kraftanalagen, gegen flughäfen. betroffene menschen die gruppe der nimbys ist klar abzugrenzen von den unmittelbar betroffe- nen. menschen, über deren hausdach plötzlich flugzeuge donnern. men- schen, die tatsächlich ihre heimat verlieren durch ein großprojekt. eine solch objektive einschränkung der lebensqualität führt automatisch zu widerstand. diese eher kleine gruppe setzt sich zunächst intensiv mit den details der planungen auseinander, sucht den dialog mit verantwortlichen und entscheidungsträgern und geht erst auf konfrontationskurs, wenn die- se maßnahmen keinen erfolg haben. weil man tatsächlich etwas zu verlie- ren hat, setzen die wirklich betroffenen schon früh auf lösungsorientierte gespräche und verhandlungen, statt auf krawall oder lautstarken protest. sofern sie ihre ziele dann trotzdem nicht erreichen können, gehen sie ent- weder in resignation oder schließen sich den oft ideologisch geprägten maßnahmen anderer gegner an. „wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“ gustav walter heinemann (1899 – 1976, dritter ­bundespräsident der bundes­republik deutschland) die gegner 124

anti-hedonisten eine dritte strömung klassischer widerstandskämpfer sind sogenannte anti-­ hedonisten oder auch wachstumsgegner. diese stellen jede kleinräumige entwicklung im gesamtkontext der weltwirtschaft dar und verbinden sie mit der frage, ob ein „immer weiter, immer schneller, immer größer“ noch zeitgemäß ist. sie sprechen dann von „entschleunigung“, fordern „nachhal- tiges wachstum“ oder eine verlagerung in „benachteiligte regionen“. die vorreiter dieser bewegung sind in deutschland nicht ortsgebunden: sie pro- testieren in stuttgart gegen den bahnhof, in garmisch-partenkirchen gegen olympia und in berlin gegen den flughafen. dagegensein als lebensein- stellung. und als missionarische botschaft, die menschen vor ort mitreißt. naturschützer davon klar zu trennen sind die motive klassischer naturschützer. diese lehnen veränderungen durch bauvorhaben ab, weil dadurch fläche ver- braucht oder verkehr erzeugt wird. dabei formulieren sie klar, dass ökolo- gie vor ökonomie stehen muss. diese überzeugung manifestiert sich meist auch darin, dass sie sich nicht nur konkret gegen ein einzelnes vorhaben engagieren, sondern an verschiedenen stellen für umweltschutz aktiv sind. durch ihre lebenseinstellung setzen sie in allen bereichen auf ökologie: erneu­ erbare energie, nachhaltiger landbau, umweltschonende materia­ lien, wenig autofahren. in ihrem einsatz für diese wertehaltung entwickeln sie eine hohe leidensfähigkeit und beteiligen sich auch an zunächst augen- scheinlich aussichtslosen aktionen. naturschützer sind überzeugungstäter. lifestyle-grüne ähnlich argumentieren auch die lifestyle-grünen. dem trend der nach- haltigen und gesunden lebensweise folgend, erhebt man einspruch gegen alles, was dieser grünen linie nicht entsprechen könnte. dabei geht es oft um symbolhafte handlungen und darum, ein gutes gewissen zu haben. nicht aus innerer überzeugung ist man gegen eine veränderung vor ort, sondern weil es eben gerade nicht en vogue wäre, dafür zu sein. diese eher wohlhabende gegner-kategorie äußert den umweltgedanken zwar nach ­außen, setzt diesen aber in der tatsächlichen lebensweise nicht konsequent um. es ist chic, den großeinkauf im biomarkt zu machen – auf dem weg dorthin will man aber auf den porsche cayenne nicht verzichten. „die welt ist so schön und wert, daß man um sie kämpft.“ ernest hemingway (1899 – 1961, us-amerika- nischer schriftsteller) die gegner 126

4.4. allein unter freunden? fünf fragen an arno reichert 1. freising kämpft gegen die dritte bahn – sie sind mittendrin. und kämpfen dafür. wie kamʼs? wenn ich von etwas überzeugt bin, trete ich auch dafür ein. als pilot habe ich mich natürlich sehr intensiv mit den fragen zur erweite- rung des münchner flughafens befasst. mit dem ergebnis, dass die dritte startbahn notwendig ist. hautnah erlebe ich immer wieder stau auf dem boden und in der luft. so kommt es in den verkehrs- knoten immer wieder zu verspätungen. das ist nicht wirtschaftlich und verärgert obendrein auch unsere passagiere, die sich sorgen um ihre anschlussflüge machen müssen. 2. aber als freisinger … fürchten sie nicht auch mehr lärm? wir in freising profitieren sehr stark vom flughafen. nicht umsonst haben wir die niedrigste arbeitslosenquote in ganz deutschland. ein starker flughafen sichert also auch ein starkes freising. die ­debatte um lärm wird leider sehr emotional geführt. auch da spre- chen die fakten eine andere sprache. aber damit dringt man nicht mehr durch. mit angst und aggression wird stimmung gemacht. dagegen kommt man kaum an. 3. wie reagieren die menschen auf ihre unterstützung für den flughafen? nachdem ich mich öffentlich im fernsehen für die dritte bahn ausge- sprochen habe, wurde ich von vielen angesprochen. aber ich wurde nicht angefeindet. die menschen wollten einfach wissen, warum ich dafür bin. dieses nachfragen gab mir wiederum die gelegenheit, sachliche argumente darzustellen. auch wenn ich nicht alle über- zeugen konnte, ein paar kamen zumindest ins grübeln. fragen 5  128 5 fragen arno reichert 1285 fragen arno reichert

merken  ermöglichen entstehung widerstand formiert sich wie eine pyramide:  an der basis stehen negative emotionen. zu einem bestimmten thema stehen am anfang: ängste, frust, betroffenheit.  weiß man, dass man damit nicht alleine ist, entsteht motivation, den emotionen im kollektiv ausdruck zu verleihen.  daraus erwächst der wille zur organisation des widerstandes.  an dessen spitze steht schließlich die kommunikation nach außen, die durch ­ einige wenige umgesetzt wird.  der prozess funktioniert auch andersrum: widerstand kann von unten „aufgebaut“ oder von oben „angezettelt“ werden. verhalten  je nach „hemmschwelle“ gibt es fünf unterschiedlich aufwendige protestformen: unterschriftensammlung (wenig aufwand), einfacher online-protest, schriftliche einwände, mündliche einwände und demonstrationen (viel aufwand).  initiatoren der einzelnen aktionen haben einen deutlich höheren aufwand als die einfachen teilnehmer – in form von zeit, verantwortung und kosten. im vorfeld muss eine vielzahl von organisatorischen punkten geklärt werden. charaktere  traditionalisten sperren sich gegen neues: bestehendes, das funktioniert, reicht aus – auch wenn man in der vergangenheit selbst von neuen strukturen und ­ ideen profitiert hat.  nachbarn sind meist gar nicht gegen das projekt – nur eben nicht im eigenen hinterhof. rationale beweggründe verstecken sich dann hinter moralischen argumenten.  direkt betroffene fürchten sich vor einer objektiven einschränkung der lebens- qualität. zumindest am anfang suchen sie aber oft das konstruktive gespräch, bevor es zu einem lauten und ideologisch geführten protest kommt.  die sogenannten anti-hedonisten sehen in ihrem widerstand eine berufung: egal, wo eine auseinandersetzung stattfindet – sie sind dabei.  dagegen engagieren sich die klassischen naturschützer aus umweltgründen: nachhaltigkeit, ökologie, erneuerbares sind ihre triebfedern.  symbolhafte handlungen stehen im vordergrund von lifestyle-grünen. nach ­ außen hin wird eine grüne lebenshaltung propagiert, konsequent umgesetzt wird eine solche meistens nicht.  schlussendlich noch die karriere-opponenten. sie stilisieren sich entweder inner­ halb einer partei oder einer gruppierung als die fürsprecher des widerstandes herauf. und versuchen diese position zum eigenen vorteil zu nutzen. www.verhindern-ermoeglichen.de 130

5. die befürworter bevor wir uns den befürwortern von vorhaben im detail zuwenden, eines vorweg: jede veränderung ist angewiesen auf unterstützer, die nicht selbst vorhabensträger sind. ganz egal, ob es um die einfache zustimmung poli­ tischer gremien geht oder um die stimulation ganzer wählerschichten – einen fan braucht jedes vorhaben. ohne geht gar nichts. denn wer möglich machen will, der braucht mehrheiten. 5.1. entstehung die notwendige unterstützung für ein projekt kann auf zwei ganz verschie- denen wegen entstehen: intrinsisch durch den eigenen willen, sich aktiv für ein thema einzusetzen. oder extrinsisch als gegenbewegung zu protes- ten, die man bremsen und widerlegen muss. intrinsisch entsteht unterstützung – wie auch widerstand – auf der basis individueller emotionen. menschen haben bedürfnisse, hegen wünsche, spüren begehrlichkeit oder entdecken einen mangel. entweder, weil man für sich selbst eine solche feststellung trifft oder weil man durch andere auf notwendigkeiten und wünschenswertes hingewiesen wurde. sieht man für diesen inneren antrieb eine realistische chance auf erfüllung, ist man grundsätzlich bereit, sich dafür einzusetzen. aber: wie auch bei der pyramide des widerstandes hängt die stärke und öffentliche spürbarkeit der unterstützung von der artikulation durch ein- zelne ab. sicher gibt es auch menschen, die sich alleine vorwagen und für etwas kämpfen. die mehrheit wartet ab und schließt sich den vorreitern an. diese vorreiter sind entweder selbst vorhabensträger oder nutznießer der veränderung. getragen von einer nutzungsidee sammeln sie argu- mente, mit denen andere überzeugt werden sollen. und sie suchen nach mehrheiten innerhalb der politischen gremien, die über die durchsetzung des vorhabens zu entscheiden haben. anders als die gegner von projek- ten sind sie nämlich nicht auf die macht der straße angewiesen, sondern auf die zustimmung gewählter entscheidungsträger. und genau an dieser trügerischen sicherheit scheitern große projekte! initiatoren stürzen sich vielmals nur auf die politik, auf die machthaber. dort erwarten sie offene „zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ mahatma gandhi (1869 – 1948, indischer rechts­anwalt, widerstands­ kämpfer, ­revolutionär, ­publizist, morallehrer, asket und pazifist) die befürworter 132

festgelegt hat, kann nur noch mit hohem aufwand vom gegenteil überzeugt werden. dazu müsste man sich nämlich selbst eingestehen, zuvor falsch gelegen zu haben. und das mögen menschen nicht. nur wenn die unterstützer sich früh verbünden, sich mutig äußern, dann können sie diese spirale durchbrechen. nur wenn ein vorhaben unterstüt- zer hat, die ihre zustimmung nicht verbergen, sondern öffentlich zeigen, kann eine schweigende mehrheit aktiviert und stabilisiert werden. öffent- lich zeigen ist aber nicht gleichzusetzen mit medialer präsenz. viel wich- tiger sind gespräche, stammtische und meinungsführer. nicht in schlag- zeilen spürt man mehrheiten, sondern in den häuserzeilen. vor ort. bei den menschen. und menschen wenden sich auf der suche nach meinungen und informati- on immer an gleichgesinnte ihres umfeldes. partner, nachbarn, kollegen, freunde: in jedem lebensbereich gibt es persönlichkeiten, denen man glauben schenkt, denen man vertraut. deren meinung man achtet. oder ­ annimmt. personen, die diese funktion in verschiedenen rollen einneh- men, sind politische meinungsführer. selbst wenn sie selbst nicht politisch aktiv sind, wird ihnen hohe kompetenz und wissensvorsprung zugemes- sen. oft äußern sie sich als erste zu einem thema, können ihre meinung fundiert erläutern und andere überzeugen. wenn diese meinungsführer zu botschaftern von vorhaben werden, also in ihren jeweiligen wirkungskreisen für ein projekt sprechen, steigen die aussichten auf durchsetzung. und umsetzung. 5.2. charaktere wenn also jedes vorhaben einen fan braucht, wenn aus schweigenden unterstützern lautstarke botschafter werden sollen: wer kommt dafür in frage? wer sind die typischen treiber in pro-bewegungen? auch hier gibt es unterschiede von projekt zu projekt. von ort zu ort. aber es lassen sich stereotypen skizzieren, die immer wieder vorne mitspielen, wenn es um die befürwortung von veränderungen im öffentlichen raum geht. die befürworter 134

doch die praxis ist schon einen ganzen schritt weiter. wenn landesregie- rungen, die objektiv und rational sehr erfolgreich gearbeitet haben, vom wähler in die opposition geschickt werden, ist das nicht ein klarer hinweis auf die dominanz von emotionen? vor ort wird das noch viel stärker sicht- bar: wenn bei ansiedlungen von gewerbe die steigenden steuereinnahmen dem leid betroffener anwohner gegenüberstehen – kann eine mehrheit dann rational denken? natürlich nicht. klare fakten haben gegen starke emotionen keine chance. bei jeder entscheidung spielen kopf und bauch eine rolle. oft stimmen beide überein. im zweifel aber gibt letztlich der bauch den ausschlag. auch im echten leben. oder schauen sie bei der speisekarte immer nur auf die rechte seite …? wachstums-verfechter eine zweite gruppe klassischer befürworter größerer vorhaben im öffentli- chen raum bilden die wachstums-verfechter. aus ökonomischen gesichts­ punkten begrüßen sie ein mehr an bebauung, gewerbe oder infrastruktur. weil wachstum aus ihrer sicht eben wohlstand schafft. entlang dieser vereinfachten formel müssen umweltaspekte zurücktreten. und zusätz- liche lärm- oder verkehrsbelastung ist eben ein notwendiges übel, um mehr wachstum möglich zu machen. außerdem dürfe der staat nicht alles reglementieren und müsse der wirtschaft freien lauf gewähren. anhän- ger dieser argumentation gehören gleichzeitig zum wirtschaftsliberalen wählermilieu. selbstdarsteller wie auch bei den gegnern finden sich in den reihen der befürworter immer wieder selbstdarsteller. gerne drängen sie sich an die spitze einer pro- gruppe, weil sie dort mediale aufmerksamkeit erzielen. entweder, um das eigene geltungsbedürfnis zu bedienen oder um der parteikarriere mehr auf- wind zu verleihen. nicht selten sind sie über das vorhaben nur oberfläch- lich informiert, greifen es zufällig auf und argumentieren demnach eher auf rationaler ebene. das spüren die menschen. denn es fehlt herzblut. es fehlen emotionen. die befürworter 136

5.3. konfrontation mit den gegnern jedes vorhaben hat anhänger und gegner. mal ist die mehrheit deutlich, mal steht es patt. kommt es zur politischen konfrontation, prallen argu- mente aufeinander. und personen. nicht selten bilden sich tiefe gräben, deren überwindung jahrzehnte in anspruch nehmen kann. wer eskalation vermeiden will, muss deren ursachen kennen. und die klassischen streit- themen. da veränderung nicht immer, aber eben doch sehr oft mit bauen zu tun hat, können wir zunächst die klassischen argumente und den jeweili- gen gegenpart anhand eines immobilienvorhabens beispielhaft darstellen. wie hoch die gewerbe­ steuer sein wird, hängt von der konjunktur ab. darauf kann man sich nicht verlassen. ganz im gegenteil: für die ansiedlung muss zu­ sätz­ liche infrastruktur geschaffen werden. das schadet dem haus­ halt. und das geld fehlt an anderer stelle. von der zusätzlichen gewerbesteuer profi­ tiert der kommu­ nale haushalt. davon ­ können wir investi­ tionen in soziales und bildung tätigen. die befürworter 138

wir müssen an die ge­ samte region denken. kirchturm­ politik bringt uns nicht weiter. wenn wir das projekt nicht zu uns holen, kommt es eben zu den nachbarn. dann haben wir keine steuer- ein­ nahmen und nur den verkehr. das wahnsinns- wachstum muss ­ gestoppt werden. wir müssen ein ­ zeichen für die gan­ ze ­ region setzen. um uns herum wachsen alle. wir verlieren den anschluss, wenn wir nicht mithalten. die befürworter 140

durch den riesigen flächenverbrauch haben unsere ­ kinder keine mög­ lichkeit mehr für ­ eigene planungen. und wir rauben ­ ihnen eine gesunde umwelt mit unver­ brauchter natur. wenn wir diese chance nicht er­ grei­ fen, rauben wir ­ unseren kindern die perspektive für ihre zukunft. das nutzungskonzept ist rundum schlüssig. und falls es wirklich anders kommt, eignet sich das gebäude für viele verschiedene folgenutzungen. wenn das mit der ­ nutzung nicht läuft, steht das gebäude leer. eine hässliche ­ ruine in der landschaft bleibt zurück. die befürworter 142

5.4. eskalation von streitthemen immer dann, wenn mehrere menschen eine gemeinsame entscheidung tref- fen müssen, werden zunächst argumente ausgetauscht. wenn eine fami­ lie ihren urlaub plant, wenn ein unternehmensvorstand über eine neue strategie entscheidet, wenn ein sportverein neues equipment anschafft. und natürlich wenn ein kommunales gremium politische entscheidungen trifft. nicht immer muss es streit geben. aber es gibt einige faktoren, die eine eskalation nahezu unvermeidbar machen. wer sie kennt, kann schlich- ten. und wer führungsverantwortung hat, der muss schlichten. denn streit schadet einer kommune – nach innen und nach außen. wer die typischen auslöser für streit, schlammschlachten und politische kriege kennt, kann sie vermeiden – und kann kompromisse ermöglichen. wir haben zehn klassische eskalations-treiber identifiziert – nicht immer tauchen alle auf. einen aber finden sie bei jedem vorhaben. versprochen. 1. unvereinbare positionen: schwarz oder weiß. ja oder nein. je stärker eine auseinandersetzung zugespitzt wird, umso härter wird der streit. noch schlimmer: die beiden positionen schließen sich gegenseitig aus. ist dann ein kompromiss unwahrscheinlich oder gar unmöglich, wird jeder anders- denkende bekämpft. 2. keine bereitschaft zum kompromiss: je weniger jeder von seiner posi­ tion abrücken will, umso härter werden die fronten. man will sein gesicht wahren, will als sieger vom feld gehen. eingeständnisse sind niederlagen. sofern jeder auf seinem standpunkt bleibt, ist eine lösung unmöglich. da- ran ist dann wiederum der jeweils andere schuld. 3. keine führung oder moderation: wenn eine diskussion nicht vernünftig geleitet wird, sind alle sich selbst überlassen. im chaos gärt streit beson- ders gut. ist die führung einer nicht-neutralen stelle übertragen, führt for- melle benachteiligung zu noch mehr frust. ist der streit dann schon akut, gerät man ohne vermittelnde, schlichtende person in echten zoff. 4. grüppchenbildung: prallen nicht nur zwei meinungen und zwei perso- nen aufeinander, sondern ganze gruppen, wird es richtig laut. man hetzt sich gegenseitig aufeinander los und die jeweiligen protagonisten sehen „was nicht umstritten ist, ist auch nicht sonderlich interessant.“ johann wolfgang von goethe (1749 – 1832, deutscher dichter) 144 die befürworter

5.5. unterstützer werden zu botschaftern fünf fragen an heinz mohr 1. wie haben sie mitstreiter und botschafter für den olympia- bürgerentscheid 2011 gefunden? mitstreiter und botschafter haben wir anfangs durch direkte anspra­ che von überzeugten und bekannten olympia-befürwortern gewon­ nen. auch experten aus unterschiedlichen bereichen haben uns unterstützt. diese wiederum haben als anerkannte meinungsbild- ner unsere botschaft verbreitet und dadurch weitere mitstreiter akquiriert. die große masse an vereinsmitgliedern haben wir dann durch unsere website, durch facebook, durch mehrere öffentliche infoveranstaltungen sowie durch unsere öffentlichkeitsarbeit in den medien überzeugt. vor allem die digitalen medien waren hilfreich, um unsere botschaften schnell und aktuell zu kommunizieren. 2. welche eigenschaften sollte ihrer meinung nach ein guter botschafter mitbringen? ein vertrauenswürdiger botschafter sollte zum einen über fachkun- dige, fundierte informationen verfügen. außerdem steht ein fairer umgang mit den gegnern an oberster stelle. entscheidend aber ist ein leidenschaftlicher einsatz für ein positives projekt. wer nicht mit dem herz kämpft, gibt häufig nach kurzer zeit auf. die menschen spüren, ob jemand wirklich hinter einem vorhaben steht. vor allem bei prominenten befürwortern spielt authentizität ­eine zentrale rolle. wer keinen bezug zum ort oder zum thema hat, wirkt schnell unglaubwürdig. mit maria riesch, verena bentele oder felix neureuther hatten wir das glück, besonders vertrauenswür­ dige, engagierte unterstützer gefunden zu haben. jemand, der heute für zahnpasta wirbt und morgen für süßigkeiten, verliert schnell an glaubwürdigkeit. 3. welche rückmeldung haben sie von den menschen in ­garmisch-partenkirchen erhalten? das wichtigste feedback war für uns die zahlreich geäußerte mei- nung, dass sich endlich auch die befürworter am ort zu wort mel- den und aktiv werden. jemand, der ihre meinung vertritt. deshalb fragen 5 5 fragen heinz mohr  146

merken  ermöglichen entstehung  ohne unterstützer hat kein projekt aussicht auf realisierung. mitstreiter findet man nicht nur bei politischen vertretern, sondern vor allem auf informeller ebene.  aber nur wenige sind bereit, ihre unterstützung für ein vorhaben öffentlich zu deklarieren – auch wenn sie davon profitieren.  befürworter müssen sich frühzeitig vernetzen: wenn sich die befürworter erst als gegenpol zum bereits bestehenden widerstand formieren, ist es manchmal schon zu spät.  meinungsführer und testimonials müssen gewonnen werden: sie äußern offen ihre unterstützende haltung, stehen zu ihr und mobilisieren weitere befürworter. charaktere  rationale denker wiegen vor- und nachteile ab, setzen auf eine sachlich-analyti- sche argumentation. emotionalisiert sich die debatte, verlieren sie an bedeutung.  für die wachstums-verfechter ist ein „mehr“ aus ökonomischen gründen ­ begrüßenswert. negative externe effekte wie zusätzlicher lärm oder verkehr sind ein notwendiges übel.  selbstdarsteller ergreifen die initiative, um sich profilieren zu können. ober- flächlich und ohne herzblut setzen sie sich für die sache ein – nur zum eigenen vorteil.  unter einem mangel an glaubwürdigkeit leiden die direkten nutznießer. aus ­ diesem grund bleiben sie oft lieber im hintergrund.  dafürsein aus prinzip – das sind die anti-antis. sie rekrutieren sich aus dem ­ antagonismus zum widerstand und bekämpfen daher auch die alten linken und grünen feindbilder.  am wichtigsten ist aber der ehrliche unterstützer. mit zielen und visionen setzt er sich für die zukunft ein – ohne andere, niedrige beweggründe. konfrontation  mit welchen aussagen wird man konfrontiert werden? alle möglichkeiten sollten durchgegangen werden. so kann man sprachlosigkeit oder kurzschlussreaktio- nen bei diskussionen und anderen verbalen auseinandersetzungen vermeiden. eskalation  wie sich eine debatte entwickelt, hängt maßgeblich vom verhalten der beteilig- ten ab. es sollte unbedingt vermieden werden, dass eine eskalation von der ­ eigenen seite ausgeht. will man führungsverantwortung zeigen, muss man schlichten können. dafür gibt es einige grundregeln in bezug auf organisation, kommunikation und moderation. www.verhindern-ermoeglichen.de 148

6. die mitspieler wäre die diskussion um vorhaben im öffentlichen raum ein tennismatch, würden jetzt drei spieler auf dem platz stehen: gegner, befürworter und politik. für ein gelungenes doppel aber fehlt noch einer. oft ist er der matchwinner. denn er stammt aus dem team der „unabhängigen“: gut- achter, journalisten, architekten, planer und lobbyisten. die haben oft ganz entscheidende bälle in der hand. und selbst, wenn sie eigentlich als schiedsrichter gerufen wurden – sie greifen ein und drehen das spiel. ­ dieser ­ unterschätzten macht widmen wir uns im folgenden kapitel. 6.1. gutachter eine gute allgemeinbildung haben viele. doch kann jeder beurteilen, wie viel ein unfallwagen noch wert ist oder ob eine lautstärke von 80 dezibel gesund­heitsschädigend ist? hierfür werden gutachter zu rate gezogen. als experten ihres fachs besitzen sie die nötige expertise, um bei entschei- dungen beratend zur seite zu stehen. regierungen und parlamente ste- hen gutachter als berater zur seite. gerichte benötigen sachverständige zur aufklärung von straftaten. von versicherungen werden gutachter zur schadensermittlung und -bewertung eingesetzt. privatpersonen setzen bei kraftfahrzeug- oder bauschäden auf die expertise von sachverständigen. und auch kein großprojekt kommt heutzutage ohne die inanspruchnahme verschiedener sachverständiger aus. die besondere sachkunde gutachter ist eine berufliche funktion – keine berufsbezeichnung. in deutschland ist die bezeichnung nicht geschützt. die konsequenz: ­ jeder kann gutachter sein. nichtsdestotrotz müssen sachverständige über be- stimmte voraussetzungen verfügen. zum einen die fachliche kompetenz, die besondere sachkunde. überdurchschnittliche expertise macht einen gutachter zu einem gutachter. im regelfall erworben durch ein hochschul- studium sowie mehrjährige berufserfahrung, eine standardisierte ausbil- dung gibt es nicht. eine weitere kompetenz, die häufig vernachlässigt wird: die fähigkeit, gutachten so zu erstellen und vorzutragen, dass sie auch vom laien verstanden werden. „das schicksal mischt die karten, wir spielen.“ arthur schopenhauer (1788 – 1860, deutscher philosoph, ­autor und ­hochschul­lehrer) die mitspieler 150

wenn dritte mitmischen … schwarze schafe gibt es überall – auch unter sachverständigen. stimmt ein gutachten auffällig stark mit den wünschen des auftraggebers überein, wird rasch der begriff des gefälligkeitsgutachtens in den raum geworfen. also ein gutachten, das sich nicht an sachlicher und fachlicher richtig- keit orientiert. stattdessen aber am interesse des kunden oder einer sonst begünstigten partei. mancher auftraggeber sucht sich gezielt einen bieg- samen, willigen sachverständigen aus, der die im vorfeld besprochenen werte „hinrechnet“. die grenzen zwischen einer möglichst günstigen darstellung und bewer- tung von fakten und einer absichtlich falschen begutachtung sind fließend. beweise sind schwierig zu erbringen, sind bisweilen kaum möglich. falsche begutachtungen sind allerdings strafbar – ein gutachter haftet persönlich. bei großen bauvorhaben eine hohe finanzielle belastung. vermeintlicher „kompromiss“ sind streitparteien unterschiedlicher ansicht, werden häufig sachverstän- dige zu rate gezogen. alle hoffnung wird dann in das gutachten gesetzt. sollte doch dessen ergebnis von allen als allgemeingültige antwort akzep- tiert werden können. das gelingt aber nur selten. kommt ein sachverstän- diger zu einer anderen schlussfolgerung, als von einer der parteien erhofft, wird ein vermeintlicher kompromiss wieder hinfällig. was tun, wenn man das ergebnis eines gutachtens nicht akzeptieren will? oftmals wird dann ein zweites gutachten eingeholt. gutachten und gegengutachten viele gutachter, viele meinungen. häufig beauftragen bei einem großpro- jekt mehrere interessengruppen gutachter: bauherren, gegner, befürwor- ter, politiker. kommen die sachverständigen zu unterschiedlichen schluss- folgerungen, bedeutet dies unweigerlich eine zeitliche verzögerung des projektes. gutachten geben einem konflikt neue nahrung. denn welchem gutachten soll man glauben schenken? zeigen sachverständige gegensätz- liche empfehlungen auf, verlieren unbeteiligte den überblick – und das vertrauen in die aussagen jeglicher gutachten. „so viele köpfe, so viele meinungen.“ (lateinisches sprichwort) die mitspieler 152

kontroverse themen generieren mehr aufmerksamkeit und erhöhen damit die auflage. weiterhin regen sie stärker dazu an, leserbriefe zu verfassen, was wiederum zu einer folgeberichterstattung führt. die konsequenz: für positive themen steht häufig kein medium zur verfügung – schlichtweg, weil das thema in den augen der journalisten nicht aufmerksamkeitsstark genug ist. bilder sind stärker als das geschriebene wort bilder erzählen mehr als worte. sie emotionalisieren und ermöglichen iden- tifikation. medien arbeiten daher stark bildorientiert. mitreißende foto­ motive liefern meist die gegner und weniger die befürworter. ein grund, weshalb häufig kontroversen der gegner im mittelpunkt medialer bericht- erstattung stehen. insbesondere boulevardmedien setzen auf starke bilder. das bild der journalisten in der öffentlichkeit ist durch den boulevard- journalismus negativ geprägt. hier gilt die devise: keine fakten, sondern aufreger. keine informationen, sondern emotionen. die eigene meinung ist stärker als fakten journalisten sind auch nur menschen. sie haben zu einem thema meist ­eine eigene meinung, versuchen diese aber in berichten so wenig wie möglich durchsickern zu lassen. was in der theorie einfach klingt, ist in der praxis nicht immer möglich. die grenzen zwischen einem kommentar und einem sachlichen bericht sind fließend. eigene meinung und standpunkte fließen unbewusst mit ein, partei für eine bestimmte sichtweise wird ergriffen. mancher lokaljournalist gehört sogar selbst der politischen gemein­schaft an. eine neutrale, objektive berichterstattung ist dann kaum gewährleistet. vermögen ist stärker als unabhängigkeit ein weiterer grund für fehlende transparenz: medien finanzieren sich durch werbung. lokale anzeigenblätter finanzieren sich ausschließlich durch an- zeigenerlöse. doch oft beobachten wir heute inquisitions-journalismus: es wird gejagt und vorverurteilt. robin hood lebt. und der „gute“ journalist selbst entscheidet über gut und böse, über richtig und falsch. meinung und meinungs­ bildung: kap. 7 die mitspieler 154

der emanzipierte aufklärer der dritte typus solidarisiert sich nicht nur mit minderheiten, sondern setzt sich bewusst von der mehrheitsmeinung ab. der emanzipierte aufklärer möchte die rezipienten wachrütteln, indem er ausdrücklich den gegensatz der vermeintlichen mehrheit beleuchtet. er widerlegt thesen und sucht gezielt nach gegenargumenten. der stil der bild-zeitung propagiert für ihn das vermeintliche massenmedium – diesem will er sich widersetzen. der emanzipierte aufklärer ist unabhängig, störrisch und autonom. sein an- spruch: die menschen aufklären und auf argumente aufmerksam machen. der faire solidarist gegensätzlich hierzu: der faire solidarist. derjenige, der sich mit den ver- meintlich schwachen, den weniger mächtigeren, verbündet. er will den betrof­fenen helfen und ihnen gehör verschaffen. der solidarische jour- nalist geht seiner arbeit meist mit leidenschaft nach und kämpft für den armen nachbarn – und gegen die vermeintliche mehrheit. sein eigenes menschenbild sickert durch. er ist aus überzeugung journalist, weil er in seiner arbeit die chance sieht, minderheiten zu unterstützen. der wirtschaftsorientierte sklave in zeiten hoher medienkonkurrenz kämpfen medienunternehmen ums wirt- schaftliche überleben. machterhalt und sicherheit bestimmen die ­ arbeit von journalisten. der wirtschaftsorientierte sklave gehorcht den weisungen seiner geldgeber. abhängig von wirtschaftlichen interessen besteht das ziel darin, möglichst hohe auflagen und einschaltquoten zu erreichen. der devote journalist befindet sich häufig im zwiespalt zwischen den unterneh- merischen zielen seines chefs und seiner moralischen vorstellung eines guten journalisten. er entwickelt oftmals eine egal-einstellung und verrich- tet seine arbeit ohne persönliches herzblut. eine tiefgründige recherche findet nicht statt. vielmehr wird auf pressematerialien zurückgegriffen, um beiträge schnell und effizient zu produzieren. 156 die mitspieler

gleichzeitig werden initiatoren mit dem web 2.0 unabhängiger von den klassischen medien. neue kommunikationsformen wie websites, soziale netzwerke oder blogs ermöglichen befürwortern und gegnern, ihre inhalte direkt zu verbreiten. öffentlichkeit lässt sich so schneller generieren. ein intensiver dialog wird möglich. flyer, broschüren & co. müssen nicht mehr kostenintensiv gedruckt und verteilt werden. auch eine kleine initiative kann trotz relativ geringe finanzielle mittel so viele menschen erreichen. digitale medien ersetzen die klassische medienarbeit nicht, können die- se aber ergänzen. mediale aufmerksamkeit durch tageszeitungen, radio oder fernsehen spielt auch in zukunft eine wichtige rolle. die beziehung zwischen initiatoren und journalisten kann jedoch eine andere werden, in- dem sich befürworter und gegner zunehmend von den klassischen ­medien emanzipieren. 6.3. lobbyisten ein angespanntes verhältnis zeigt sich häufig zwischen journalisten und lobbyisten: einerseits dienen medien den lobbyisten als sprachrohr, ande- rerseits versuchen journalisten illegitime machenschaften von lobby­isten aufzudecken. doch vorab eine grundsätzliche frage: was ist ein lobbyist und welche ziele verfolgt er? der begriff lobbyismus stammt vom englischen wort „lobby“. vertreter ver- schiedener gruppen versuchten, in der vorhalle des parlaments – der lob- by – einfluss auf die parlamentarier auszuüben. ein lobbyist ist demnach jemand, der abgeordnete für seine interessen zu gewinnen sucht. informa- tionen werden kanalisiert mit dem ziel, entscheidungen zu verhindern, zu unterstützen, zu beschleunigen, zu verzögern oder auch zu ändern. wie dies gelingt? indem den entscheidungsträgern bedeutungsvolle infor- mationen, wie interessen von betroffenen oder wissenschaftlich fundierte fakten, gezielt vermittelt werden. möglichkeiten zur einflussnahme gibt es viele. zählten einst parlamentarische briefe zu den zentralen kommu- nikationsmitteln, bieten heutzutage das internet und social-media-kanäle völlig neue möglichkeiten. gerade im politischen lobbyismus ist der mikro­ blogging-dienst twitter ein zentrales medium zur einflussnahme. nach wie vor sind es aber die persönlichen kontakte in der politischen szene, die von lobbyisten versuchen entscheidungen von poli­ tikern zu beeinflussen. die mitspieler 158

seinen sitz wie der wirtschaftsverband der forschenden pharmaunterneh- men (vfa) oder der bundesverband der verbraucherzentrale. auch lose bündnisse wie bürgerinitiativen zählen dazu. verbände wollen eigeninteressen durchsetzen. klar. die einen orientieren sich stärker am gemeinwohl als andere. menschenrechtsorganisationen, wie amnesty international oder der anti-korruption-verband transparency international, sind hier beispielhaft zu nennen. jedoch gilt zu beachten: auch umweltschutz oder menschenrecht sind letztlich interessen. einzelne verbände bilden zunehmend allianzen und schaffen so ein gemeinsames sprachrohr. erfolgreiches lobbying setzt auf gemeinsame ziele. mehrdi- mensionalität und vernetzung von themen erschwert es ihnen zuneh- mend, gemeinsame positionen zu entwickeln. fachliche expertise und insider-wissen werden immer wichtiger. schließlich ziehen diese aufmerk- samkeit auf sich. alternativ lässt sich auf konfrontation und provokation setzen: eine strategie, welche die verbraucherorganisation „foodwatch“ aus dem effeff kennt. das inzwischen in die jahre gekommene verbändesystem funktioniert heutzutage nicht immer reibungsfrei. die folge: unternehmen müssen selbst aktiv werden und gezielt lobbying betreiben. insbesondere große konzerne nehmen ihre interessenvertretung selbst in die hand. wer es sich finanziell leisten kann, eröffnet in berlin oder brüssel ein eigenes ­ büro. vor allem autobauer, banker, pharmakonzerne und finanzdienstleister leisten sich eigene lobbyisten. sind damit berlin und brüssel mekka der strippenzieher? konzernkommunikation und politik – so lautet häufig die bezeichnung für unternehmensinterne lobbyisten. im grunde geht es wie bei den ver- bänden darum, kontakte zu knüpfen, eigene interessen gegenüber ent- scheidungsträgern zu vertreten und das unternehmen ins rechte licht zu rücken. kurzum: lobbyismus. politiker können nicht alle zahlen und fak- ten im kopf haben. sie sind also auf detailinformationen aus unternehmen angewiesen. unternehmenslobbyismus verbindet damit vier voneinander getrennte bereiche: wirtschaft, medien, verwaltung und politik. die öffentlichkeit bleibt oft außen vor. lobbyarbeit von unternehmen ist daher besonders unternehmen werden selbst aktiv: unterneh­ menslobbyisten in ­ berlin und brüssel sind ­ heutzutage alltäglich. die mitspieler 160

lobbyismus als schattenpolitik? anders als in den usa wird lobbyarbeit in deutschland nicht durchweg als demokratische interessenvermittlung bewertet. die durchsetzung eigener interessen ist jedoch eine legitime und zugleich notwendige maßnahme zur politischen wissensbildung. schließlich entsteht aus der vielfalt von einzelinteressen das gemeinwohl. soweit die theorie. zwischen legitimer meinungsbildung und illegitimen maßnahmen liegt eine breite grauzone. in dieser ist nicht immer ein­deutig geklärt, was verboten ist und was nicht. lobbyismus ist von einem wandel geprägt. unternehmen drängen mit eige­ nen lobbyisten in den markt. und mittelständische unternehmen beschäf­ tigen auftragslobbyisten. lobbyisten übernehmen dabei zunehmend eine allround-funktion. sie sammeln informationen, setzen strategien auf und greifen auf mediale maßnahmen zurück. dennoch steht weiterhin die kom- munikation von mensch zu mensch im fokus. dies schafft vertrauen und sichert zustimmung. licht und schatten gibt es überall – auch im lob- byismus. sicherlich trägt dieser nicht immer eine weiße weste, dennoch ist lobbyarbeit keine schlammgrube. lobbyismus polarisiert. spaltet die öffentliche meinung. ist aber nicht per se verwerflich. eine pluralistische gesellschaft lebt von meinungsvielfalt und divergierenden einzelinteres- sen. die aufgabe der entscheider ist es, die erhaltenen informationen zu bewerten. letzten endes liegt es in der hand des abgeordneten selbst, ob- jektive informationen von einflussnahme zu unterscheiden. wer jedem lockruf folgt, hat selbst versagt. den lobbyisten die schuld in die schuhe zu schieben, ist hier fehl am platz. so darf sich derjenige, der mit seiner arbeit einen vorteil für dritte – für die gesellschaft – schafft, einen guten lobbyisten nennen. das image von lobbyisten ist in deutschland meist negativ gefärbt. die mitspieler 162

lutz heese ist seit novem­ ber 2003 präsident der bayeri- schen architektenkammer. 1948 in berlin geboren, ­ studierte er in aachen und münchen architektur, wo er 1979 sein erstes ­ unter­ nehmen gründete. 6.4. widerstand leisten, neues schaffen gastbeitrag von lutz heese mit diesem aufruf „an die männer und frauen, die das 21. jahrhundert gestaltet“ – beendet der im februar 2013 verstorbene schriftsteller und un-diplomat stéphane hessel seinen bestsel- ler „empört euch!“. mit diesem appell trifft er eine stimmung in deutschland, die sich für den widerstand gegen große und klei- nere projekte engagiert. er trifft auf eine stimmung, die zum enga- gement aufruft. er trifft auf eine gemütslage, die lernen muss, mit dem umstand umzugehen, dass insbesondere die ökonomischen rahmenbedingungen nicht allein national beeinflussbar sind, son- dern internatio­ nal definiert werden. es ist nachvollziehbar, dass gerade zu einem solchen zeitpunkt der drang, die umstände, die das miteinander einer gesellschaft definieren, zu beeinflussen, ausgesprochen stark ist. der wunsch, veränderungen mitzuformulieren und mitzubestimmen, zeugt von verantwortungsbewusstsein. verwunderlich ist es somit nicht, dass die globalen fragen der umorientierung marktwirtschaftlicher prinzipien ebenso wie die ei- ner tatsächlichen energiewende zu einem verstärkten bürgerschaft- lichen engagement führen. diejenigen, die sich engagieren wollen, müssen sich die frage stellen, ob sie als einzelpersonen diese kom- plexen globalen herausforderungen beeinflussen können und in welcher form sie ihr engagement organisieren. und so ist es verständlich, dass die motivation groß ist, sich vor allem auf der lokalen bzw. regionalen ebene zu engagie- ren, und direkt einfluss zu nehmen. warum entsteht der eindruck, dass es insbesondere die planungs- und baupro- zesse sind, die zum begriff des engagierten „wut-bürgers“ geführt haben? hier muss die gegenfrage erlaubt sein, in welcher anderen diszip- lin neben der raumplanung und der architektur vorhaben in der planungsphase einer öffentlichen diskussion ausgesetzt werden. seit den 70er jahren verfügen wir über bauordnungsrechtliche in- strumente, die die möglichkeit der beteiligung der öffentlichkeit gastbeitrag die mitspieler  164

der versuch unternommen wird, möglichst vielen normen zu ent- sprechen, entsteht dadurch noch lange keine architektur, es ent- steht lediglich ein dem stand der technik entsprechendes bauwerk. wenn eine solche planung nun noch mit ambitionierten vorgaben an die energetische nutzung versehen wird, muss dadurch auch noch keine gute architektur entstehen. es entsteht ein gebäude, das dem stand der technik und ambitionierten energetischen an- forderungen entspricht. wir haben bis hierher jedoch weder vom nutzer und von seinen wünschen, noch von der gesellschaft und ihren bedürfnissen gesprochen. feststellbar ist aber bereits an die- sem punkt, dass alle genannten faktoren kosten verursachen. an dieser stelle muss sich eine gesellschaft fragen, für welche werte sie steht. wir müssen uns fragen, ob wir als die dekade in die geschichte eingehen wollen, die sich durch den werbeslogan einer elektronikhandelskette beschreiben lässt, der zwei todsün- den beinhaltet. wenn bildung und innovationsgeist als wertvolle fähigkeiten erkannt werden, zeitgleich jedoch eine bildungsmisere beklagt wird, so sollte das bildungssystem uns so viel wert sein, dass genau hier investiert wird. das gegenteil ist der fall. schul- zeit sowie studiendauer werden verkürzt. weniger als 10 prozent des wissenschaftlichen personals an deutschen hochschulen und universitäten sind professoren, während im angloamerikanischen raum diese zahl bei 35 prozent liegt.die räume, die die qualitäten bieten sollen, um ein flexibles, kreatives umfeld zu gestalten, wer- den auf der basis von durchschnittswerten kalkuliert. es muss die gegenfrage erlaubt sein, wie innovation und kreativität entstehen können und sollen, wenn zeitgleich der „konstruierte durchschnitt“ die vorgaben definiert. 3. nehmen architekten inzwischen die bürger-wut vorweg und planen lieber vorsichtig, als mutig und innovativ? grundsätzlich erfordert jedes bauvorhaben mut. trotz des scheinbar absichernden gefühls einer umfassenden regelungsdichte im pla- nungs- und baubereich ist jedes gebäude eine innovation, die auf den spezifischen ort reagiert. hiermit sind jedoch weder technische oder ästhetische innovationen verbunden. innovationshemmend wirkt aber sicherlich folgender umstand: der architekt schuldet seinem bauherrn vertraglich ein „dauerhaft gastbeitrag die mitspieler  166

 seit 2010 ist heese zudem ­ ehrenhalber fellow der royal institution of chartered ­ surveyors (rics) ein weltweit tätiger berufsverband von immobilienfachleuten und immobiliensachverständigen. hier liegt womöglich die größte herausforderung für die planer. ar- chitekten wurden in der vergangenheit in deutschland in diplom- ingenieurstudiengängen ausgebildet. eine wesentliche eigenschaft von ingenieuren ist es, probleme zu lösen. diese fähigkeit ist und bleibt eine grundvoraussetzung für die ausübung des architekten- berufs. möglicherweise müssen wir jedoch auch trainieren, verstärkt fragen zu stellen und gespräche zu führen, bis wir zweidimensio- nale antworten in planform geben. durch eine intensivere beteili- gung im vorfeld der präsentation planerischer lösungen muss nach tatsächlichen bedürfnissen gefragt werden. und sicher ist es ziel- führender, mit der bevölkerung über qualitäten und nutzungsmög- lichkeiten eines öffentlichen raumes oder platzes zu diskutieren, als über seine gestalterische ausprägung. wenn durch gemeinsame definitionsarbeit vertrauen zwischen nutzer, bauherrn und planer aufgebaut wird, müssen gestaltungsfragen nicht öffentlich diskutiert werden. vielmehr können nutzungsmöglichkei- ten entstehen, die durch frühzeitige beteiligung von der be- völkerung formuliert wurden und die im besten fall zudem innovativ sind. vor allem aber kann es nur so gelingen, eine tatsächliche verbindung und verwurzelung herzustellen. beispiele hierfür finden sie in diesem buch. gastbeitrag die mitspieler  168

merken  ermöglichen gutachter  gutachter sind experten: mit ihrem fachwissen beraten sie politiker und ­ privatmenschen in ihren entscheidungen – und können damit maßgeblich auf die ­ ausgestaltung baulicher vorhaben einwirken.  neben der expertise ist vor allem eines wichtig: unabhängigkeit. bestehen ­ daran zweifel, ist die glaubwürdigkeit dahin – daher sind sie zur objektivität verpflichtet. aber auch die gegenseite kann gutachter einsetzen: steht gutach- ten gegen gutachten, verkompliziert sich die situation. und mindert die glaub- würdigkeit der jeweiligen aussagen. journalisten  medien steuern die öffentliche debatte: ob man will oder nicht gehören sie auch zu den mitspielern. denn erst die mediale beachtung rückt ein vorhaben in das zentrum der diskussion.  journalisten sensibilisieren die menschen durch ihre arbeit und fördern die bürger­ beteiligung. mit ihrer arbeit bieten sie eine plattform für argumente, ­ positionen und meinungen. auch wenn journalisten an einen ethischen arbeits- kodex gebunden sind: nicht jede berichterstattung ist objektiv.  dem perfekten journalisten entspricht der neutrale idealist: ausgewogene ­ berichterstattung statt subjektiver meinungsmache.  ihm gegenüber steht der verfechter der mehrheitsmeinung, der sich immer am konsens orientiert und den populismus sucht.  der emanzipierte aufklärer setzt sich bewusst für die minderheit ein: mit der ­ gezielten suche nach argumenten gegen die mehrheitsmeinung sollen die leser sensibilisiert werden.  ihm ähnelt der faire solidarist. dieser sieht seine arbeit als berufung, um die vermeintlich schwachen zu unterstützen und ihnen eine stimme zu geben.  ganz anders der wirtschaftsorientierte sklave: wirtschaftlich ist er von den geldgeber seines mediums abhängig, dementsprechend ist sein stil. lobbyisten  lobbyisten versuchen abgeordnete, für ihre interessen zu gewinnen, um ent- scheidungen zu verhindern, zu unterstützen, zu beschleunigen oder zu verzögern.  wichtigstes mittel zur einflussnahme sind nach wie vor persönliche kontakte mit entscheidungsträgern.  die bandbreite an lobbygruppen ist groß: neben verbänden spielen unterneh- mens- und auftragslobbyisten eine immer bedeutsamere rolle. www.verhindern-ermoeglichen.de 170

7. die meinung 7.1. formen der meinung vorhaben im öffentlichen raum sind auf eine möglichst sachliche mei- nungsbildung seitens der bürger angewiesen. ohne ihr fehlt eine der vor- aussetzungen für einen konstruktiven dialog und damit für die erfolgreiche umsetzung. fest steht: meinungen stehen an der basis politischer entschei- dungen. welche lösungen und alternativen sind denkbar? keine debatte, keine argumentation funktionieren ohne sie. dabei hat die meinung es nicht einfach: zwischen bauchgefühl, interessen und beeinflussungen bleibt die eigene meinung nicht immer gleich. besonders im rahmen von entscheidungsprozessen ist sie einer vielzahl von einflussmöglichkei- ten ausgesetzt. die meinung anderer, demoskopie, öffentliche meinung, medien: wie wirken sich diese unbekannten auf die eigene position aus? wie stark lässt man sich beeinflussen? oder verschließt man sich a ­ priori jedweder einwirkung? diese fragen stehen im zentrum dieses kapitels. wichtig dabei ist: die wechselseitigen beziehungen zwischen den unter- schiedlichen einflussfaktoren zu berücksichtigen. meinungsforschung und öffentliche meinung beruhen auf individuellen positionen und an- sichten. beeinflussen aber gleichzeitig. dasselbe gilt für medien und ihre berichterstattung. die individuelle meinung entscheidungen, sprache und urteilsvermögen: sie alle sind kognitive prozesse, aus denen sich denken und bewusstsein erschließen. dazu ge- hört auch die fähigkeit zur meinungsbildung. physiologisch betrachtet, entsteht eine meinung im großhirn. unsere sinnesorgane nehmen emp- findungen und wahrnehmungen auf. man betrachtet eine fotografie. liest einen zeitungsbericht. interagiert mit einer anderen person. gesammelt werden diese eindrücke im thalamus, einem teil des zwischenhirns. von dort aus wandern sie in sekundenbruchteilen zum großhirn: die „auswer- tung“ ­ beginnt. eine dazugehörende meinung bildet man sich umgehend und intuitiv. meinungsbildung erfolgt dabei sowohl bewusst als auch un- bewusst. soll heißen: auch ohne die lenkung des bewusstseins auf etwas ­ bestimmten findet dieser kognitive vorgang statt. „meinungen sind wie grundstücke: erstens sind sie zu teuer, und zweitens kann man nicht immer darauf bauen.“ dieter hildebrandt (*1927, ­deutscher kabarettist, schauspieler und buchautor) die meinung 172

die meinung anderer nicht alle der genannten gruppen üben denselben einfluss auf die persönli- che meinungsbildung aus. besonders stark sind familie und freunde. eine solche „primärgruppe“ war entscheidend an der individuellen sozialisation beteiligt – man teilt sich bestimmte werte und ansichten. die anzahl ihrer mitglieder ist überschaubar, die kontaktintensität hoch. bruder, schulka- merad und freundin: ihre positionen können sich also unmittelbar auf die eigene haltung auswirken. engagieren sie sich in einer der beiden grup- pen – befürworter oder gegner – besteht demnach die wahrscheinlichkeit, dass deren ansichten auf die persönliche meinung abfärben. je größer eine „pro“-gruppe also ist, desto größer ist auch ihr einflussbereich auf dritte und unentschlossene. wie viele unterstützer informiert und mobi­ lisiert werden können, kann demnach entscheidend sein. wichtig dabei ist, sich der hohen kontaktintensität von primärgruppen bewusst zu sein. im gleichen maße ist der einfluss von „sekundärgruppen“ geringer. verbän- de, vereine oder subkulturen haben zwar einerseits eine schwer überschau- bare menge an mitgliedern. andererseits ist die bestehende interak­ tion beziehungsweise die kommunikation mit der gruppe deutlich schwächer. trotzdem darf ihre rolle nicht unterschätzt werden. wer am land lebt, weiß: vereine sind besonders dort ein essenzieller teil des direkten um- felds einer person. die identifikation mit zielsetzungen, funktionären und kollegen ist oft sehr groß. dementsprechend dominant ist deren einfluss auf das leben des einzelnen. medien und agenda setting im gegensatz zu primär- und sekundärgruppen besteht zu den medien kein direkter, auf persönlicher ebene verlaufender kontakt. trotzdem gehen meinung und information hand in hand. „wir leben in einer informations- gesellschaft“ – diese aussage hört man oft. und in der tat: informationen begleiten ein großteil unseres tuns und handelns. während freunde und bekannte information „auf abruf“ bieten, bieten medien diese auch unge- fragt. auf irgendeine weise werden wir immer erreicht: ob über den auto- matischen news-ticker der smartphone-app oder über dem infoscreen am bahnhof während man auf die u-bahn wartet. für diese wissenserfassung sind die medien gatekeeper und moderatoren gleichzeitig. sie bestimmen, welche themen und inhalte teil der öffentlichen meinungsarena sind. was mehr zu gegner und befürworter ­ eines projekts: kap. 4 respektive kap. 5 die meinung 174

auf lokaler und regionaler ebene funktioniert agenda setting nur in ei- nem sehr beschränkten maß. lokal relevante themen können von den bürgern „direkter“ erlebt werden. dementsprechend hoch ist das direkte erfahrungspotenzial, das medien zum teil verzichtbarer macht. wesent- lich ist auch die annahme, dass nationale politikthemen ein größeres auf- merksamkeitspotenzial haben als lokale. emotionale grundsatzfragen der außenpolitik wie menschenrechte oder reformvorhaben zur rente gene- rieren eine stärkere wahrnehmung als eine gemeinderatsdebatte zu bau- leitplänen. regional ausgerichtete berichterstattung funktioniert anders als bundesweite presse. vor allem ist sie weniger auf „themen“ konzent- riert: informationsberichterstattung anstelle von tiefgreifender erörterung und debattenbildung. eine agenda im hier verwendeten sinn wird nicht konstruiert. die öffentliche meinung unterstützer, mitspieler und opposition: wahrscheinlich jeder teilneh- mer des entscheidungsprozesses bezieht sich in seiner argumentation irgendwann auf die öffentliche meinung. der eine früher, der andere spä- ter. ein empirisch exakter indikator existiert nicht. deshalb ist sie für die beteiligten ein ass in ihrer debattenführung. hat man keine physischen fürsprecher, kann man sich in letzter instanz immer auf die öffentliche meinung berufen. in form der sogenannten „schweigenden mehrheit“ oder als ein real empfundenes stimmungsbild steht sie hinter der eige- nen position. ­ welche haltung sie auch einnimmt: eine allgemeingültige und anerkannte definition gibt es nicht. als anschaulicher ersatz kann aber die ­ folgende feststellung genügen. öffentliche meinung ist das pro- dukt zwischen den teilnehmern der gesellschaftlichen kommunikation. im besten fall entspricht sie exakt dem standpunkt einer gruppe. ist dies der fall, hat man sehr gute karten, dass die entsprechende position um- gesetzt wird. der ­ gesellschaftliche rückhalt ist da. aus dem projekt kann realität werden. als eine art übergeordnete instanz schwebt die öffentliche meinung über ­ allen gesellschaftlich relevanten fragen. alles, was von ihr ausgeht, entspricht dem konsens. von dieser grundsätzlichen annahme muss man folgendes abgrenzen: öffentliche meinung ist nicht die bloße summe aller individuellen meinungen in einer gesellschaft. dies gilt auch für demoskopisch ermittelte gefühlsverfassungen der bürger. was ein teil der bürger denkt, muss nicht unbedingt mehrheitsfähig sein. doch nicht die meinung 176

regierungsformen eine öffentliche meinung. mit dem nicht unerheblichen unterschied, dass diese kein konsens zwischen unterschiedlichen positi- onen ist, sondern gesteuert und vorgegeben. schließlich lassen sich die regierenden solcher länder auch durch „wahlen“ legitimieren. individuelle und öffentliche meinung koexistieren nebeneinander in ­einer wechselbeziehung. einen dominanten druck übt aber in erster linie die öffentliche meinung aus. anhand der sogenannten schweigespirale lässt sich dieser einfluss erklären. am anfang steht dieses gefühl. eine brisante frage wird in der öffentlichen diskussion intensiv diskutiert. und trotz- dem: unabhängig, mit wem man sich unterhält, alle personen scheinen der mehrheitsmeinung zu folgen. stimmen ihr zu. doch tun sie das wirk- lich? nicht unbedingt. jede person hat eine unterschiedliche bereitschaft zur meinungsäußerung. einige wenige erzählen die eigenen ansichten ungefragt. wieder andere lassen sich bitten. und manche äußern sich gar nicht. was im unterbewusstsein aber alle wahrnehmen: die verteilung der meinung zu öffentlich wichtigen themen. dazu muss man kein statistiker sein. nun entscheidet die charakterstärke, inwieweit man sich an der öf- fentlichen diskussion beteiligen möchte. entsteht der eindruck, die eigene meinung gehört zum mehrheitsfähigen konsens, erfolgt im allgemeinen eine bereitwilligere äußerung. man möchte zeigen, dass man zur mehr- heit gehört. schließlich scheint die vorherrschende grundstimmung einem recht zu geben. empfindet man sich hingegen als teil der minderheitenfraktion, kann das gegenteil geschehen. man weicht der diskussion aus. meidet argumentati- onsreiche diskussionen. dafür gibt es einen einfachen grund: der mensch als wesen fürchtet die soziale isolation. eckt die eigene position an, besteht die gefahr einer ausgrenzung seitens der mehrheit. eine gesellschaftliche brandmarkung. damit es nicht soweit kommt, behält man die eigenen an- sichten lieber für sich. und weicht aus. soziale abgrenzung wird als po- tenzielle gefahr empfunden. solches verhalten begünstigt einen folgenrei- chen prozess. das schweigen erweitert den raum für die debatte – den die mehrheitsmeinung umgehend einnimmt. im umkehrschluss offenbart sich die scheinbare minderheitenfraktion noch schwächer. obwohl es kei- neswegs der realität entsprechen muss. ein spiralförmiger prozess nimmt seinen lauf. die mehrheit erstrahlt immer stärker, die minderheit immer schwächer. schweigespirale: ein prozess, bei dem eine scheinbare mehrheits­- mei­ nung effektiv mehr platz in der öffentlichen diskussion ein­ nimmt, ­ obwohl die tatsächliche meinungs­­ ver­ teilung ­ anders sein kann. die meinung 178

meinungsforschung wie steht es um ihr konsumverhalten? und wie halten sie es mit der ener- giewende? meinungsumfragen gibt es zu allem und vielem. unternehmen nutzen die ergebnisse als marketinginstrument („87 prozent der frauen würden die creme weiterempfehlen“). und kein politiker ignoriert die neu- esten umfragewerte zu seiner beliebtheit. meinungs- und marktforschung gehören zum alltag, kein zweifel. wahlen und bürgerentscheide wären ohne prognosen nicht denkbar. grund genug also, ihre rolle und ihren einfluss auf bau- und infrastrukturprojekte zu analysieren. der begriff demoskopie stammt aus den wörtern démos („volk“) und ­ skopeín („spähen“). meinungsforschung ist als methode der empirischen ­ sozialforschung ein noch relativ junges wissenschaftliches betätigungs- feld. in ihrer modernen form geht sie auf den amerikaner george gallup zurück. dieser hatte 1936 erfolgreich die präsidentschaftswahl von franklin delano roosevelt prognostiziert. aufgrund seiner methode und einer im vergleich zu der konkurrenz kleineren stichprobe (sample) revolutionierte gallup die bis dahin verwendeten mechanismen. in deutschland begann der siegeszug der meinungsforschung 1947 mit der gründung des instituts für demoskopie allensbach durch elisabeth noelle-neumann. ­mittlerweile gibt es allein in der bundesrepublik über 140 institute mit einem jährlichen gesamtumsatz von mehr als zwei milliarden euro. jede frage hat ­ ihren preis: ab ungefähr 3.000 euro ist man dabei und kann eine frage quer durch die ganze republik erörtern lassen. ein meilenstein in der deutschen meinungsforschung ist die sonntagsfrage. seit 1949 wird sie regelmäßig gestellt: „wenn am nächsten sonntag bundestagswahl wäre, welche der folgenden parteien würden sie dann wählen?“ nicht jeder ist aktiv beteiligt und beantwortet eine solche frage als teil der stichprobe. aber so gut wie alle erfahren von den resultaten. doch befra- gung und publizierung sind nur zwei von vielen stufen. die meinung 180

effiziente sammlung und verarbeitung auch großer datenmengen, kalku- lierbare kosten und eine hohe erreichbarkeit. eine fachliche betreuung während der befragung ist durch sogenannte „selbst verwaltende“ systeme (casi) nicht notwendig. dank einer entsprechenden software kann der be- fragte die antworten selbstständig in eine vordefinierte maske eingeben und die ­ informationen in das netz einspeisen. 2. telefoninterviews sind mit 34 prozent verwendungsanteil immer noch eines der bevorzugtesten mittel der wahl. diese art der befragung ist gleichzeitig effizient und kostengünstig. bedeutend ist dabei die computer­ gestützte befragung (cati): eine eigene software ermöglicht die direkte eingabe der gewonnenen informationen in die datenbank und sind damit sofort digital verfügbar. problematisch ist, dass immer weniger menschen einen festnetzanschluss haben. 3. persönliche befragungen finden im direkten gespräch zwischen pro- band und interviewer statt. nachteil ist der relativ hohe zeit- und kosten- aufwand sowie der lange zeitraum bis zur dateneinspeisung. zumindest letzteres lässt sich durch computergestützte interviewverfahren (capi) um- gehen. 2011 wurden nur noch etwa ein viertel der befragungen auf basis persönlicher interviews durchgeführt. 4. schriftliche umfragen sind mit 6 prozent die am wenigsten verwendete methode am deutschen markt. großer nachteil ist vor allem der rücklauf: werden ausgefüllte umfragen erst spät oder gar nicht zur auswertung zu- rückgesendet, wird der gesamte prozess aufgehalten. exkurs: online-voting, one click – one vote? die situation war paradox: kurz vor seinem rücktritt im frühjahr 2011 drif- teten die meinungen zum scheidenden verteidigungsminister zu gutten- berg eigenartig auseinander. online- und telefonumfrage von einer und derselben zeitung suggerierten zum einen eine zustimmung von 80 pro- zent, zum anderen eine mehrheit für rücktritt. solche ergebnisse sind stellvertretend für das phänomen des online-votings. jeden tag formulie- ren die online-ausgaben von zeitungen, magazinen und anderen portalen eine neue „frage des tages“ und laden die nutzer zum beantworten ein. kurz den artikel überflogen, das foto betrachtet und einen klick unter dem die meinung 182

normalen interaktion zwischen zwei (fremden) personen wird bewusst vermieden. alles erfolgt nach dem „schema f“: standardisierte fragen, meistens vorgegebene antworten. ein einheitlicher wortschatz, keine zusätzlichen erklärungen. eine möglichst neutrale beziehung zwischen interviewer und befragten ist zwingende voraussetzung. möchte man sta- tistisch auswertbare daten für aussagekräftige analysen, kommt man um eine solche vorgehensweise nicht herum. einen anspruch auf exaktheit erheben die verantwortlichen institute aber nicht. in jeder seriösen umfra- ge wird auf eine systembedingte fehlerquote hingewiesen. normalerweise 3 prozent. ist die stichprobenerhebung nicht korrekt erfolgt oder sind die fragen mangelhaft formuliert worden, liegt die quote erfahrungsgemäß weit höher. jetzt tritt die umfrage in die entscheidende phase. nach welchem statisti- schen schlüssel ein institut die erhobenen daten auswertet, ist ein streng gehütetes geheimnis. schließlich ist man als meinungsforscher nicht ­alleine am markt. man will sich nicht in die karten schauen lassen. es gelten aber in allen fällen die grundsätze der wissenschaftlichkeit und der anonymi- tät. sie garantieren eine objektive verarbeitung der informationen und die sicherung des datenschutzes. besonders marktforschung darf nicht mit direktmarketing verwechselt werden. ziel einer umfrage ist die herstellung einer entscheidungsgrundlage. und nicht bessere verkäufe durch eine um- fassende, personenbezogene informationssammlung. sind sowohl stichprobenerhebung als auch fragebogenerstellung korrekt verlaufen, hängt die aussagekraft entscheidend von dieser auswertungs- methode ab. ob die getroffenen aussagen korrekt sind oder nicht, ist nur im nachhinein möglich. meinungsforscher betonen dabei immer wieder: umfrageergebnisse sind keine prognosen. sondern „lediglich“ ein stim- mungsbild der bevölkerung, das nur begrenzt rückschlüsse offen lässt. bei wahlen und politischen entscheidungen kann man den grad des erfolges relativ gut messen: wie gut stimmen umfrageergebnisse und wahlergeb­ nisse überein? komplizierter wird es bei der marktforschung. ging es um die einführung eines neuen produktes, wird maßgeblich dessen verkaufserfolg als gradmesser dienen. nun hat man die fertige umfrage vor sich liegen. doch was ist ihre aussage? welche implikationen auf die einzelne person und die gesellschaft hat sie? mit umfragen sollen ­ entscheidungsgrundlagen geschaffen werden. die meinung 184

diese erkenntnisse lassen sich sehr gut mit der bedeutung von meinungs- forschung verknüpfen. kann man ein ähnliches ergebnis auch vom effekt von umfrageergebnissen erwarten? in der tat. empirische untersuchungen bestätigen gleichermaßen eine positive korrelation zwischen umfrageer- gebnissen und meinungsbildung. in einem entsprechenden test beschäftig- ten sich zwei gruppen von personen mit einem konstruierten presseartikel. als ergänzung enthielt der text eine thematisch bezogene meinungsumfra- ge, grafisch visuell dargestellt. so weit, so gut. war der textinhalt noch bei allen derselbe, unterschieden sich die fiktiven umfrageergebnisse. in der ersten gruppe war laut umfrage eine mehrheit für, in der zweiten gruppe eine mehrheit gegen dasselbe projekt. das ergebnis kann man erahnen. bei der nachträglichen befragung der probanden ist eine eindeutige tendenz zur mehrheitsmeinung feststellbar. befürwortet eine inszenierte umfrage ein bestimmtes argument, folgten auch die probanden eher dem konsens und äußerten ihre zustimmung. nicht so bei einer minderheitenposition. kam die umfrage zu einer ablehnenden haltung seitens der mehrheit, lehn- ten auch die versuchspersonen das argument mehrheitlich ab. verfügen somit alle über dieselben informationen sind umfrageergebnisse für die individuelle meinung entscheidend. unabhängig davon, ob sie der rea- lität entsprechen oder nicht. der gesamte prozess der meinungsbildung wird durch die umfrage beeinflusst. obwohl inhaltlich gesehen identisch, verleitet der text zu unterschiedlichen assoziationen. bei zustimmenden umfrageergebnissen eine positive, bei ablehnenden eine negative. ergebnisse der meinungsforschung unterstützt eher die tendenz in rich- tung mehrheitsmeinung. laut umfragen unterstützen 57 prozent die test- strecke des automobilzulieferers? dann ist sie sicherlich positiv für die gemeinde. und für mich. nicht zu übersehen sind die wechselseitigen impli­kationen. einerseits sind umfrageergebnisse eine fotografie des herr- schenden meinungsbildes. andererseits beeinflussen sie durch ihre veröf- fentlichung die meinungen, auf dessen basis sie zustande gekommen sind. woher kommt diese „macht der mehrheit“? eine abweichung vom konsens hat nicht nur bei moralisch sensiblen fragen einen negativen charakter. dominierender konsens … … bietet orientierung: die mehrheit suggeriert richtigkeit. hohe zustim- mung ist ein wegweiser für die eigene meinung. besonders ­unentschlossene profitieren von solchen indikationen. auch wenn diese position letztlich die meinung 186

meinungen im wahlverhalten. umfragen müssen also zuerst eine hürde überwinden – ein mensch ist nicht willkürlich beeinflussbar. personen, die sich mit umfragewerten auseinandersetzen, sind durchaus kritisch in ihrem charakter. zu einem solchen ergebnis kommen studien aus der schweiz zum wahlverhalten bei volksbefragungen. demoskopi- schen effekten wird nur ein geringer wirkungsgrad attestiert. manipulieren lassen sich wähler nur sehr schwer. experten sprechen dabei von persuasi- on. je interessierter eine person ist, desto weniger „persuasierbar“ ist sie. so gesehen, hängt der einfluss der meinungsforschung von den unent- schlossenen ab – sie haben ein größeres bedürfnis nach hilfe leistenden informationen. meinungsforschung, wahlen und bürgerbefragungen wahlen sind der dreh- und angelpunkt in einer demokratie. der politische reset-knopf einer gesellschaft. es wechseln gesichter, programme und in- halte. immer dabei: die meinungsforschung mit aktuellen umfragen und hochrechnungen. nicht alle sehen die mitwirkung positiv. die befürch- tung ist: wähler lassen sich von umfrageergebnissen beeinflussen. sind die umfragen verfälscht bzw. voreingenommen oder gar parteiisch, kann dadurch das wahlergebnis gewissermaßen „gefälscht“ werden. politiker fassen umfragen daher nicht nur als chance auf. besonders im wahlkampf und kurz vor der wahl werden sie auch als akute bedrohung der zukünf­ tigen existenz wahrgenommen. bei jeder bundestagswahl das gleiche spiel. umfragen zum wahlverhalten werden veröffentlicht. unmittelbar danach äußert sich der betreffende par- teichef. wie viel zeit zwischen beiden ereignissen verstreicht, hängt vom ergebnis ab. man darf annehmen: je geringer die veröffentlichte zustim- mung zur partei, desto schneller kommt die presseaussendung. in frank- reich und portugal reguliert der gesetzgeber daher die veröffentlichung von umfragen. in beiden ländern dürfen ab einem bestimmten zeitpunkt vor dem wahltag keine ergebnisse mehr publiziert werden. in deutschland kommt man dem gesetz zuvor: ard und zdf verzichten in form einer frei- willigen selbstbeschränkung auf die publizierung von umfrageergebnissen ab einer woche vor dem wahltermin. persuasion: die fertigkeit der überredung. die meinung 188

æ æ der fallbeil-effekt: schafft die favorisierte partei die fünf-prozent-hürde oder nicht? für viele wähler eine grundsatzfrage. erst wenn die wahr- scheinlichkeit groß genug ist, machen sie ihr kreuz. was, wenn bis zuletzt zweifel bestehen? dann werden vielleicht potenzielle wähler an besser ­ positionierte alternativen verloren. wahlverhalten allein ist noch nicht spielentscheidend – vor der stimmab- gabe muss eine mobilisierung stattfinden. eine erste entscheidung findet durch die wahlbeteiligung statt. meinungsumfragen können dabei aus- schlaggebend sein – zumindest wenn bestimmte situationen eintreten. zeichnen sich laut den umfragen „eindeutige“ mehrheitsverhältnisse ab, können folgende effekte eintreten: æ æ mobilisierungs-effekt: ein von den umfragen angekündigtes kopf-an- kopf-rennen stimuliert den wähler. jede stimme zählt – ein bedeutender motivationsschub, wenn man weiß, dass der eigene wahlzettel entschei- dend sein kann. „verkündet“ eine umfrage demnach spannung, lässt sich eine höhere wahlbeteiligung erwarten. æ æ defätismus-effekt: der begriff entstammt dem französischen und steht dort für niederlage. in diesem kontext ist er ein problem für vermeintlich schwach abschneidende parteien. erscheint der einzug in die politische versammlung oder das erreichen eines wahlzieles unwahrscheinlich, kann im vorfeld beim wähler resignation entstehen. welchen wert hat die ­eigene stimme beziehungsweise die wahlteilnahme, wenn eine niederlage abseh- bar ist? es erscheint bedeutungslos. am anscheinend schon feststehenden ergebnis kann man – so scheint es – nichts mehr ändern. sehr zum nachteil für die partei und deren kandidaten beziehungsweise deren position. æ æ lethargie-effekt: umfragen, die eine partei bereits als gewinner sehen, wiegen den wähler unter umständen in eine scheinbare sicherheit. für das erreichen des wahlzieles ist die stimme sowieso nicht ausschlaggebend, ist die annahme. also kann man das wählen getrost seinem nachbarn über- lassen und den sonntag anderweitig verbringen. der partei kann es aber teuer zu stehen kommen. nämlich dann, wenn zu viele wähler so ­ denken und handeln. die meinung 190

es hat einen guten grund, dass meinungsforscher schon lange zu den bera­ tern von politikern und anderen entscheidungsträgern gehören. bereits seit den 1950er jahren wurde die cdu vom institut für demoskopie allensbach unterstützt. besonders kanzler adenauer legte großen wert auf die ein- schätzungen von dessen leiterin elisabeth noelle-neumann. genauso wie helmut kohl. ironie der geschichte: niemand sagte 1998 dessen niederlage so präzise voraus wie noelle-neumann. folgende punkte umschreiben den mehrwert, den die demoskopie durch wahl- und meinungsumfragen in solchen rahmen leisten kann. æ æ ergänzungsfunktion: entscheidungsträger erhalten ein abbild der ge- sellschaftlichen grundstimmung. regelmäßige umfragen liefern die benö- tigte information. damit man weiß, was der wähler denkt. egal, ob zu sachfragen, moralisch / ethischen argumenten. dies gilt selbstverständlich auch für die zustimmung zur partei. inwieweit vertritt sie die mehrheit? æ æ mobilisierungsfunktion: umfragen sind ein schlüssel, um die men- schen zur wahl zu bringen. dabei kann vor allem auf die wähler eingewirkt werden, die zu bestimmten untergruppen zählen oder für die partei schlecht empfänglich sind. beispiele aus den usa demonstrieren eine „ein- engung“ des kandidatenprofils: politiker versuchen durch umfrageergeb- nisse ganz bestimmte wählerschichten zu erreichen. es geht nicht darum, die mitte der öffentlichen meinung zu erreichen. und sich entsprechend breit aufzustellen. stattdessen fällt ein großteil der konzentration auf eine klar formulierte und abgegrenzte wählerklientel. dieses phänomen wird als sogenanntes „narrowcasting“ beschrieben. æ æ issue-management: umfragen ermitteln die priorität der themen. was den wähler bewegt, ist auch antrieb der politiker. ohne dieses wissen kön- nen keine präzisen standpunkte und positionen formuliert werden. ­darüber hinaus erleichtern sie ihr entscheidungsverhalten: unterschiedliche prio- ritäten eröffnen wichtige spielräume bei verhandlungen. stimmt man bei einem wenig relevanten thema gegen die position der wähler, sind die auswirkungen minimal. gleichzeitig schafft es eine verhandlungsbasis und kann von konkurrenten bei politisch relevanten themen inhaltliche änderungen einfordern. sieben gründe, wieso meinungsumfragen einen mehrwert für politische kampagnen besitzen. die meinung 192

7.4. immer schön abstand halten! gastbeitrag von peter issig p olitiker von csu, spd und fdp friedlich vereint. seite an seite mit vertretern der industrie- und handelskammer, der handwerks- kammer und kleinerer gewerkschaften. es ist ein bemerkenswert breites bündnis, das sich im märz 2012 in münchen der öffentlich- keit präsentiert. ihre vertreter sind legitimiert durch demokratische wahlen oder abgeordnet von gesellschaftlichen gruppierungen, um deren berechtigte interessen durchzusetzen. angesichts des bevorstehenden bürgerentscheids wollen sie gemeinsam für ein großprojekt werben: der bau einer dritten start- und landebahn am flughafen münchen. dieses werben ist immer ein kampf um worte und bilder, die me- dien verbreiten. stereotype spielen dabei leider eine große ­rolle. die klassifizierung „sinnloses großprojekt“ ist längst zu einem stehen- den begriff geworden. er geht leicht über die lippen, er ist schnell geschrieben. der begriff vereint simpel die vorbehalte und ängste, die große pläne und ideen hervorrufen, weil sie in ihrer komplexität die individuelle vorstellungskraft mitunter überfordern. sexy sind großprojekte nicht. in mode scheint bescheidenheit zu sein, vor allem, wenn es staatliches handeln betrifft. was auf den finanz- märkten der öffentlichen kontrolle entglitten ist, soll wenigstens im politischen bereich vor ort gelten. was klein ist, scheint beherrschbar, ist leichter zu ­ steuern oder zu korrigieren. nach einem „sinnvollen großprojekt“, das im wortsinn auch „preiswert“ ist, wird man im gesell- schaftlichen diskurs, in der politischen diskussion und auch in den medien lange suchen müssen. auch weil es viel arbeit und mühe macht, rational zusammenhänge und weiterungen zu erklären, die großprojekten eigen sind. gegner dieser projekte nehmen dagegen gerne das privileg in anspruch, emotional zu agieren. entsprechend reagieren auch die gegner der münchner flughafenerweiterung – reflexartig wird die welt in gut und böse eingeteilt: „auf der einen seite stehen die gegner einer dritten startbahn, die von vielen gemeinnützigen peter issig ist 1956 geboren und begleitet seit jahren journalistisch die bayerische landespolitik. er arbeitet seit 2001 für die welt-gruppe und ist stellvertretender leiter der bayernredaktion der welt am sonntag. gastbeitrag die meinung  194

eine zeitungsseite oder die sendezeit limitiert ist. durch die zuspit- zung, der zwangsläufig wichtige details zum opfer fallen, treten die gegensätzlichen positionen deutlicher zutage. die kräfte und machtverhältnisse werden sichtbarer. das ist demokratietheoretisch durchaus wünschenswert und journalistisch reizvoll. und wenn – wie bei der dritten startbahn in münchen oder dem bahnhofsbau in stuttgart – letztlich sogar „das volk“ direkt abstim- men darf, umso besser. das macht die bühne groß, führt aber auch in versuchung, sich über gebühr in szene zu setzen. medien und ihre vertreter, die ihre aufgabe darin sehen, für den „boulevard“, den sogenannten kleinen mann auf der straße, zu schrei­ ben, werden sich eher zum anwalt der vermeintlich schwä- cheren machen. sie werden vor allem nach „geschichten“ suchen, die den leser oder hörer emotional berühren, die ihn ärgern oder ihm tränen des mitleids in die augen treiben. das ist eindeutig ein vorteil für die gegner von großprojekten. denn welcher artikel geht zu herzen: die darlegung der argumente eines politikers, der die infrastruktur seines landes verbessern will, selbst wenn er dafür nicht viel beifall bekommt? oder die geschichte des mittelständischen unternehmers, der sich bessere zukunftsaus- sichten für seinen betrieb und seine angestellten ausrechnet, wenn die flugverbindungen zu den exportmärkten noch besser werden? oder ist es eben nicht doch die ganz persönliche geschichte der familie, die ihr haus verlassen muss, weil ein leben neben der start- bahn nicht mehr erträglich ist? gesellschaftliche relevanz hat alles. die wirkung auf einen unentschlossenen bürger, der letztlich über das projekt abstimmen darf, wird aber sehr unterschiedlich sein. der journalist, der sich als robin hood im kampf gegen die ­bösen mächte in sherwood forest sieht, bekommt auch sicher mehr bei- fall des publikums als der kollege, der nicht auf emotionalisierung hinarbeitet. dennoch wird es verantwortungsbewusstem qualitäts- journalismus immer ein anliegen sein, sich ein großes maß an aus- gewogenheit und distanz zu bewahren – auch wenn der journalist seine persönliche meinung natürlich nie vollkommen ausblenden kann. für seine meinung ist auch platz in kommentaren oder leit- artikeln. hier ist positionierung gefragt und es ist dabei statthaft, als leitmedium die öffentliche meinungsbildung zu beeinflussen. gastbeitrag die meinung  196

­ mediale realität schaffen. gern nennen das die aktivisten eine „gegen­ öffentlichkeit“. die formulierung unterstellt, dass sender und verlage einseitig berichten, was unsinnig ist, aber ins identi- tätsstiftende schwarz-weiß-schema der projektgegner passt. dabei ist die vielfalt auch in den etablierten medien ungeheuer groß. und die sender und verlage bedienen sich längst selbst der möglichkei- ten von facebook und twitter. und es ist ja nicht so, dass nicht alle beteiligten die gesetzmäßig- keiten des nachrichtengeschäfts zu nutzen wissen. so werden bei den gegnern „machtvolle demonstrationen“ organisiert, begleitet von spektakulären aktionen. organisationen wie greenpeace ­haben das perfektioniert. waghalsige kletterer auf strommasten, ent- schlossene aktivisten, die sich an bäumen anketten – dafür findet sich immer ein platz in den nachrichtensendungen, selbst unter der gefahr, eine verzerrte darstellung der wirklichkeit zu bieten. denn darüber, wie die schweigende mehrheit denkt und abstimmt, sagen spektakuläre aktionen nichts aus. man erinnere sich an die außergewöhnlichen demonstrationen der stuttgarter „wutbürger“ vor ihrem hauptbahnhof. als diese ebenso öffentlichkeitswirksam durch einen unverhältnismäßigen wasserwerfer-einsatz aufgelöst wurden, schien die ­stimmungslage eindeutig: dieses großprojekt ist nicht vermittelbar. und dann stim- men die baden-württemberger in einem plebiszit doch für den bau des neuen bahnhofs. vielleicht weil das projekt danach einen vor- bildlich transparenten, im fernsehen live übertragenen moderati- onsprozess durchlief. es ist aber auch ein beispiel, wie schwierig und fehleranfällig die journalistische begleitung eines großprojekts sein kann. und wie unkalkulierbar der einfluss der medien auf die meinungsbildung ist. es bleibt also die journalistische grundsatzfrage: erreiche ich mit dem, was ich schreibe, überhaupt die richtigen? werde ich den prozessen und den beteiligten gerecht? bin ich nahe an der realität? bei der auseinandersetzung um die dritte startbahn in münchen ist diese frage besonders schwer zu beantworten. denn neben der komplexen diskussion um notwendigkeit oder unsinn einer flughafenvergrößerung offenbarten sich eklatante schwächen der plebiszitären demokratie, wie sie in bayern geregelt ist. die defi- nition, wer von einer erweiterung des flughafens betroffen ist und gastbeitrag die meinung  198

merken  ermöglichen formen der meinung  individuelle meinung: ist ausgangspunkt für entscheidungen. sie ist immer ­ subjektiv und ist kein abbild der realität.  meinung anderer: wirkt sich durch sogenannte primär- und sekundärgruppen auf die persönliche position aus.  durch agenda setting bestimmen medien die priorität unterschiedlicher themen in der öffentlichen diskussion. kennt man diesen vorrang, hat man einen vorteil. er hilft, position zu beziehen und rechtzeitig aktiv zu agieren.  öffentliche meinung: ist bestimmend für individuelle meinungsbildung und gibt die richtung vor. aber: mehrheitsmeinungen erscheinen oft stärker, minder­ heiten­ meinungen oft schwächer, als sie in wahrheit sind.  meinungsforschung: ist teil des öffentlichen lebens und beschäftigt sich mit ­ allen relevanten gesellschaftlichen und politischen themen. methoden der meinungs- forschung  ein möglichst distanziertes verhältnis zwischen befragtem und interviewer ist ­ erwünscht.  neben telefonumfragen werden in der branche vor allem onlinebasierende ­ methoden am häufigsten angewendet.  hauptauftraggeber für umfragen ist die konsum- und verbrauchsgüterindustrie. der einfluss von meinungs­ forschung auf die individuelle meinung  mit den informationen von meinungsumfragen können individuelle positionen ­ beeinflusst werden. dabei kann ein zusammenhang zwischen den ergebnissen und der meinungsbildung sowie dem entscheidungsverhalten festgestellt ­ werden.  auch wahlbeteiligung und wahlverhalten können von ihnen abhängig sein.  aktiver einsatz von demoskopie und ihren ergebnissen bei wahlkämpfen und kampagnen erhöht die chance auf erfolg. informationen werden analysiert, um sich zu positionieren und eine hohe mediale durchschlagskraft zu erreichen. www.verhindern-ermoeglichen.de 200

8. zukunftstrends blickt man auf die geschichte unserer republik, wird klar: direkte demo- kratie ist noch ein junger trend. bisher gab es nur den weg nach oben. mehr beteiligung, mehr mitbestimmung, mehr teilhabe. die eskalation um stuttgart 21 setzte einen höhepunkt. und alle waren sich einig, dass die bürger jetzt früher, direkter und transparenter beteiligt werden müssen. wie weit kann dieser weg führen? gibt es ein zurück? und welcher höhe- punkt erwartet uns als nächster? wir wagen einen blick in die zukunft – auf trends und ungewisses. 8.1. digitalisierung war ja klar – keine trendforschung kommt ohne das megathema internet aus … in unserem fall ist der einfluss des netzes aber tatsächlich existen- ziell. das internet demokratisiert die welt: der arabische frühling konnte seine wirkung erst über online-kanäle entfalten. und bei uns fußte der kurzfristige erfolg der piratenpartei nahezu ausschließlich auf web-the- men. vorhaben im öffentlichen raum, deren politische durchsetzung und die mitwirkung einzelner akteure haben sich durch das internet gravierend verändert. informationen für alle die mär vom uninformierten bürger ist passé. das internet bietet allen men- schen zugang zu informationen über jedes thema. das macht prozesse und vorhaben transparent. beteiligung ist dann nicht mehr terrain für exper- ten, sondern einer breiten masse zugänglich. dass online-information zur selbstverständlichkeit geworden ist, erhöht auch den druck auf behörden. bürger sind es gewohnt, im internet alles gesuchte für jeden lebensbereich zu finden. genauso erwarten sie auch von der politik, dass planungen zu vorhaben jederzeit verständlich und transparent aufbereitet sind. auch kleinere kommunen werden sich diesem druck nicht widersetzen können. menschen vor ort werden künftig also noch besser informiert sein. und nur wer sich informiert, der protestiert. oder macht sich für etwas stark. „die zukunft soll man nicht voraussehen wollen, son­ dern möglich machen.“ antoine de saint-exupéry (1900 – 1944, französischer schrift­ steller und pilot) zukunftstrends 202

protest verliert sein gesicht online ist alles erlaubt: was menschen niemals ihrem gegenüber sagen würden – in e-mails schreiben sie es. was menschen niemals im echten leben wagen würden – im internet tun sie es. in der anonymität des netzes verlieren menschen ihre hemmungen, brechen tabus. man muss nichts begründen, nichts rechtfertigen. beteiligung wird dadurch unpersönlich, technisch, aber auch emotionaler. denn, wer seinen namen nicht nennen muss, wer sein gesicht verbergen kann, der traut sich was. angriffe gehen oft weit unter die gürtellinie. unter die schuhsohle. es fehlt eine mode- rierende instanz. es fehlt der natürliche anstand. der politische gegner wird zum unbekannten. alter, geschlecht, beruf – alles ein rätsel. was zunächst basisdemokratisch und gerecht wirkt, schadet irgendwann dem menschlichen miteinander. in bayern sagt man: durchs reden kommen dʻleut zam. wo aber diese natürliche kommunikation ausfällt, leiden pro- zesse und entscheidungen. schwärme im netz sind schneller bürgerinitiativen für oder gegen ein vorhaben leben vom mitmachen. mitmacher mussten bisher mühsam gesucht werden. im persönlichen umfeld, in der politik, am arbeitsplatz, in vereinen. diese motivations- und überzeugungsarbeit nahm zeit und nerven in anspruch. ein grup- pendynamischer prozess als schneeballsystem, in dem fortlaufend immer mehr menschen angesprochen werden, musste erst mühsam in gang ge- setzt werden. online können solche schwärme über nacht entstehen. die schnelle verbreitung über social media vereinfacht kommunikation und konfrontation. sind die ersten truppen zusammengetrommelt, kann man sie aktuell bespielen, informieren und potenzieren. auch die organisation von events, protesten oder aktionen wird online viel schneller. das internet spart zeit und geld. diese chancen sollten auch politiker, behörden und investoren nicht verpassen. bei geringer reichweite können dann wenige den anschein erwecken, für alle zu sprechen. zwei, drei anonyme kritiker manipulieren dann die politischen entscheidungen derer, die aus angst vor einem noch größeren „shitstorm“ panisch umschwenken. zukunftstrends 204

besinnung auf heimat jeder trend braucht einen gegentrend. globalisierung macht die menschen zwar mobil, flexibel und frei, führt aber auch zu entwurzelung und belie- bigkeit. in der welt zu hause – an jedem ort daheim. ein lebensmodell, dem sich viele menschen nicht anschließen wollen. die suche nach halt, orientierung und geborgenheit kann nur kurzfristig durch die freude an immer neuem, am entdecken kompensiert werden. auf lange sicht brau- chen alle menschen eine heimat. die einen für kurz, andere für immer. dieser rückbesinnung auf die heimat entwächst schließlich auch das be- dürfnis, das eigene lebensumfeld möglichst attraktiv zu erhalten. lebens­ qualität zu sichern ist oberstes gebot. wenigstens zu hause soll alles stim- men, wenn schon die große weite welt so unübersichtlich geworden ist und nur mehr schlechte nachrichten für uns bereithält. veränderungen in der welt kann man nicht aufhalten, veränderungen daheim schon. kritisch werden planungen und projekte hinterfragt. denn wandel könnte vertrau- tes bedrohen, liebgewonnenes verdrängen. dass die eigene heimat durch bremskräfte zum verstaubten museum verkommen kann, wird dabei allzu oft übersehen. rückzug ins private mit verstetigung der globalisierung wachsen auch die ansprüche an jeden einzelnen. vor allem im beruflichen alltag. beschleunigung der prozesse, anhaltender leistungsdruck und ständige erreichbarkeit sorgen für starke beanspruchung des menschlichen organismus und seiner psyche. diese starke berufliche belastung – vor allem der führungskräfte und verantwor- tungsträger – führt in vielen fällen zum rückzug ins private. abends und an wochenenden will man entspannen, familie genießen, freunde treffen. ab- schalten von der tageshektik, die durch internationalisierte märkte nicht zu bremsen scheint. für politik oder gar für aktives mitwirken bleibt dann keine zeit mehr. das würde kräfte binden, die an anderer stelle gebraucht werden. und es würde einen selbst an den aktuellen lebensort binden. wo man lebt, entscheidet aber das unternehmen mit seinen weltweiten anforderungen entscheidend mit. flexibilität ist gefragt. engagement vor ort kann man sich dann nicht mehr leisten. bleibt dieses terrain dann menschen überlassen, die beruflich nur durchschnittlich gefordert sind? oder älteren menschen im ruhestand? oder ist es am ende umgekehrt und der rückzug ins private bewirkt erst recht ein engagement für das eigene umfeld? zukunftstrends 206

die trends sprechen eine klare sprache deutschsprachige twitter-accounts 2012: 825.000 2011: 550.000 2010: 270.000 haushalte mit ­ zugang zu einer breitband-inter- netverbindung in deutschland 2003: 9 % 2012: 82 % zuwächse bruttowerbe­ umsätze 2012 online: + 17,3 % zeitungen: - 6,6 % auflage tages­ zeitungen in deutschland 2001: 23,7 mio. 2012: 18,40 mio. bip pro kopf wachstum 2002 – 2012 china: 10,34 % süd- korea: 3,95 % singa- pur: 5,93 % euro- zone: 0,99 % kfz-zulassungen 2012 china: 13.238.600 (+ 8,4 % ) eu: 12.527.900 (+ 7,8 % ) bevölkerungs­ ent­ wicklung in mrd. 1950 1975 2000 2025 asien 1,4 2,4 3,7 4,8 europa 0,55 0,68 0,73 0,96 zunahme 1950 – 2025 asien: 71 % europa: 43 % stand: mai 2013 zukunftstrends in zahlen einige beispiele zukunftstrends 208 1950197520002025 asien 1,42,43,74,8 europa 0,550,680,730,96

www.verhindern-ermoeglichen.de merken  ermöglichen digitalisierung  verfügbarkeit von informationen: nahezu alle bürger profitieren durch das ­ internet in form von zusätzlich verfügbaren informationen. diese machen prozes- se und entscheidungen transparenter. vor allem von behörden wird eine stärkere digitale öffnung erwartet.  interaktion: wird durch neue informationstechnologien vereinfacht. zeit und kommunikation sind keine schweren hürden mehr. gleichzeitig droht ein verlust der inhaltlichen tiefe aufgrund einer zu starken simplifizierung.  mehr repräsentativität: dank der verstärkten interaktion. alle beteiligten und betroffenen eines entscheidungsprozesses können eine stimme erhalten. aber auch diejenigen, die eigentlich nichts damit zu schaffen haben.  anonymisierung: im netz verliert der protest sein gesicht. rechtfertigungen und begründungen sind nicht mehr notwendig – dafür können die emotionen hochko- chen. die moderierende instanz fehlt.  schwarmbildung: informations- und überzeugungsarbeit wird unkomplizierter. personen können schneller erreicht und zu unterstützergruppen formiert werden. globalisierung  hilflosigkeit: in einer internationalisierten welt sehen sich viele bürger nur mehr als beobachter. ohne auf weitreichende entscheidungen einfluss nehmen zu können, wenden sie sich entweder vom öffentlichen leben ab – oder engagieren sich aus trotz. oft zum nachteil von großprojekten.  besinnung auf heimat: wenn die welt schon komplizierter wird, soll die heimat so bleiben, wie sie ist. deshalb werden veränderungen als gefahr wahrgenom- men und bekämpft, vorhaben hinterfragt und geprüft.  rückzug ins private: wer beruflich viel verantwortung trägt, empfindet sein zu hause als rückzugsort. freizeit wird dann nicht politischem engagement geop- fert. dieses feld bleibt denen überlassen, die zeit haben oder beruflich nicht ausgelastet sind. asiatisierung  asien ist der große gewinner der letzten jahre. die sogenannten tigerstaaten und besonders china haben gezeigt, wie man durch wirtschaftspolitische ­ steuerung ganze gesellschaften neu formiert. politische entscheidungsprozesse laufen dort deutlich schneller ab – ein vorbild für die europäischen staaten? 210

9. praxistipps jetzt sind sie gefragt. ja, genau. sie! das wissen aus der theorie haben wir behandelt. nun geht’s an die praxis. dieses kapitel soll ihnen helfen, die praktischen herausforderungen der politischen öffentlichkeitsarbeit besser anzupacken. weil projekte individuell sind, weil sie selbst einmalig sind, kann es keine patentrezepte geben. an manchen stellen ist professioneller rat gefragt. aber: lassen sie uns erst mal loslegen und eine basis schaffen. politische öffentlichkeitsarbeit für vorhaben im öffentlichen raum ist vor allem eines: komplex. geplante nutzung und finanzierung, rechtslage und zielgruppen, pro- und kontra-argumente … dazu eine zeitachse, die sich oft über jahre zieht. was müssen eigentümer, investoren und politiker leisten, um komplexe projekte zum erfolg zu führen? für solche vorhaben braucht es nicht nur eine gelungene architektur oder ein sinnvolles nutzungskonzept. auch die richtige kommunikation muss auf gleicher augenhöhe ein fester bestand­ teil in planung und abwicklung sein. diese erkenntnis ist die erste ­relevante sollbruchstelle vieler projekte. es muss also zuerst allen beteiligten der stellenwert der kommunikation bewusst gemacht werden. danach kommt eine klare struktur – aufgeteilt in drei phasen: gründliche planung ist die basis erfolgreicher projekte. aber: patentrezepte gibt es keine. jedes projekt ist individuell, jede gemeinde auch. aber vor- sicht: unsere nachfolgende anleitung kann als checkliste und hilfestellung dienen. weil kommunikation aber immer so individuell sein muss wie der standort, wie das projekt selbst, kann diese liste nie abschließend und allgemeingültig für alle vorhaben formuliert werden. je gründlicher die analyse, umso besser die vorbereitung für mögliche szenarien. nicht alles ist vorhersehbar. jeder standort ist anders! „die theorie träumt, die praxis belehrt.“ karl von holtei (1798 – 1880, ­ deutscher schriftsteller, schauspieler und ­theaterregisseur) strategie analyse umsetzung praxistipps 212

argumentarium nach analyse der drei komponenten standort, projekt und emotionen werden diese im argumentarium zusammengeführt. dort finden sich alle positiven argumente für ein vorhaben als umfassendes kompendium aller projektbeteiligten. gleichzeitig dient das argumentarium als legende und nachschlagewerk. es bündelt alle emotionalen komponenten zum projekt, erfasst alle relevanten daten und statistiken. es muss laufend überprüft und aktualisiert werden. einmal sauber angelegt, erleichtert das argumen- tarium die laufende kommunikationsarbeit. vor allem dann, wenn es viele beteiligte gibt, bietet es sich an, das kompendium einmal auch formell zu beschließen, um jederzeit auch kurzfristig teile davon zu veröffentlichen. zum beispiel für eine pressemeldung. das verkürzt abstimmungsprozesse. und es kann ganz exakt festgelegt werden, welche bestandteile veröffent- licht werden dürfen und welche themen nur für den internen gebrauch gedacht sind. das argumentarium besteht letztlich aus fünf einzelnen bausteinen: ƒ ƒ ähnliche projekte ƒ ƒ schlafgemeinde oder aktivstandort ƒ ƒ krisen, katastrophen ƒ ƒ beziehung zu nachbargemeinden ƒ ƒ typus des zusammenlebens ƒ ƒ planungshistorien ƒ ƒ position im landkreis ƒ ƒ politischer stil ƒ ƒ prägende persönlichkeiten ƒ ƒ dominierende eigentümer emotionen am standort unabhängig von der frage, ob sich ein bestimmtes projekt an einem bestim­ mten standort überhaupt umsetzen lässt, hat jede kommune eine individuelle emotionale vorprägung. solche besonderheiten muss man vor jeder kommunikation zwingend kennen. denn diese kommunalen emotio- nen geben der diskussion erst den dreh in eine bestimmte richtung. was ist typisch für einen ort? was hat die menschen geprägt? was beeinflusst entscheidungen? diese analyse funktioniert hauptsächlich im persönli- chen gespräch. praxistipps 214

3. einwand-behandlung: die dritte komponente des argumentariums bil- det mit der einwand-behandlung das gegenstück zu den pro-argumenten. hier werden mögliche oder bereits aufgetretene gegenargumente systema- tisch beantwortet, widerlegt oder mit einer lösung versehen. auch hier gilt: nichts auslassen! auch wenn manche gegenargumente noch so abwegig erscheinen – alles kommt vor. vom lebensraum der nacktschnecken bis zur ideologischen flanke gegen die globalisierung. immer muss aus der perspektive der betroffenen gedacht und formuliert werden. ob fakteno- rientiert oder emotionsgeladen. auf jeden einwand gibt es eine antwort. und sei es nur ein „ja, diese kritik ist berechtigt.“ – denn „ehrlich währt am längsten“. an folgende klassische gegner-themen sollte gedacht werden: 4. faqs: neben den gegenargumenten gibt es offene fragen, die von kriti- kern, interessierten und auch von den eigenen leuten gestellt werden. ­diese fragen laufend zu sammeln, anhand der faktenlage und pro-argumente zu beantworten und aktuell zu halten, erfordert hohen aufwand, sichert aber eine einheitliche beantwortung nach außen und garantiert eines: die aktiven mitstreiter, die im dialog mit den bürgern stehen, sind bestens prä- pariert und geben korrekte antworten. ƒ ƒ flächenverbrauch ƒ ƒ ortsbild-verschandelung ƒ ƒ finanzielle belastung ƒ ƒ soziale ungerechtigkeit ƒ ƒ umweltbelastung ƒ ƒ wachstumskritik ƒ ƒ verlust der heimat ƒ ƒ verlust von sicherheit ƒ ƒ - verkehr - zunahme - schleichverkehr - rückstau - abgase - lärm praxistipps 216

zielgruppen keine emotionen ohne personen. das gilt sowohl für die vorhandenen pro- jektunabhängigen emotionen als auch für die zu erwartenden oder erzeu- genden projektbezogenen emotionen. klingt kompliziert – ist es auch. denn im hinblick auf die kommunale gefühlslage muss immer beachtet werden, was gegeben ist, was veränderbar scheint und was neu aufzubauen ist. alle drei komponenten gehen von personen aus. die menschen als zielgrup- pen mit ihren individuellen charakterzügen zu kennen, mag aufwendig ­ erscheinen, kann aber für ein projekt erfolgskritisch sein. wir unterschei- den fünf hauptgruppen: politiker, medien, meinungsführer, aktivisten und behördenmitarbeiter. diese gruppen überschneiden und ergänzen sich sehr oft gegenseitig. die einteilung dient lediglich der besseren gliederung. meinungsführer ƒ ƒ vereinsvorstände - feuerwehr - sport - musik - tradition - soziales ƒ ƒ graue eminenzen ƒ ƒ gastwirte ƒ ƒ kirchenvertreter ƒ ƒ ärzte & apotheker ƒ ƒ wirtschaft - einzelhandel - unternehmer - mittelständler - konzerne - handwerker - selbstständige - einzelhändler ƒ ƒ verbandsvertreter politik ƒ ƒ bürgermeister ƒ ƒ gemeinderat ƒ ƒ stadtrat ƒ ƒ landrat ƒ ƒ kreistag ƒ ƒ bezirkstag ƒ ƒ landtag ƒ ƒ bundestag ƒ ƒ landesregierung ƒ ƒ bundesregierung ƒ ƒ europaparlament medien ƒ ƒ tageszeitungen ƒ ƒ regionalzeitungen ƒ ƒ anzeigenblätter ƒ ƒ hörfunk ƒ ƒ tv ƒ ƒ online-portale ƒ ƒ blogger aktivisten ƒ ƒ gegner ƒ ƒ befürworter ƒ ƒ interessenvertreter ƒ ƒ siedlervorstände behördenmitarbeiter ƒ ƒ verwaltung ƒ ƒ landratsamt ƒ ƒ führungsebene ƒ ƒ sachbearbeiter ƒ ƒ einflüsterer praxistipps 218

ablauf der kommunikation schritt für schritt zum erfolg argumentarium  daten & zahlen  argumente für das projekt  einwand-behandlung  faqs  quellen massnahmen mit zeitplan fakten zum projekt emotionen am standort fakten zum standort analyse umsetzung zielgruppen-matrix mit botschaften praxistipps 220

9.2. die strategie vor jeder kommunikation nach außen liegt klarheit nach innen. nach der analyse kennen sie ihren standort, wissen sie, wo sie stehen. wo wollen sie hin? mit wem? und wie schnell? klare ziele sind die herzkammer ihrer strategie. ihre ziele können vielfältig sein, oft liegt ein ganzes zielbündel vor. vielfältige kommunikationsziele einzeln oder zusammen als zielbündel  räume entwickeln  standort zur marke machen  nutzungskonzept entwickeln  bürgerbegehren verhindern  planungs- oder baurecht bekommen  bürgerentscheid gewinnen  vermarktungs- konzept entwickeln  mieter oder käufer finden  allgemeine akzeptanz erhöhen praxistipps 222

name darf keine falschen hoffnungen wecken. wenn sie ein wohnbaupro- jekt „düsseldorfer gärten“ nennen, stellt man sich eine anlage im grünen mit viel freiraum und verspielten gehwegen in einem schönen park vor. wenn in realität dann ein betonmoloch als wohnsilo entsteht, wird das spätestens mit veröffentlichung der pläne sichtbar. namen wecken vorstel- lungen. diese müssen zum projekt passen. als teil der strategie kann die namensfindung bereits teil der bürgerbeteiligung sein. online-abstimmun- gen oder wettbewerbe führen oft zu tollen vorschlägen. und zu emotionaler nähe. die menschen befassen sich auf positive weise mit dem vorhaben. „st 2071 neu“ oder „entlastungsstraße süd“? so nicht …  bebauungsplan 2061 / rost (rund um den ostbahnhof) besser  bebauungsplan 83b  neue mitte karlsfeld  werksviertel  st 2071 neu  entlastungsstraße süd  tiefgarage maximilianplatz  freiraum maximilianplatz  weißhorn energie  windpark neuburg nord  energiewende neuburg  pumpspeicherkraftwerk am weißhorn  gewerbegebiet innheim ­ südost  gründerzentrum innheim  förgerwiese neu  einkaufen am stadtpark  logistikzentrum an der ­ förgerwiese  nahversorgungsareal 2020 neu  zukunft amperhöhe  städtebauliche aufwertung ­ amperhöhe namen von vorhaben beispiele der umsetzung praxistipps 224

æ æ triebfeder der kommunikation: wer ist der sichtbare treiber des pro- jekts? redet die politik oder der vorhabensträger? wer koordiniert, formu- liert und setzt um? auch diese fragen müssen im vorfeld geklärt werden. es macht einen großen unterschied, ob ein bauträger der erste ist, der über die ansiedlung eines möbelmarktes öffentlich spricht oder ob es der bür- germeister tut. der absender des vorhabens führt bei den bürgern zu rück- schlüssen auf den nutzen. ist es unsere gemeinde, die das will, oder nutzt das nur einem spekulant und seinem geldbeutel? grundsätzlich ist es hilf- reich, wenn eine übergeordnete instanz, ein kommunales schwergewicht als triebfeder der kommunikation auftritt. das klappt aber nicht immer. und selbst wenn: sehr selten organisieren diese schwergewichte ihre kom- munikation selbst. man muss grundlagen schaffen, inhalte vorbereiten, botschaften formulieren. auch die frage, wer diese hintergrundarbeit leis- tet, muss strategisch erörtert werden. æ æ handlungsszenarien: was passiert wenn …? kommunikation ist immer ein bisschen glaskugel. nichts ist exakt vorhersehbar. aber vieles ist plan- bar. wer die kritischen wegabzweigungen im vorfeld genau durchdenkt, ist später besser vorbereitet. man sollte sich also rechtzeitig überlegen: was passiert, wenn ein bürgerbegehren gestartet wird? wie reagieren wir, wenn es plötzlich demos gibt? welche maßnahmen folgen auf die ersten positiven beschlüsse? für alle denkbaren optionen, sollten handlungsstränge durch- dacht werden. ob dann später alles anders kommt, ist völlig egal. das tut es sowieso immer. aber allein das durchdenken verschiedener optionen hilft, im entscheidenden moment nicht völlig blank da zu stehen, haltung zu bewahren und einen kühlen kopf. übersicht zu den zielgruppen: s. 218 praxistipps 226

vernetzen sie ihre maßnahmen und schaffen sie einheitlichkeit. achten sie gleichzeitig darauf, alle relevanten zielgruppen direkt und individuell anzusprechen. setzen sie auf persönliche kommunikation. gewonnen wird nicht mit schönen schlagzeilen – sondern mit echten gesprächen. wo sich menschen ernst genommen, gehört fühlen, informiert werden, dort sinkt das potenzial für widerstände. ihre möglichkeiten sind dabei vielfältig. achten sie auf die richtige dosis. manchmal reichen gespräche, woanders müssen sie das volle programm fahren. die platte ist je nach standort und je nach projekt sehr verschieden. persönliche gespräche … … sind die grundlage jeder politischen kommunikation. wer auf menschen zugeht, der gewinnt. das gilt für befürworter wie auch für gegner. nehmen sie sich genug zeit für diese gespräche! zwischen tür und angel kann man sensible vorhaben nicht vermitteln. auch der ort der gespräche muss be- wusst gewählt werden. darf jeder wissen, wer mit wem redet oder besser nicht? denken sie daran, alle relevanten unterlagen und pläne dabei zu haben. aber überfordern sie ihr gegenüber nicht mit zu vielen details und darstellungen. locker bleiben und laufen lassen. wie wenn sie sich mit guten freunden treffen. dialogkommunikation … … klingt kompliziert, ist aber unverzichtbar. denn jedes kommunikations- format muss dialoge begründen. ob es ein flyer ist, der die vorteile und nutzenwerte ihres vorhabens transportiert, oder ein anschreiben, mit dem sie die bürger zu einem info-abend einladen. integrieren sie überall einen impuls, der zu einem dialog führt: eine telefonnummer für rückfragen, eine mailadresse oder ein online-forum. alles, was dazu geeignet ist, mit ihnen in kontakt zu treten, muss fester bestandteil der verwendeten medien sein. denn oft reicht schon das gute gefühl – „die sind offen und wollen reden“, um eine positive grundstimmung zu erzeugen. denken sie immer auch an regelmäßig erscheinende formate: newsletter, info-briefe oder ein projektmagazin. je öfter es relevante inhalte zu veröffentlichen gibt, umso regelmäßiger können sie mit ihrer zielgruppe in kontakt kommen. dadurch bleiben sie mit ihrem vorhaben in erinnerung. und am puls. schaubild mit übersicht der kommunikationsmaß­ nahmen: s. 227 praxistipps 228

medien schlägt gnadenlos zu. denn das wohlwollen der einen redaktion führt schnell zu widersachern bei den wettbewerbern … events … … müssen zum vorhaben passen. möglich ist auch hier wieder alles: eine abrissparty, ein grillfest, ein info-stand, der erste spatenstich, ein work- shop mit interessengruppen. ein event muss immer auf ein ziel fokussiert sein. wen wollen sie erreichen? und was wollen sie erreichen? wenn viele menschen auf lockerer ebene mit eher flauen schönwetter-inhalten bespielt werden sollen, eignen sich wohl besser gesellschaftliche events mit musik, büfett und guter laune. wenn sie kritische oder konstruktive mitentschei- der einbinden wollen, brauchen sie ruhe, konzentration und vielleicht medi­ ation. diese beiden paar stiefel dürfen wir auf keinen fall mischen. wenn sie zum dialog laden, dürfen nicht grillwürste im mittelpunkt stehen, sondern gespräche. und umgekehrt. genauso auch die zielgruppen: wenn sie für ihre unterstützer ein motivationsevent planen, dürfen sie nicht zum gleichen anlass die kritiker zum krisengespräch laden. individuelle, kleine veranstaltungen können mehr wirkung haben als ein großes massenevent. visualisierungen … … geben dem vorhaben ein gesicht. denn der mensch ist ein augentier. alles geschrieben bewegt dieses augentier nicht so sehr wie bilder. und nicht nur bilder. auch filme, modelle, ganze räume prägen diese vorstel- lungswelt. ein vergleich: ein fünfstöckiges haus wird von gegnern als zu hoch kritisiert. was hilft mehr? eine fünfseitige, schriftliche begründung dieser bauhöhe oder ein modell – vielleicht sogar ein originalmodell mit- tels baugerüst? der mensch glaubt nur, was er sieht. geben sie ihm was zum anschauen. auch, wenn es mehr kostet, als text. das internet … … ist für immer mehr menschen zur wichtigsten informationsquelle ge- worden. überlassen sie dieses „hoheitsgebiet“ also nicht den anderen. je nach projektgröße ist es empfehlenswert, entweder eine eigene präsenz zu schaffen oder auf anderen plattformen präsent zu sein. das mindestmaß an aktivität ist immer: mitverfolgen, was zum thema online passiert. für praxistipps 230

9.4. direkte demokratie – eine anleitung als entscheidungsträger wählen die bürger ihre vertreter in die räte von deutschlands städten und gemeinden. bei über 11.000 dieser lokalen ge- bietskörperschaften gibt es dementsprechend weit über 100.000 politiker, die sich mit den belangen der kommunen beschäftigen. eigentlich genug personen, um politik zu machen – möchte man meinen. für immer mehr bundesbürger sind die entscheidungsprozesse im rahmen der repräsen- tativen demo­ kratie aber nicht mehr ausreichend. haben politische ent- scheidungen alle instanzen durchwandert, sind eigentlich keine großen kursänderungen mehr möglich. deshalb bleibt als letztes mittel der wahl oft nur mehr ein bürgerentscheid, um gesellschaftlich relevante anliegen politisch durchzusetzen. denn die instrumente direkter demokratie sind keine einbahnstraße: sie können auch ermöglichen, nicht nur verhindern. wenn die bürger beispiels- weise eine umgehungsstraße möchten, eine weitere kindertagesstätte oder ein freibad. am beispiel eines bauvorhabens im rahmen der bauleitpla- nung lassen sich die potenziale und möglichkeiten eines bürgerbegehrens gut darlegen. bis zum zeitpunkt der genehmigung durch den gemeinderat können gemeindepolitische entscheidungen durch den bürger noch beein- flusst werden. grundsätzlich gibt es zwei möglichkeiten, einen bürgerent- scheid herbeizuführen: das bürgerbegehren und das ratsbegehren. 1. bürgerbegehren eines vorab: vom bürgerbegehren zum bürgerentscheid ist es ein zeitin- tensiver weg. wer ihn beschreitet, sollte ausreichend zeit und eine ausge- prägte fähigkeit zum strategischen denken mitbringen. in bayern regelt artikel 18a der gemeindeordnung die rechtlichen rahmenbedingungen. um ein juristisch korrektes begehren an den start zu bringen, braucht es drei elemente. instrumente der ­ direkten demokratie sind keine ­ einbahnstraße. details zur direkten ­ demokratie: kap. 2 praxistipps 232

„schon seit jahren fordern die bürgerinnen und bürger unserer ortschaft eine richtige verkehrsberuhigung. denn die belastung durch lärm und feinstaub ist nicht mehr tragbar. vor diesem hintergrund und der tatsache, dass prog- nosen eine weitere zunahme des verkehrs voraussagen, fordern wir die ent- scheidungsträger in der gemeinde zum bau einer ortsumfahrung auf. damit wird dem wunsch einer großen mehrheit der bewohner rechnung getragen und die lebensqualität für alle menschen gesteigert. mit der ortsumfahrung denken wir auch an das wohl der zukünftigen generationen.“ schließlich gilt es, bis zu drei vertreter zu ernennen, um die unterzeich- ner des bürgerbegehrens amtlich zu repräsentieren. außerdem braucht es ebenso viele stellvertreter. sie sind die gesetzlichen ansprechpartner und fast immer auch diejenigen, von denen die initialzündung ausgegangen ist. alle vertreter und deren stellvertreter müssen mit namen und adresse auf dem sammelblatt angegeben werden. idealerweise handelt es sich hierbei um menschen mit einem hohen grad an selbstbewusstsein und mit der bereitschaft, sich öffentlich zu exponieren. eine person – am besten diejenige mit den größten kommunikativen fertig- keiten – sollte auch als sprecher der bewegung nach außen fungieren. für presse und medien ist es ungemein einfacher, mit nur einer person zu spre- chen, die in gegenzug auch klare und prägnante aussagen macht. mit der notwendigen portion an sensibilität gegenüber der externen kommunika- tion ist ein wichtiger schritt zu einem erfolgreichen bürgerentscheid getan. bereits von anfang an ist es von vorteil, möglichst viele bürger und un- terschiedliche gruppierungen auf seiner seite zu haben. verbände und vereine, die in kommune und landkreise aktiv tätig sind, politische par- teien und interessengruppen – mit solchen partnern an der seite gestaltet sich die umsetzung eines bürgerbegehrens wesentlich einfacher. in ihrem ­ umfeld können diese mitstreiter wertvolle informations- und überzeu- gungsarbeit leisten. ein umstand, der das sammeln der unterschriften deutlich erleichtert und in wesentlich kürzerer zeit die notwendigen unter­ schriften generiert. praxistipps 234

damit die notwendigen unterschriften möglichst schnell zusammenkom- men, müssen die partner des bürgerbegehrens miteinbezogen werden. verbände und vereine haben eine große reichweite. mit der mindestan- zahl sollte man sich übrigens auch nicht zufriedengeben. denn je mehr unterschriften man hat, desto stärker ist das signal an die öffentlichkeit und desto größer der politische druck, der aufgebaut wird. sind ausreichend viele unterschriften beisammen, kommt der moment der abgabe. zwar gibt es keine frist, wann sie im rathaus hinterlegt werden müssen, nichtsdestotrotz müssen taktische überlegungen miteinbezogen werden. denn mit der offiziellen abgabe wird ein institutioneller prozess mit klaren, rechtlichen vorgaben in gang gesetzt. nun gilt es, vorausschau- end zu denken und zu handeln. folgende fragen sollten bereits bei der ankündigung des bürgerbegehrens gestellt und geklärt werden: ƒ ƒ gibt es ein ratsbegehren seitens der gemeinde? ƒ ƒ wann ist ein potenzieller wahltermin? ƒ ƒ fällt der bürgerentscheid mit anderen wahlen zusammen, sodass die wahlbeteiligung beeinflusst werden kann? ƒ ƒ welche periodischen fixpunkte wie sommerferien, volksfeste oder fei- ertage müssen für wahlkampf und wahltermin berücksichtigt werden? genauso wie die ankündigung des bürgerbegehrens bietet es sich an, auch die abgabe der unterschriften im rathaus pressewirksam zu inszenieren. pressefotos vom moment, in dem der bürgermeister die listen in empfang nimmt, sind stark. denn sie signalisieren den bürgerwillen, der von der politischen mehrheit nicht vertreten wird. ein besonders heikler punkt wird an dieser stelle oft vernachlässigt. ab der einreichung der unterschriften darf der gemeinderat keine relevanten entscheidungen zum vorhaben, auf das sich das bürgerbegehren bezieht, treffen. davon betroffen sind auch eventuelle vollzugsentscheidungen zur gesamtheitlichen beziehungsweise teilweisen umsetzung projektbezogener maßnahmen. praxistipps 236

æ æ wird es im laufe einer politischen debatte immer wahrscheinlicher, dass es zu einem bürgerbegehren und einem bürgerentscheid kommt, kann man als gemeinderat handeln. man lässt sich entweder treiben und bereitet sich bestmöglichst auf den entscheid vor – oder man geht in die offensive, verab- schiedet ein ratsbegehren und nimmt somit den gegnern den wind aus den segeln. glaubwürdig ist man aber nur, wenn das ratsbegehren verabschiedet wird, bevor unterschriften für ein bürgerbegehren gesammelt werden. æ æ ein weiterer vorteil liegt darin, dass man genau planen kann, wann der bürgerentscheid stattfindet. das erleichtert die strategische planung des wahlkampfes. soll ein entscheid gleichzeitig an einem anderen, bereits festgelegten wahltermin (wie landtags- oder bundestagswahl) stattfinden, benötigt man in den meisten bundesländern eine vorherige erlaubnis des innenministeriums. mit einem ratsbegehren kann man also das zepter des handelns wieder übernehmen. aber vorsicht ist geboten: ein ratsbegehren führt in jedem fall zu einem bürgerentscheid – und den kann man auch verlieren. also ist ein starker rückhalt bei den bürgern zum geplanten projekt eine nahezu zwingende voraussetzung. aller guten dinge sind drei … was passiert, wenn zur selben frage sowohl ein bürgerbegehren als auch ein ratsbegehren initiiert wird? auch dieser fall ist möglich – und durch- aus nicht unwahrscheinlich. dann wird es zwei bürgerentscheide geben. um eine hohe wahlbeteiligung zu erreichen und den organisatorischen aufwand für die verwaltung gering zu halten, sollten beide abstimmungen möglichst an einem termin zusammengelegt werden. zwar kann es für jede frage einen eigenen stimmzettel geben, wahrscheinlicher ist jedoch einer. und auf dem wird es dann eng. als erste frage steht links immer der bür- gerentscheid, welcher zuerst vom gemeinderat beschlossen wurde. ein as- pekt, der psychologisch gesehen durchaus relevant ist, und deshalb in die planung miteinbezogen werden muss. daneben, auf der rechten seite, die frage zum zweiten bürgerentscheid. am unteren ende muss die sogenannte stichfrage stehen. denn zumindest theoretisch können beide entscheide auf denselben konsens kommen. bei der stichfrage muss sich der wähler festlegen, wofür er sich bei stimmengleichheit entscheidet. praxistipps 238

9.5. und plötzlich: wahlkampf! bei vielen projekten und vorhaben lässt sich eine eskalation bis hin zum bürgerentscheid vermeiden. durch intensive dialoge, aktive information und durch interessenausgleich kann widerstand schon im vorfeld abge- baut oder zumindest überschaubar gehalten werden. trotz aller anstren- gungen: nicht immer lässt sich ein bürgerentscheid verhindern! dann ist plötzlich echter wahlkampf. eine situation, die vorhabensträger oft nicht kannten. wahlkampf. heißt das: reden halten, interviews geben, flyer ver- teilen? wie geht so was? tatsächlich ziehen sich ideengeber oder investoren von projekten dann verschreckt zurück. wahlkampf soll doch die politik machen. wenn die uns nicht wollen, selber schuld. das ist mir zu heiß. wir halten uns da raus und warten erst mal ab. aber: nur nicht so schüchtern! wer nicht antritt, hat schon verloren. und wer das spiel anderen überlässt, steht schnell ver- lassen da. auch in wahlkämpfen wird nur mit wasser gekocht. nur mut! gute ideen sind gefragt. wer außerdem noch einige grundregeln beachtet, kommt dem wahlsieg schon deutlich näher. nahezu jeder wahlkampf lässt sich in drei hauptphasen einteilen, anhand derer wir die einzelaufgaben dann im anschluss erläutern wollen: „wer kämpft, kann ver­ lieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ bertolt brecht (1898 – 1956, deutscher lyriker ­ und dramatiker) drei wahlkampf-phasen anstieg der auseinandersetzung intensität vorbereitung kommunikation konfrontation praxistipps 240

mobilisierung statt medienecho den tag einer bundestags- oder landtagswahl spüren fast alle. je näher man an den wahltermin rückt, umso präsenter wird die abstimmung in allen überregionalen medienkanälen. diesen wahlen kann man sich kaum entziehen. und nur wer den wahltag kennt, wird den weg in die wahlka­bine finden. ohne medienecho – auch außerhalb der lokalpresse – können im umfeld kommunaler entscheidungen nur mäßige aufmerksamkeitswerte erreicht werden. klar, in kleinen gemeinden bekommt jeder mit, wenn ent- scheidungen anstehen. dort, wo menschen anonym leben, wo das interesse für örtliche ereignisse gering ist, fehlen kenntnis und relevanz des wahl- tages. die folge: betroffene und begünstigte nehmen teil – andere bleiben daheim. auch der wahlkampf zum wahltag wird dann schnell zum spielfeld des inneren zirkels einer kommune. zur insel der üblichen verdächtigen. 9.6. wahlkampf: vorbereitung für die vorbereitung von wahlkämpfen für bürgerentscheide bleibt oft nur sehr wenig zeit. nach dem einreichen des bürgerbegehrens mit unter- schriften oder nach dem beschluss für ein ratsbegehren muss innerhalb von drei monaten die abstimmung stattfinden. auch wenn angenommen werden darf, dass sich die meisten menschen erst kurz vor dem wahltermin mit dem thema befassen und eine entscheidung treffen, muss beachtet werden, dass meinungsführerschaft und rechtzeitige mehrheitsbildung wahlentscheidend sein kann. wer den anderen zu lange das feld überlässt, wird nachher kaum mehr wahrgenommen. und wer zu früh sein pulver verschießt, der schwächelt am schluss – wennʼs drauf ankommt. die vor- bereitungsphase muss also trotz zeitmangels eingeplant und konsequent vollzogen werden. oft reichen dafür ein bis zwei wochen, zum teil braucht es einen ganzen monat. praxistipps 242

immer wieder fehlen im team der unterstützer die erfahrenen wahlkämpfer und parteimitglieder. sofern keine möglichkeit besteht, diese zu aktivieren, muss das team zum start auch auf die grundlagen von wahlkämpfen vor- bereitet werden. nicht jeder tut sich leicht damit, am info-stand menschen direkt anzusprechen. nicht jeder hat das feingefühl für den unterschied zwischen wahlkampf und produktvertrieb. nicht jeder verteilt gern flyer in briefkästen. nicht jeder kommt mit anfeindungen zurecht. auf all das muss man das team sehr sensibel vorbereiten – sonst kann es nachher böse überraschungen und personelle verluste geben. manche pro-bewegungen vor bürgerentscheiden bringen außerdem die besonderheit mit sich, dass gruppierungen, die davor kaum berührungs- punkte oder vielleicht sogar eher konflikte miteinander hatten, plötzlich in einem boot sitzen. ungewollt. dann gilt es, die gegenseitige skepsis schnell und offen aufzuarbeiten, um auf eine gemeinsame arbeitsbasis zu kom- men. wenn zwei kontrahierende parteien zwar thematisch dasselbe wollen, heißt es noch lange nicht, dass sie es auch gemeinsam erreichen wollen. gefordert sind dann neutrale dritte, die den organisatorischen konsens aus dem inhaltlichen konsens heraus entwickeln. auch der sprecher und kopf der bewegung sollte dann nicht aus einer bestimmten richtung kommen, sondern besser unparteiisch sein. die argumente bürgerentscheide verkürzen themen auf eine einzige frage: ja oder nein? dass die folgen aber anschließend viel komplexer sind, müssen die aktiven wahlkämpfer schon vor dem start des wahlkampfes detailliert erarbeiten. was sind unsere argumente für das geplante vorhaben? wie reagieren wir auf die argumente der gegner? auch wenn darauf gerne einfache antwor- ten gesucht werden, ist es unausweichlich, sehr früh eine saubere inhaltli- che, argumentative basis zu schaffen. die erfahrung zeigt, dass es hilfreich ist, in folgenden schritten vorzugehen: 1. brainstorming: was spricht für unser vorhaben? wer profitiert? 2. zusammenfassung im „argumentarium“ 3. extrahieren der „zehn gründe für unser projekt“: kurz, knapp, knackig 4. festlegung der drei hauptbotschaften für die öffentlichkeitsarbeit 5. gegenüberstellung mit argumenten der gegner argumentarium: s. 214 praxistipps 244

der zeitplan wahlkämpfe für bürgerentscheide sind kurz. trotzdem oder gerade deshalb muss die zur verfügung stehende zeit exakt durchgeplant werden. einen muster-zeitplan gibt es dafür nicht – zu unterschiedlich sind lokale voraus- setzungen, themen und persönlichkeiten. mit einigen praktischen tipps wollen wir ihnen aber auch diese aufgabe gerne erleichtern. überlassen sie nichts dem zufall und erstellen sie einen umfassenden zeitplan. 1. markieren sie zunächst alle feststehenden termine: ƒ ƒ wahltag ƒ ƒ start der briefwahl ƒ ƒ freigabe der wahl-plakatierung ƒ ƒ ferien, feiertage, wochenenden ƒ ƒ lokale ereignisse, feste, sitzungen 2. verteilen sie dann ihre highlights – die besten zum schluss: ƒ ƒ medialer auftakt ƒ ƒ pressegespräche ƒ ƒ veranstaltungen ƒ ƒ diskussionsrunden ƒ ƒ aufmerksamkeitsstarke aktionen ƒ ƒ prominente botschafter, externe gäste 3. überlegen sie jetzt, wann werbemittel eingesetzt werden können: ƒ ƒ plakate, plakatwechsel ƒ ƒ broschüren, flugblätter ƒ ƒ hauswurfsendungen ƒ ƒ türhänger ƒ ƒ anzeigen ƒ ƒ tv- und radiospots 4. flankieren sie darum zum schluss die „must-haves“: ƒ ƒ info-stände ƒ ƒ hausbesuche ƒ ƒ pressemitteilungen ƒ ƒ website, facebook ƒ ƒ einzelaktionen praxistipps 246

auch von der größe der kommune, die über ein vorhaben per bürgerent- scheid abstimmt, hängt die höhe des notwendigen budgets ab. nicht nur, weil in einer großstadt mehr haushalte erreicht und mehr straßenzüge be- stückt werden müssen, sondern auch, weil mit zunehmendem wählerum- fang auch die möglichkeiten der persönlichen kommunikation abnehmen. dann gilt es, die verfügbaren mittel besonders effizient einzusetzen. und: je persönlicher, umso wirksamer. zeitungsanzeigen zum beispiel mögen hohe aufmerksamkeitswerte erzielen, ein individualisiertes anschreiben aber schafft ein deutlich höheres involvement. genau das brauchen sie, um nicht nur das oberflächliche interesse anzusprechen, sondern um die unterstützer für eine teilnahme am wahlgang zu aktivieren. bleibt noch die frage: wer soll das bezahlen? viele wahlkämpfe vor bür- gerentscheiden werden direkt durch den vorhabensträger finanziert. in manchen fällen gibt es einen zusammenschluss verschiedener institutio- nen, die in unterschiedlicher höhe zum gesamtetat beitragen. immer dann, wenn keiner direkt monetär profitiert, müssen überzeugte parteien und privatpersonen für die finanzierung der maßnahmen aufkommen. genauso wichtig, wie die planung des budgets ist demnach auch, die kommunikative vorbereitung dieser frage: wie reagieren wir auf presseanfragen? geben wir die höhe unserer ausgaben bekannt? gehen sie so transparent wie nötig und so diskret wie möglich mit diesem thema um. menschen mögen keine vertuscher. menschen mögen aber auch keine geldverschwendung. für laien sind solche summen zudem kaum greifbar – sie kennen die preis- strukturen für werbematerialien nicht. die viertel wo wohnen die freunde unseres vorhabens? wo die meisten gegner? oft lassen sich teilbereiche einer kommune herausfiltern, die die schwer- punkte der kampagne bilden sollten. wo menschen direkt vom projekt negativ betroffen sind, können sie sich zurückhalten. investieren sie ihre zeit sinnvoll bei dem geneigteren publikum. konzentrieren sie sich. einen gegner zu überzeugen, ist nicht nur zeitaufwendiger, sondern auch viel unwahrscheinlicher, als einen unterstützer zu mobilisieren. hüten sie sich in der bewertung der viertel aber vor trugschlüssen! die annahme, dass bereiche besonders geeignet sind, in denen eine der unterstützer-parteien bisher immer besonders stark oder eine gegner-partei besonders schwach praxistipps 248

9.7. wahlkampf: kommunikation politik ist kein produkt. genauso ist kommunikation für politik ganz anders als kommunikation für produkte. politik ist immer erklärungsbedürftig. warum brauchen wir ein neues rathaus? wem nutzt die geplante gewerbe- ansiedlung? wie verkraften wir das deutliche mehr an verkehr? kommuni- kation für politik erfordert immer aufmerksamkeit und involvement. denn projekte lassen sich nicht im vorbeigehen erklären, wirken selten auf den ersten blick. trotzdem brauchen wir auch in wahlkämpfen kommunika­ tive grundlagen, die den zugang zum wähler erst möglich machen. diese grundlagen wollen wir anhand der aida-regel verdeutlichen: attention mit allen maßnahmen im wahlkampf müssen sie aufmerksamkeit erzeu- gen. in der flut medialer informationen selektieren menschen gnadenlos aus. alles, was nicht sofort ins auge fällt, verfehlt den einzug in den wahr- nehmungsbereich. politische werbung darf sich selbst also nicht reduzie- ren auf texte und themen – sie muss prägnant sein, emotionen schaffen. geben sie ihrem projekt also einen ansprechenden namen, ihrer kampag- ne einen griffigen slogan und unterstreichen sie ihre botschaft mit einem merkfähigen logo. interest aufmerksamkeit allein reicht für politik aber nicht aus. während plakate für mode-marken oder kosmetik-labels jetzt schon ihr ziel erfüllt hätten, müssen wir jetzt nachlegen. nur wenn das interesse der zielgruppe tatsäch- lich erreicht wird, öffnet sie sich auch für die inhaltlichen argumente des absenders. was also sind die mehrwerte des projekts? welche positiven auswirkungen im direkten umfeld sind relevant? kurz, knackig und klar müssen diese hauptbotschaften platziert werden. desire sie haben erfolgreich das interesse der zielgruppe geweckt? dann müs- sen sie jetzt überzeugen. schaffen sie begehrlichkeiten und sprechen sie bedürf­ nisse an, die durch ihr vorhaben erfüllt werden. beste basis dafür praxistipps 250

wir unterscheiden drei maßnahmenbereiche: 1. persönliche kommunikation 2. massenmediale kommunikation 3. online-kommunikation 1. persönliche kommunikation an erster stelle steht nicht ohne grund die persönliche kommunikation. von ihr lebt eine politische kampagne. menschen überzeugen menschen. nicht broschüren oder plakate – sie sind nur die ergänzenden banden unse­ res politischen fußballplatzes. dialoge machen tore. nutzen sie dieses poten­ zial. auch wenn es oft mühsam erscheint – überlegen sie doch mal für sich privat: wählen sie das urlaubsland mit den schönsten prospekten und pla- katen oder reisen sie dorthin, wo sie von freunden ganz persönliche emp- fehlungen erhalten haben? die persönliche kommunikation bietet ihnen verschiedene möglichkeiten: æ æ hintergrundgespräche: die wichtigsten meinungsführer einer ­kommune müssen sie oder ihr team persönlich überzeugen. treffen sie sich dazu an einem ruhigen ort und exklusiv mit dem jeweiligen gesprächspartner. im dialog können sie die vorteile des projekts erläutern und fragen beant- worten. für ein solches hintergrundgespräch sollten sie rund zwei stun- den einplanen. achten sie auch auf ein gleichgewicht der beteiligten – sie sollten nicht in der unterzahl sein. die anderen aber auch nicht. intime runden ohne öffentlichkeit eignen sich auch, um bei widersachern und gegnern etwas „schärfe“ rauszunehmen. wer sich in die augen schauen kann und ein faires niveau findet, wird sich auch in der heißen phase nicht zerfleischen. æ æ zielgruppen-präsentationen: sind die möglichen unterstützer ihres projektes in gruppen organisiert, zum beispiel als sportverein oder feuer- wehr, können sie ihr vorhaben dort gemeinschaftlich präsentieren. mit einer kurzen darstellung der planung und der vorteile schaffen sie recht- zeitig informative mehrwerte. wenn in der anschließenden fragerunde dann positive rückmeldungen überwiegen, entsteht schnell ein wir-sind- dafür-gefühl, das nachher auch zweifler mitreißt. wichtig dabei: der vor- sitzende und die leitwölfe sollten vorab informiert werden und gesichert hinter dem projekt stehen. praxistipps 252

gespräch. für ein bürgertelefon brauchen sie nicht unbedingt feste sprech- zeiten. bieten sie es am besten „jederzeit“ als anlaufstelle für fragen an. aber natürlich nur, wenn auch immer wer erreichbar ist. æ æ veranstaltungen: nicht ganz so individuell, aber trotzdem eine gele- genheit zum persönlichen kontakt: veranstaltungen als wahlkampf-event. ihre möglichkeiten dabei sind vielfältig. von der reinen info-veranstaltung über die podiumsdiskussion bis hin zu themenlosen events. überall dort, wo menschen zusammenkommen, können sie ihre botschaften platzieren. legen sie dabei großen wert auf die örtlichkeit der veranstaltung. raus aus den hinterzimmern! wählen sie ungewöhnliche orte, die begehrlichkeiten wecken. schaffen sie anziehungspunkte. planen sie zielgruppengenau. denn: kommen nur ihre eigenen leute, können sie sich den abend schenken. æ æ telefon-aktionen: wo sie die menschen nicht in ausreichender zahl persönlich antreffen, kann das telefon helfen. vor allem kurz vor dem wahltermin können sie mit gezielten anrufen noch unentschlossene über- zeugen und unterstützer mobilisieren. ob sie dabei auf die mitgliederlisten der beteiligten gruppierungen und parteien zurückgreifen und dort anrufen oder ob sie das ganze telefonbuch einer kommune koordiniert durchtele- fonieren, hängt von der größe des teams ab. in kleinen gemeinden wirken solche anrufe eher unpassend – für größere gebietskörperschaften kann eine solche konzertierte aktion zum beispiel vor dem wahltag sinn ­machen. auch ketten-sms, die durch unterstützer im schneeballsystem weiter ver- teilt werden, erhöhen die aktivierung. beachten sie aber immer: ungebe- tene anrufe können auch zu gegenstimmen führen. 2. massenmediale kommunikation ihr projekt wird in einer 500-einwohner-kommune geplant? bürgermeister, gemeinderäte, pfarrer und feuerwehr-kommandant unterstützen ihr vor- haben? dann können sie das nächste kapitel locker überspringen. für alle anderen fälle gilt: persönliche kommunikation hat priorität. selten aber ge- lingt es, alle im direkten gespräch zu überzeugen. deshalb muss massenme- diale kommunikation – als sammelbegriff für alle formate, die sich gleich- förmig an mehrere menschen richten – die individuellen dialoge ergänzen. nicht ersetzen. folgende maßnahmen bieten sich für einen wahlkampf an: praxistipps 254

interessanten meldungen auch spannende fotomotive an. eine bloße ver- öffentlichung ihrer argumente wird irgendwann nicht mal mehr der dorf- anzeiger drucken. schaffen sie mediale ereignisse, ungewöhnliche bilder und aktuelle bezugspunkte. übrigens: leserbriefe nehmen oft randplätze in zeitungen ein – werden aber dennoch umfassend studiert. wer hat wel- che meinung? teile ich die? was denken andere? leserbriefe werden oft als spiegelbild der tatsächlichen bürgermeinung interpretiert. auch hier soll- ten sie den takt vorgeben, verfasser aktivieren und laufend berichte im sinne des projekts kommentieren. æ æ outdoor: menschen sind mobil. einen arbeitsweg, einkaufsweg oder spazierweg hat fast jeder. deshalb hat das plakat als älteste politische kom- munikationsform bisher noch jeden werbetrend erfolgreich überlebt. ob als großfläche, beleuchtetes poster oder beklebter holzständer – plakate schaffen aufmerksamkeit, vermitteln botschaften, transportieren emotio- nen. im vorfeld von bürgerentscheiden sind a0 - oder a1 -formate auf eige- nen ständern besonders geeignet. die meisten parteien verfügen über einen großen vorrat an holzständern. für diese flächen fallen bei eigener bekle- bung keine schaltkosten an. aber: halten sie sich an die fristen der kom- mune. meist darf man erst vier wochen vor der abstimmung flächende- ckend plakatieren. für größere bereiche empfiehlt sich die zusammenarbeit mit externem dienstleistern, die standorte kennen und plakatwechsel schnell erledigen. in kleinen gemeinden – wo man sich noch gegenseitig kennt – können gartenzaun-banner überzeugen. als sichtbare botschaft der unterstützer. vorsicht bei großflächen – sie wirken schnell protzig. die gestaltung der plakate hat eine maxime: wenig text bringt viel wirkung. kürzen sie radikal alles überflüssige, erklärende raus. eine botschaft, ein starkes bild für eine sekunde im schnellen vorbeifahren. wechseln sie nach maximal drei wochen das motiv. erstens verblassen die farben durch sonneneinwirkung, zweitens sieht man sich irgendwann satt. auch das schönste model mit dem flottesten spruch wird irgendwann langweilig. æ æ anzeigen: presseberichte werden in den meisten fällen nicht nur ihre statements und argumente liefern, sondern auch die der gegner. anzeigen bieten ihnen im selben umfeld, in derselben zielgruppe die möglichkeit, eigene informationen und botschaften zu platzieren. dafür gibt es zwei mög- lichkeiten: echte gekennzeichnete anzeigen, die ähnlich wie plakate und flyer mit reduziertem look, wenig text und starken bildern ausgestaltet praxistipps 256

gummibärchen landen sofort im magen, die tütchen im müll. ein kalen- der, block oder stift bleibt zu hause. bis zum wahltag. machen sie also keine großen geschenke, sondern lieber durch kreative gesten auf sich aufmerksam. für alle möglichkeiten der massenkommunikation gilt: schneidern sie ihre maßnahmen so individuell auf den ort zu, wie nur irgend möglich. der na- me der kommune muss sichtbar sein, typische gebäude und szenen. nur dann wird ihre kampagne als teil der gemeinschaft wahrgenommen, nur dann schaffen sie nähe. das gilt vor allem dann, wenn sie als ortsfremder investor auf sich alleine gestellt sind. lassen sie sich von den „hiesigen“ beraten und testen sie ihre ideen immer zuerst mit dem team vor ort an. 3. online-kommunikation wenn wir uns im dritten abschnitt nun der online-kommunikation in wahlkämpfen widmen, ist die grenze zur persönlichen kommunikation schon heute fließend. wo man „freunde“ online sammelt und sortiert, wo virtuell angestupst und gechattet wird, braucht man da noch echten austausch? auch wenn nähe und emotion verloren gehen – für die junge generation sind beide welten fast austauschbar. werben sie deshalb reell, aber auch virtuell. und setzen sie die richtigen prioritäten! in kleinen or- ten gilt: world wide web ist oft wahnsinnig weit weg. seien sie nah lieber dran! und nutzen sie die verzahnung aller formate. einige beispiele für online-maßnahmen: æ æ website: der klassiker in der digitalen kommunikation bleibt die eigene website. auch wenn der aufwand für einen monothematischen und kurzen wahlkampf eher hoch erscheint, dürfen sie dieses format keinesfalls ver- nachlässigen. klar, in einer kleinen kommune können sie vielleicht darauf verzichten. dort, wo sie aber nicht jeden persönlich kennen – und das ist fast überall so – brauchen sie auch online eine fundstelle für ihre argu- mente. ob sie die website mit einem baukasten einfach selbst programmie- ren oder mit einem profi entwickeln, ist vom budget abhängig. die gestal- tung sollte vereinheitlicht dem look von flyern, plakaten und weiteren formaten ähneln. ihre domain muss kurz und merkfähig sein, auf allen maßnahmen transportiert werden. damit schaffen sie synergien und geben interessierten vertiefende informationsmöglichkeiten. die website sollte alles kann, nichts muss: nutzen sie die online- maßnahmen, die sie wirk­ lich brauchen und mit ­ denen ihre zielgruppen erreicht werden. praxistipps 258

gestellt und im netzwerk geteilt. auch für social media brauchen sie klare verantwortlichkeiten: wer darf posten, wer beantwortet fragen, wer re- agiert auf kommentare? optimal ist ein team fleißiger tipper, die aus ihrer realen rolle mit ihrem eigenen profil schreiben. auf keinen fall: falsche profile anlegen. es kommt sowieso raus. und nehmen sie sich in acht vor dem „shitstorm“. manche gegner posten ganz bewusst rund um die uhr auf ihrer seite – das beschäftigt sie und hält von anderen aufgaben ab! also: „donʼt feed the troll“ – irgendwann ignorieren. oder sperren. æ æ diskussionsforen: vor allem lokale heimatzeitungen bieten auf ihren websites auch kommentarfunktionen in artikeln an. solche diskussions- foren, die zum teil auch von privatbürgern ins leben gerufen werden, soll- ten sie nicht nur beobachten, sondern ganz aktiv mitgestalten. wie bei leserbriefen sind das die spalten, die intensiv verfolgt werden. online ist der ton noch rauer – denn keiner muss mit echtem namen auftreten. seien sie trotzdem vorne mit dabei. kommentieren sie berichterstattungen zu ihrem projekt mit ihrem team als erstes. agieren statt reagieren. denn men- schen sind herdentiere. und schwimmen mit dem strom. geben sie der herde die richtung vor. wichtig: bleiben sie dabei immer fair und sachlich. halten sie auch ihre mitstreiter dazu an, mit echtem namen und durchweg höflich zu schreiben. æ æ online-anzeigen: banner-schaltungen im internet haben für wahl- kämpfe vor bürgerentscheiden zwei wesentliche vorteile: sie sind zielgrup- pengenau einblendbar und sie führen die user auf ihre seiten mit ungefil- terten infos zum vorhaben. in den meisten portalen lassen sich online-anzeigen auf einen bestimmten regionalen bereich begrenzt schal- ten. überlegen sie sich vorher, in welchem umfeld sie für ihr projekt wer- ben wollen. regionale portale, behördenseiten, nachrichtensites könnten sich besonders eignen. nicht jeder user wird ihr banner anklicken und weitergeleitet. bauen sie also – wie beim plakat – alle relevanten botschaf- ten kurz und knackig auf die vorhandene fläche. nicht selten kann man die banner so buchen, dass der inhalt beweglich ist und wechselt. das schafft aufmerksamkeit und die möglichkeit, kurze argumentationsketten unterzubringen. ein beispiel: banner a zeigt „lust auf zukunft in heimhau- sen?“, das folgende banner b antwortet „stimmen sie beim bürgerent- scheid mit ja“. sehr kleinteilig sind auch die angebote in facebook. dort können sie je nach präferenz, wohnort oder alter kleine banner einblenden praxistipps 260

und der wahltag selbst? ein ungeschriebenes gesetzt gebietet ruhe. ab öffnung der wahllokale sollten sie keine neuen maßnahmen mehr starten. ihre plakate bleiben natürlich stehen – beachten sie aber die bannmeile der kommunen rund um die wahllokale. eine gute möglichkeit der abschlie- ßenden mobilmachung sind türanhänger, die in der nacht zum wahltag angebracht werden. sonntags öffnet kaum wer seinen briefkasten. nutzen sie deshalb die türklinken für ihre letzte botschaft. danach gilt: abwarten und hoffen … was passiert danach? schließung der wahllokale, nichts geht mehr. jetzt wird ausgezählt. be- reiten sie auch den abschluss ihrer kampagne sorgfältig vor. schaffen sie einen treffpunkt für ihre unterstützer, entwickeln sie abgestimmte state- ments für die denkbaren wahlergebnisse und legen sie fest, wer wann spricht. sofern es einen zentralen sammelort aller beteiligten gibt – meist wird in das rathaus geladen, wägen sie den richtigen zeitpunkt ihres er- scheinens ab. es empfiehlt sich, die ersten trends abzuwarten und erst bei klarheit aufzutreten. bilder von erschrockenen oder hämischen gesichtern im wahllokal können sie damit vermeiden. in jedem fall gilt: einer muss hingehen. auch bei einer schmerzhaften niederlage müssen sie sich zei- gen. und als guter demokrat dem sieger fair gratulieren. wer die beleidigte leberwurst spielt oder nachtritt, verspielt seine chancen für einen zwei- ten anlauf oder für kompromisse. vergessen sie nicht, sich ordentlich bei ihren unterstützern zu bedanken – egal, wie die wahl ausgeht. danken sie auch ihren wählern – unabhängig davon, ob es die mehrheit war oder nicht. falls sie wahlsieger sind, nimmt der abend ohnehin seinen lauf. lassen sie sich davon treiben. und vermeiden sie hochnäsige siegerposen gegenüber den unterlegenen. sie wissen nie, wen sie nochmal brauchen für ihr projekt. praxistipps 262

9.9. zehn grundsätze für ihre kommunikation 1. glaubwürdigkeit: auf sie ist verlass. ihre aussa- gen sind korrekt. ihre versprechen werden eingehal- ten. sie sagen, was sie tun. von anfang an. 2. respekt: dem einzelnen und seiner meinung gegen­ über. das erwarten sie auch von ihrem gegen- über. auch wenn das niveau sinkt – sie bleiben oben. und fair. 3. klarheit: in ihren zielen und ihren vereinbarun- gen. manches muss man wiederholen. denn kommu- nikation ist das, was ankommt. bis es ankommt. 4. zurückhaltung: viele gespräche gehen nur die an, die dabei waren. undichte stellen gibt es immer. am besten wissen sie schon vorher, wo sie sind. 5. pro-aktiv: wer pro-aktiv kommuniziert, baut infor- mations-partnerschaften auf. halten sie den draht zu verantwortungsträgern und meinungsführern. dies erhöht ihre chancen, spart zeit, geld und nerven. praxistipps 264

merken  ermöglichen analyse eine analyse steht am anfang ­ jeder ­ kampagne. sie beschäftigt sich mit:  daten und fakten zum vorhaben.  möglichen argumenten und gegenargumenten, die eingesetzt werden können.  den beteiligten interessengruppen.  politischen rahmenbedingungen und den institutionellen prozessen.  medien und berichterstattung.  möglichen erfolgreichen referenzbeispielen, auf die im rahmen der debatte ­ bezug genommen werden kann. strategie  definieren sie klare ziele: sie verschaffen klarheit nach innen und erleichtern die kommunikation nach außen.  unterschiedliche zielgruppen verlangen nach unterschiedlichen formen und ­ instrumenten der kommunikation.  nutzen sie die professionelle hilfe von kommunikationsexperten. umsetzung  nach erfolgreicher analyse und strategie kann die umsetzung erfolgen: sie kann nicht rückgängig gemacht werden.  wählen sie den richtigen zeitpunkt: weder zu früh noch zu spät ist vorteilhaft.  maßnahmen müssen vernetzt werden und einheitlich sein. persönliche k­ ommunikation ist vorteilhafter. direkte ­ demokratie  grundsätzlich gibt es zwei möglichkeiten, einen bürgerentscheid herbeizu­ führen: das bürgerbegehren und das ratsbegehren.  beim bürgerbegehren muss zuerst eine klar formulierte und verständliche frage­ stellung erarbeitet werden. wurden genügend unterschriften gesammelt und eingereicht, prüft die gemeinde deren zulässigkeit.  beim ratsbegehren entfällt eine mühsame unterschriftensammlung. wenn der gemeinderat beschließt, eine sachpolitische entscheidung dem bürger vor­ zulegen, kommt es automatisch zum bürgerentscheid. 266

10. stark durch erfahrung 20 projekte aus der praxis lernen sie aus den erfahrungen, die andere gemacht haben. denn für die umsetzung von größeren projekten haben sie meist nur eine chance. wir haben 20 beispiele aus der praxis zusammengestellt: mehrheiten für oder gegen umstrittene projekte. mit und ohne bürgerentscheid. dazu als fazit jeweils unsere praxis- tipps  ikea ...................................................................................... case 01 loveparade in duisburg ........................................................ case 02 stuttgart 21 .......................................................................... case 03 dritte startbahn für münchen ............................................... case 04 xxxlutz ................................................................................ case 05 olympia-bewerbung ............................................................. case 06 naturstromspeicher gaildorf ................................................ case 07 kirche in magdeburg ............................................................. case 08 eschborner rathaus .............................................................. case 09 infineon ................................................................................ case 10 energieversorgung oberstdorf .............................................. case 11 hotel in bad wiessee ............................................................ case 12 allianz arena münchen ......................................................... case 13 heizkraftwerk ettringen ........................................................ case 14 einzelhandelszentrum traunreut . .......................................... case 15 werksviertel münchen .......................................................... case 16 neue mitte karlsfeld ............................................................. case 17 aldi gilching ........................................................................ case 18 campusbahn aachen ............................................................ case 19 lga überlingen ..................................................................... case 20 268  20 cases : projekte aus der praxis

65 prozent für ikea in taufkirchen wohnst du noch oder wählst du schon? das thema: das schwedische möbelunternehmen ikea mit weltweit 131.000 mitarbeitern und 328 filialen in 41 ländern plant 2001 ein neues einrichtungshaus in der gemeinde taufkirchen, direkt an der a8 richtung salzburg. das neue haus soll zur hälfte auf taufkirchner und zur anderen hälfte auf brunnthaler grund liegen. doch geg- ner befürchten ein zu großes verkehrschaos und die abrodung des bannwalds, auf dessen fläche das ikea-haus entstehen soll. auch umsatzeinbußen für den örtlichen einzelhandel werden von der gegeninitiative „bündnis für taufkirchen – gegen ikea“ aufgeführt. bauträger: ikea deutschland gmbh & co. kg baukosten: ca. 90 millionen euro eröffnung: 23. oktober 2003 01 270

sauerland 2004: 70.384 sauerland 2012: 21.557 duisburg stürzt sauerland ein bürgerentscheid gegen den bürgermeister das thema: am 24. juli 2010 sterben 21 menschen bei der duisburger loveparade, mehr als 500 werden verletzt. nahe dem hauptbahnhof drängen sich die massen durch den karl-lehr-tunnel, der für die veranstal- tung mit rund 250.000 besuchern einziger ein- und ausgang ist. massenpanik entsteht, viele werden zu boden gerissen und erdrückt. während kritik an bürgermeister adolf sauerland und an den ver- antwortlichen der loveparade geübt wird, weisen diese jegliche ver- antwortung von sich. sauerland verhält sich zudem unangemessen gegenüber den verletzten, spricht keine offizielle entschuldigung aus. gegen zahlreiche mitarbeiter der stadt wird ermittelt, gegen adolf sauerland selbst nicht. eine bürgerinitiative bündelt die ent- standene wut auf sauerland und stürzt ihn letztlich aus dem amt des bürgermeisters. 02 272

03 vorhabensträger: deutsche bahn inbetriebnahme: november 2019 kalkulierte kosten: 4,33 milliarden euro ja zu stuttgart 21 vom wutbürger zum mutbürger das thema: das verkehrs- und städtebauprojekt zur umgestaltung des stutt- garter hauptbahnhofs in einen unterirdischen durchgangsbahn- hof ist seit jahren höchst umstritten. der eingriff in das stuttgarter stadtbild ruft bei vielen bürgern missfallen hervor. das historische bahnhofsgebäude und teile des schlossgartens werden zerstört. die gegner kritisieren zudem den immensen kostenaufwand und die kostenbeteiligung der stadt stuttgart mit 200 millionen euro. im jahr 2010 beginnen während des abrisses des nordflügels „mon- tagsdemonstrationen“, an denen bis zu 10.000 menschen teilneh- men. einen unerfreulichen höhepunkt findet die protestbewegung im september 2011 mit dem einsatz von wasserwerfern ­ gegen eine schülerdemonstration. das projekt wurde bereits 1994 der ­ öffentlichkeit vorgestellt. 2011 kommt es zu einem volksentscheid auf landesebene, der zugunsten des projekts ausgeht. 274

04 bauträger: flughafen münchen gmbh baukosten: 1,2 milliarden euro neue jobs: ca. 11.000 bis 2025 keine dritte startbahn für münchen eine satte stadt will kein wachstum das thema: bereits 2005 wurden die pläne für eine dritte start- und landebahn am münchner flughafen im erdinger moos aufgenommen. progno- sen zur weiteren verkehrsentwicklung zeigten, dass der airport ­ohne ausbau keine ausreichenden kapazitäten haben wird. der flugha- fen stellt mit rund 30.000 beschäftigten den größten arbeitgeber in der region dar. trotzdem regt sich widerstand in der region. man fürchtet mehr lärm und einen verlust der heimat. ein kommuna- ler bürgerentscheid ist dort aber nicht möglich. die ausbaugegner ­sehen als letzten ausweg ein bürgerbegehren in münchen. denn die landeshauptstadt kann als gesellschafterin des flughafens ihr veto einlegen. mit erfolg. der ausbau des flughafens ist vorerst gestoppt. 276

05 bauträger: xxxlutz immobilien gmbh, wels, österreich architekt: rrp architekten, wien baukosten: ca. 65 millionen euro bauzeit: frühjahr 2008 bis herbst 2009 xxxlutz für aschheim auf leisen sohlen zum großen möbler das thema: der möbelgigant xxxlutz plant in aschheim eine filiale zu errich- ten. dabei wird das unternehmen von csu und freien wählern unterstützt. spd und bund naturschutz sind gegen den bau des möbelhauses, da es die ohnehin schon große verkehrsbelastung in aschheim noch verstärken werde. zudem werden ca. 45.000 qua­ dratmeter fläche mit beton und asphalt versiegelt. vor dem bürger­ entscheid fordert bürgermeister helmut englmann die bürger auf, am bürgerentscheid nicht teilzunehmen. auch vom unternehmen xxxlutz werden keine kommunikationsmaßnahmen eingesetzt. dies führt letztendlich zu einer sehr geringen wahlbeteiligung, einem nichterreichen des quorums und damit zum scheitern des bürgerbegehrens. 278

06 initiativen: olmypija und nolympia bewerbung: für olympische winterspiele 2018 und 2022 pot. mehreinnahmen: bis zu 3,4 milliarden euro 4:0 gegen olympia oberbayerns bürger wollen keine winterspiele das thema: für die olympischen winterspiele 2018 bewarben sich garmisch-­ partenkirchen, münchen und das gebiet vom königssee als aus- tragungsstätten. vor ort regt sich widerstand durch die initiative „nolympia“. beim bürgerentscheid im mai 2011 setzen sich aber die befürworter mit 55 prozent durch. zwar kann die bewerbung ab- gegeben werden – das olympische komitee vergibt die spiele aber nach südkorea. ein neuer anlauf findet für die winterspiele 2022 statt. diesmal können die bürger münchens und der drei teilneh- menden landkreise bereits vorab durch vier bürgerentscheide über die kandidatur abstimmen. die bündnisse beider seiten sind schnell wiederbelebt. letztlich gelang es der pro-bewegung nicht, die men- schen zu überzeugen. zu groß war die angst vor naturzerstörung und den finanziellen belastungen. letztlich führte wohl auch die ge- ringe wahlbeteiligung zur klaren niederlagen – in allen vier bürger­ entscheiden sprachen sich die menschen gegen die bewerbung aus. 280

07 projektentwickler: naturstromspeicher gaildorf gmbh & co. kg investitionssumme: ca. 40 millionen euro projektpartner: firma max bögl, neumarkt graf von pückler und limpurg‘schen wohltätigkeitsstiftung voith hydro, heidenheim ingenieurbüro alwin eppler gmbh & co. kg, dornstetten gamesa s.a., zamudio, spanien gaildorf will neue energie aber natürlich! 282

baukosten: bis zu 30 millionen euro bauzeit: ca. drei jahre das thema: ausgangspunkt des bürgerentscheids in magdeburg ist der stadt- ratsbeschluss im juni 2011, welcher zugunsten des wiederaufbaus der ulrichskirche ausfällt. diese wurde während ddr-zeiten 1956 gesprengt und soll nun laut dem „kuratorium ulrichskirche e. v.“ wiederaufgebaut werden. das kuratorium verspricht sich eine berei- cherung für das stadtbild sowie einen touristischen entwicklungs- schub für magdeburg. die kosten für das projekt trägt ein investor vollständig. nun bildet sich eine initiative, die protest gegen den wiederaufbau der ulrichskirche einlegt. man will die weitläufige grünfläche auf dem ulrichsplatz erhalten. magdeburg will keine kirche um gottes willen? 08 284

09 vorhabensträger: stadt eschborn architekten: ap plan stuttgart / berlin eschborn behält sein rathaus und alles bleibt beim alten das thema: die stadtverordneten-versammlung und das magistrat der stadt eschborn planen seit 2008 den abriss und den neubau des ortsan- sässigen rathauses. in voruntersuchungen zur beschaffenheit des gebäudes ergibt sich, dass ein neubau die wirtschaftlich sinnvolls- te lösung darstellt. nun bildet sich eine gegeninitiative, die den abriss und neubau des rathauses verhindern will. diese argumen- tieren, das rathaus sei zur hälfte erst 19 jahre alt, eine renovierung also ausreichend. zudem seien die kosten für die umgestaltung zu hoch. auch die anwohner seien durch den baulärm belästigt. das rathaus stelle zudem einen kulturhistorischen bezug zum früheren eschborn her. im april 2012 kommt es dann zum bürgerentscheid. das alte rathaus muss bleiben. 286

10 bauherr: moto objekt campeon gmbh & co. kg generalübernehmer: moto projektmanagement gmbh baukosten: ca. 500 millionen euro bauzeit: 1. mai 2004 bis 23. dezember 2005 infineon kommt nach neubiberg ganz ohne bürgerentscheid das thema: die infineon technologies ag ist weltweit der größte chiphersteller für leistungshalbleiter und verbucht jährlich einen jahresumsatz von rund vier milliarden euro. mit ihren produkten bieten sie ant- worten auf die drei zentralen bedürfnisse der modernen gesell- schaft: energieeffizienz, mobilität und sicherheit. infineon führt einen großteil ihrer standorte in münchen zusammen. geplant ist ein campus in der gemeinde neubiberg, der mit rund 240.000 quadratmetern geschossfläche platz für 9.000 mitarbeiter bieten soll. zudem sollen auf der insgesamt 62 hektar großen fläche eine parkanlage, ein see sowie verschiedene sport- und freizeitangebote errichtet werden. der bau wurde 2005 fertiggestellt. 288

11 vorhaben: energieversorgung oberstdorf gmbh baukosten: ca. 4,2 millionen euro eröffnung: 28. oktober 2011 wasserkraftwerk in oberstdorf erfolgreiche energiewende im allgäu das thema: nach 68 jahren denkt man im allgäuer wintersportort oberstdorf erstmals über eine erneuerung des wasserkraftwerkes am falten- bach nach. bis ein definitiver beschluss gefällt wird, ziehen noch- mals einige jahre ins land. 2003 beschließt die energieversorgung oberstdorf gmbh einen ausbau der bestehenden anlage. obwohl alle gutachten erstellt und eingereicht werden, formiert sich wi- derstand. der gemeinde werden die unterschriften von 1.600 kraft- werksgegnern übergeben: sie fürchten eine komplette trockenle- gung des faltenbaches. die politik schaut nicht tatenlos zu. um die bevölkerung von der wichtigkeit des neubaus zu überzeugen, setzt sie ein zeichen und beschließt ein ratsbegehren. nachdem der bür- gerentscheid zunächst aus formellen gründen verschoben werden musste, kommt es schließlich anfang 2008 zur abstimmung. ohne das nötige quorum zu erreichen, stimmt eine mehrheit der bürger für den neubau. dieses resultat wird von den verantwortlichen als zustimmung interpretiert: im juli 2009 wird mit den bauarbeiten begonnen. nach anfänglichen problemen kann das neue kraftwerk ende 2011 in betrieb gehen. dadurch deckt oberstdorf über 50 pro- zent seines energiebedarfs aus erneuerbaren quellen. 290

12 bauträger: travel charme hotel & resorts zimmer: 150 interior designer: lorenzo bellini bad wiessee kein haus am see? das thema: ein brachliegendes grundstück direkt am tegernsee, im malerischen bad wiessee: für die hotellerie ein äußerst attraktiver ort. auf dem gelände der ehemaligen spielbank soll ein hotel entstehen – das ist zumindest der wunsch der gemeinde, der das areal gehört. ein in- teressent ist schnell gefunden: die hotelkette travel charme möchte eine luxusstätte mit 150 zimmern errichten. doch so weit kommt es nicht: zu gewagt ist die architektur, zu groß der komplex für die heimat- und umweltschützer. die gegner waren dabei nicht per se gegen ein hotel. vielmehr gegen die als zu groß empfundene di- mensionierung und die „großstadtarchitektur“. bei den über 4.500 einwohnern konnten genug unterstützer für ein bürgerbegehren ge- wonnen werden. auch die gemeinde wurde aktiv und entschied sich für ein eigenes ratsbegehren. bei der gemeinsamen abstimmung im juni 2007 sprach sich schließlich eine mehrheit von über 55 prozent für das hotel aus. die hohe sensibilität des projekts blieb aber nicht ohne folgen. schlussendlich zieht sich der investor sowohl vom vor- haben als auch vom kaufvertrag zurück. 292

vorhaben: allianz arena münchen stadion gmbh baukosten: ca. 340 millionen euro das thema: ende der 90er jahre wird die idee geboren, ein reines fußballstadion für die zwei größten münchner vereine zu errichten. hintergrund: das denkmalgeschützte olympiastadion von 1972 entspräche nicht mehr den anforderungen des profi-fußballs. eine hitzige diskussi- on um die modernisierung des olympiastadions und den neubau ei- nes stadions entfacht. die „stadion-debatte“ spaltet die münchner, ministerpräsident edmund stoiber erklärt das thema zur chefsache. schließlich liegt das letzte wort bei den bürgern: beinahe zwei drit- tel stimmen für den neubau eines stadions in fröttmaning – der grundstein für die allianz arena wird gelegt. die münchner stadion-debatte der lange weg bis zum ersten tor in der allianz arena 13 294

14 bauträger: lang papier gmbh, ettringen baukosten: ca. 125 millionen euro papierfabrik lang ein heizkraftwerk spaltet ettringen das thema: die papierfabrik lang, tochterunternehmen des finnischen mylly- koski-konzerns, bringt mit dem geplanten bau einer müllverbren- nungs-anlage unruhe in die 3.500-seelen-gemeinde ettringen im unterallgäu. um ein altes schwerölkraftwerk außer betrieb zu neh- men, soll ein neues heizkraftwerk gebaut werden, das den zur pa- pierherstellung notwendigen dampf sowie strom erzeugen soll. das vorhaben der papierfabrik, mit rund 550 angestellten der größte arbeitgeber am ort, ist unter den einwohnern umstritten. viele ban- gen um ihre gesundheit und um die umwelt, andere wiederum um ihren arbeitsplatz. mehrere bürgerinitiativen schließen sich zum verein „gesundes wertachtal e. v.“ zusammen und fordern einen bürgerentscheid. im juni 2009 wird das bürgerbegehren mit 71 pro- zent klar abgelehnt – die mehrheit unterstützt damit das vorhaben der papierfabrik. die bürgerinitiativen kämpfen dennoch weiter. mit erfolg, denn im oktober 2011 gibt das unternehmen überraschend seine pläne auf. 296

15 bauträger: hellweg profi-baumärkte gmbh & co. kg, kaufland warenhandel gmbh & co. kg planungsumgriff: 35.670 quadratmeter 64 prozent stimmen für baywa & kaufland traunreut wählt zukunft das thema: zwei wochen nach landtags- und bundestagswahl traten die bürger der stadt traunreut im herbst 2013 erneut an die wahlurne. dabei lag es in ihren händen, im rahmen eines bürgerentscheids über den geplanten neubau eines baywa- und kaufland-marktes zu ent- scheiden. denn der bestehende baywa bau- und gartenmarkt in traunreut war nicht mehr zukunftsfähig, ein umbau zur modernisie- rung des marktes sowie zur vergrößerung des sortiments wurde als nicht durchführbar abgetan. die einzige lösung für einen modernen baumarkt war daher ein neubau. im rahmen des bürgerentscheids waren die wähler dazu aufgerufen, ihre stimme für ein rats- und bürgerbegehren abzugeben. die wähler entschieden sich dabei für die zukunft ihrer stadt: ein votum von 64,4 prozent der stimmen für das einzelhandelszentrum von baywa und kaufland zeigt deutlich, dass die traunreuter die kaufkraft in ihrem ort erhalten wollen und den renommierten baumarkt keinesfalls missen möchten. das erfor- derliche quorum von 20 prozent wurde mit 42,97 prozent weit über- troffen. die eröffnung beider märkte ist im frühjahr 2014 geplant. 298

vorhabensträger: corpus sireo asset management commercial gmbh, hamberger großmarkt gmbh, ivg investment gmbh, maltz verwaltungs gbr, münchner gesellschaft für stadterneuerung mbh, otto eckart gmbh & co. otec kg, r & s immobilienmanagement gmbh, ­ stadtwerke münchen gmbh baubeginn: voraussichtlich 2015 planungsumgriff: 380.914 quadratmeter von alten werken und neuen gebäuden ohne widerstand zum werksviertel münchen das thema: im münchner osten entsteht ein neues stadtviertel. einst prägten traditionsunternehmen wie pfanni und zündapp den standort. nun werden neubauten integriert und zum werksviertel münchen geformt. leitbild der planung ist die entwicklung eines urbanen stadtviertels mit starkem bezug zur geschichte. insgesamt acht eigentümer sind an der entwicklung beteiligt. am 25. oktober 2011 wird der bebauungsplan aufgestellt. das plangebiet ist mit 38 hek- tar eine der größten gestaltbaren und zusammenhängenden flä- chen im münchner stadtgebiet. rund 1.000 wohnungen, mehr als 10.000 arbeitsplätze sowie vielfältige kultur- und freizeiteinrich- tungen entstehen. schon früh werden politik, stadt und nachbarn integriert. ein eigener markenraum – das forum – veranschaulicht die planungen im detail und erläutert das konzept des projektes. mögliche widerstände sind bis dato nicht zu erwarten. 16 300

vorhabensträger: investa und hi wohnbau bebauung: rund 220 wohnungen, außerdem großflächiger einzelhandel und kleinteilige nahversorgung. bebauungsfläche: 2,2 hektar baubeginn: 2014 karlsfeld erhält ein lebendiges ortszentrum karlsfeld sagt ja! zur neuen mitte das thema: die gemeinde karlsfeld im landkreis dachau plant eine ­ortsmitte – 40 jahre lang. erst 2008 kann mit der umsetzung des bebauungs- plans „neue mitte karlsfeld“ begonnen werden. im zuge der wirt- schaftskrise stoppt der investor aber bereits 2009 die bautätigkeiten und zieht sich später ganz zurück. es bleibt eine 2,2 hektar große leere baugrube. neue investoren aus der region überarbeiten das bisherige konzept und legen den schwerpunkt auf wohnraum. zwei bürgerinitiativen und eine oppositionspartei stemmen sich gegen die neue planung und sammeln unterschriften für ein bürgerbegeh- ren gegen das projekt. nun reagiert die „schweigende mehrheit“: die befürworter der neuen mitte bringen sich als eigene gruppe in die diskussion mit ein. die gemeinde ihrerseits beschließt ein ratsbegehren. somit können beide bürgerentscheide am tag der bundestagswahl 2013 stattfinden – eine hohe wahlbeteiligung in- klusive. das ergebnis ist eindeutig: 57,2 prozent wünschen sich eine lebendige ortsmitte anstatt weiteren stillstand in karlsfeld. 17 302

bauträger: aldi gmbh & co. kg investitionsvolumen: ca. 30 millionen euro gilching lehnt aldi logistikzentrum ab der lange weg bis zur wahlurne das thema: der discounter aldi süd plant ein 49.000 quadratmeter großes lo- gistikzentrum zwischen gilchinger und gautinger flur zu errichten. im september 2010 beschließt jedoch der gemeinderat gilching, jeg- liche gewerbliche weiterentwicklung auf gilchinger flur südöstlich des bereits bestehenden gewerbegebiets zu verbieten. die folge: ­ aldi könnte das logistikzentrum nur auf gautinger flur bauen – erhebliche gewerbesteuereinnahmen sowie zahlreiche arbeitsplätze für gilching würden verloren gehen. in der bevölkerung regt sich rasch widerstand gegen das vorhaben. die bürgerinitiative „gil- ching gewinnt“ sammelt unterschriften für einen bürgerentscheid. nachdem im september 2011 der gilchinger gemeinderat das bür- gerbegehren für unrechtmäßig erklärt hatte, reicht die bürgerinitia- tive „gilching gewinnt“ im frühjahr 2012 klage ein. das bayerische verwaltungsgericht münchen erklärt daraufhin die rechtmäßigkeit des bürgerbegehrens. am 14. oktober 2012 sind nun die gilchinger bürger zur wahlurne aufgerufen. das ergebnis fällt eindeutig aus: beinahe zwei drittel stimmen gegen das logistikzentrum und stüt- zen damit die frühere entscheidung des gemeinderats. das aldi- logistikzentrum in gilching ist damit geschichte. 18 304

19 investitionsvolumen: ca. 170 millionen euro bürgerinitiative: keine campusbahn e.v. aachen sagt nein zur straßenbahnstrecke campusbahn gleich größenwahn? das thema: das verkehrsaufkommen wächst, die anzahl der studenten nimmt zu und busse sind bereits überlastet. die stadt aachen plant daher den bau einer „campusbahn“, um die bisherigen verkehrsmittel zu entlasten. die trasse soll 12,3 kilometer lang sein sowie klini- kum, campus und den stadtteil brand miteinander verbinden. mit 90-prozent-merhheit stimmen cdu, spd, grüne und linke für die straßenbahnlinie – ausgaben von 130 millionen euro für die bereits hoch verschuldete stadt mitinbegriffen. die bürgerinitiative „cam- pusbahn = größenwahn“ übt kritik und initiiert ein bürgerbegehren. letzten endes ermöglicht es der stadtrat selbst mit einem ratsbegeh- ren, die bürger entscheiden zu lassen. eigentlich soll der bürgerent- scheid den planern den rücken stärken – doch das gegenteil ist der fall. 66,3 prozent stimmen gegen das vorhaben und verpassen damit den stadträten eine ohrfeige. 306

20 architekt: relais landschaftsarchitekten blog: ueberlingen2020.de lga kommt an den bodensee überlingen feiert zwei mal das thema: 2020 ist für die schwäbische gemeinde überlingen gleich ein doppel- tes jubeljahr: zum einen feiert die stadt am bodensee ihr 1.250-jäh- riges jubiläum. zum anderen wird überlingen in diesem jahr die landesgartenschau ausrichten. so weit wäre es aber beinahe nicht gekommen. denn nicht alle bürger waren mit der wahl von über- lingen für die landesgartenschau einverstanden. die gegner positi- onieren sich im bereits bestehenden verein „bürgersinn“. in ihrem fokus der kritik standen die hohen öffentlichen ausgaben sowie eine potenzielle verkehrsbelastung durch die besucher. als alternative solle auf die austragung verzichtet werden und mit weniger kosten stattdessen einen bürgerpark gebaut werden. auch die befürworter der landesgartenschau formieren sich und gründen die initiative „wir für überlingen“. die gemeindepolitik reagiert ihrerseits früh auf die anstehende debatte – und verabschiedet ein ratsbegehren. deutliche 59,6 prozent stimmten beim bürgerentscheid im april 2013 für die austragung der landesgartenschau – die wahlbeteiligung betrug 51 prozent. mit dem blog ueberlingen2020.de begleitete die gemeinde den wahlkampf und bot allen bürgern eine transparente und öffentlichkeitswirksame plattform. 308

geschafft … fertig. jetzt wissen sie alles. jede frage ist beantwortet. nichts bleibt offen. das war unser anspruch beim einstieg in die grund- lagenarbeit für dieses buch. in den ersten tagen wurde allen mit- wirkenden klar: alles geht nicht. ein buch über politische öffent- lichkeitsarbeit kann immer nur eine umfassende bestandsaufnahme aller vorhandenen erkenntnisse sein. politik verändert sich täglich. die welt steht nie still. politik muss sich als allererstes mit neuig- keiten auseinandersetzen. ansprüche werden anders, bedürfnisse wandeln sich, interessen werden neu definiert. darauf muss politik reagieren. auch wir wollten reagieren. agieren. immer neues in das buch aufnehmen, aktuelle praxisbeispiele berücksichtigen – aber irgend- wann muss schluss sein. irgendwann soll das buch ja auch gelesen werden. trotzdem bleiben die veränderungen in der politik und die veränderungen rund um unser thema spannend – lesenswert. ­ darauf will ich ganz am schluss nochmals zu sprechen kommen. zunächst aber will ich herzlich danke sagen. mein dank gilt zu- nächst dem bayerischen innenminister joachim herrmann. er hat mich in vielen gesprächen über direkte demokratie und über kom- munale bürgerentscheide dazu ermutigt, meine erfahrungen der letzten jahre in einem buch zusammenzufassen und der öffentlich- keit zugänglich zu machen. das nun entwickelte kompendium konnte in dieser umfassenden form aber nur entstehen, weil sich weitere experten eingebracht haben. mit ihren beiträgen ergänzen sie meine ausführungen, die sicherlich stets aus dem blickwinkel eines kommunikators verfasst sind. ich danke lutz heese, joachim herrmann, peter issig, gerhard matzig, heinz mohr, arno reichert und ulrich schmid für ihre sehr wertvollen fachlichen und wissenschaftlichen impulse! 310 ermöglichen

anhang 11. anhang direkte demokratie in den ländern direkte demokratie ist ländersache – entsprechend verschieden sind die rahmenbedingungen für bürgerbegehren und bürgerent- scheide in den 16 deutschen bundesländern. in baden-württemberg sind bürgerbegehren und -entscheide bereits seit 1956 möglich, in berlin erst seit oktober 2005. bauleitverfah- ren sind in sieben von 16 bundesländern über bürgerbegehren und -entscheide beeinflussbar: in bayern, bremen, hamburg, nordrhein- westfalen, sachsen, sachsen-anhalt und thüringen. bürgerbegehren und -entscheide zu bauleitverfahren sind in neun von 16 bundesländern nicht möglich: in baden-württemberg, berlin, brandenburg, hessen, mecklenburg-vorpommern, rheinland-pfalz, niedersachsen, saarland und schleswig-holstein. einleitungs- und zustimmungsquorum sind von bundesland zu bundesland verschieden. nur in der hansestadt hamburg reicht bei bürgerentscheiden die einfache mehrheit. die bindung eines bürgerentscheids reicht von einem jahr – zum beispiel in bayern – bis zu drei jahren. im folgenden kapitel sind diese rahmenbedingungen für bürgerbe- gehren und bürgerentscheide alphabetisch nach den 16 deutschen bundesländern aufgeführt. 312 

baden-württemberg bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1956. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung ausgeschlossen. einleitungsquorum das bürgerbegehren muss von 10 % der bürger unterschrieben werden. in gemeinden von bis 50.000 ew: 2.500 unterschriften bis 100.000 ew: 5.000 unterschriften bis 200.000 ew: 10.000 unterschriften darüber: 20.000 unterschriften. zustimmungsquorum die mehrheit muss 25 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung drei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: gemeindeordnung für baden-württemberg, § 21, www.landesrecht-bw.de 314 anhang 

bayern bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1995. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung möglich. einleitungsquorum bei unterschriften von bis 10.000 ew: 10 % bis 20.000 ew: 9 % bis 30.000 ew: 8 % bis 50.000 ew: 7 % bis 100.000 ew: 6 % bis 500.000 ew: 5 % darüber: 3 % der bürger. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss bis 50.000 ew: 20 % bis 100.000 ew: 15 % darüber 10 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung ein jahr bindend, ein jahr kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: gemeindeordnung für den freistaat bayern, art. 18a www.servicestelle.bayern.de 316 anhang 

berlin bürgerbegehren und -entscheide möglich seit oktober 2005. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung ausgeschlossen. einleitungsquorum unterschriften von 3 % der bürger. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 15 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung keine abänderungssperre, keine initiativsperre. quelle: gesetz- und verordnungsblatt für berlin, § 45 bis § 49, www.berlin.de 318 anhang 

brandenburg bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1993. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung ausgeschlossen, ebenso planfeststellungsverfahren. einleitungsquorum unterschriften von 10 % der bürger. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 25 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung zwei jahre bindend. quelle: gemeindeordnung für das land brandenburg, § 20 www.mdje.brandenburg.de 320 anhang 

bremen bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1994. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung möglich. einleitungsquorum 20 % für die vorzeitige beendigung der wahlperiode oder für eine verfassungsänderung; 5 % für ein begehren auf beschlussfassung über einen gesetzesentwurf. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 20 % der stimmberechtigten darstellen, 50 % bei verfassungsänderungen. folgen und bindung neuer volksentscheid zum selben thema erst, wenn die bürgerschaft neu gewählt ist. quelle: landesverfassung der freien hansestadt bremen, art. 69-74 www.beck-online.beck.de 322 anhang 

bremerhaven* bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1996. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung möglich. einleitungsquorum unterschrift von 7,5 % der bürger. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 20 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung zwei jahre bindend, in der laufenden wahlperiode kein bürgerentscheid mehr zum selben thema. quelle: verfassung für die stadt bremerhaven, § 15b, www.bremerhaven.de *die kreisfreie stadt bremerhaven bildet mit der etwa 53 km südlich liegenden stadt bremen das bundesland (stadtstaat) „freie hansestadt bremen“. bremerhaven hat eine eigene gemeindeverfassung, die auch bürgerbegehren und -entscheide regelt. 324 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1998. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung möglich. einleitungsquorum 3 % der wahlberechtigten, in bezirken mit 300.000 ew und mehr reichen 2 %. zustimmungsquorum einfache mehrheit genügt. folgen und bindung wirkt wie ein beschluss der bezirksversammlung. abänderbar durch senat unter angabe der maßgeblichen gründe. quelle: bezirksverwaltungsgesetz hamburg, § 8a, www.landesrecht.hamburg.de hamburg 326 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1993. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung ausgeschlossen, mit ausnahme der aufstellung der bauleitpläne. einleitungsquorum in gemeinden von bis 50.000 ew: 10 % bis 100.000 ew: 5 % darüber: 3 % der bürger. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 25 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung drei jahre bindend, drei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: hessische gemeindeordnung, § 8b, www.rv.hessenrecht.hessen.de hessen 328 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1994. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung ausgeschlossen, ebenso planfeststellungsverfahren. einleitungsquorum unterschrift von 10 % der bürger in gemeinden bis zu 50.000 einwohnern. bei über 50.000 einwohnern genügen 4.000 unterschriften. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 25 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung zwei jahre bindend, zwei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: kommunalverfassung für das land mecklenburg-vorpommern, § 20 www.landesrecht-mv.de mecklenburg-vorpommern 330 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1996. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung ausgeschlossen, ebenso planfeststellungsverfahren. einleitungsquorum unterschriften von 10 % der bürger. region hannover 48.000 unterschriften. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 25 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung zwei jahre bindend, zwei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: niedersächsisches kommunalverfassungsgesetz , § 32 www.jkr.jura.uni-osnabrück.de niedersachsen 332 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1994. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung möglich. einleitungsquorum in gemeinden bis 10.000 ew: 10 % bis 20.000 ew: 9 % bis 30.000 ew: 8 % bis 50.000 ew: 7 % bis 100.000 ew: 6 % bis 200.000 ew: 5 % bis 500.000 ew: 4 % darüber: 3 % der bürger. zustimmungsquorum bis 50.000 ew: 20 % bis 100.000 ew: 15 % darüber 10 % der bürger. in kreisen: bis 200.000 ew: 20 % bis 500.000 ew: 15 % darüber 10 % der bürger. folgen und bindung zwei jahre bindend, zwei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: gemeindeordnung für das land nordrhein-westfalen, § 26 www.recht.nrw.de nordrhein-westfalen 334 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1994. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung ausgeschlossen, ebenso ­ planfeststellungsverfahren. einleitungsquorum das bürgerbegehren muss von 15 % der bürger unterschrieben werden. in gemeinden bis 50.000 ew: 3.000 bis 100.000 ew: 6.000 bis 200.000 ew: 12.000 darüber: 24.000 unterschriften der zur letzten gemeinderatswahl zugelassenen bürger. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 20 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung drei jahre bindend, drei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: gemeindeordnung für das land rheinland-pfalz, § 17a http://landesrecht.rlp.de rheinland-pfalz 336 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1997. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung ausgeschlossen,ebenso ­ planfeststellungsverfahren. einleitungsquorum das bürgerbegehren muss von 15 % der bürger unterschrieben werden. erforderlich sind in gemeinden bis 20.000 ew: 2.000 unterschriften bis 40.000 ew: 4.500 unterschriften bis 60.000 ew: 7.500 unterschriften darüber: 18.000 unterschriften. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 30 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung zwei jahre bindend, zwei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: kommunalselbstverwaltungsgesetz saarland, § 21a http://sl.juris.de saarland 338 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1993. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung möglich. einleitungsquorum unterschriften von 15 % der bürger; kann herabgesetzt werden auf mindestens 5 %. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 25 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung drei jahre bindend, drei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: gemeindeordnung für den freistaat sachsen, § 24 www.saxonia-verlag.de sachsen 340 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1993. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung möglich. einleitungsquorum 15 % der wahlberechtigten bürger, jedoch in gemeinden von bis 20.000 ew: 1.500 bis 50.000 ew: 3.000 bis 100.000 ew: 5.000 darüber: 10.000 unterschriften. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 25 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung ein jahr bindend, drei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: gemeindeordnung für das land sachsen-anhalt, § 25-26 www.landesrecht.sachsen-anhalt.de sachsen-anhalt 342 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1990. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung ausgeschlossen. einleitungsquorum unterschrift von 10 % der bürger. zustimmungsquorum die jeweilige mehrheit muss 20 % der stimmberechtigten darstellen. folgen und bindung zwei jahre bindend, zwei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: gemeindeordnung für schleswig-holstein, § 16c www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de schleswig-holstein 344 anhang 

bürgerbegehren und -entscheide möglich seit 1993. bürgerbegehren und -entscheide zur bauleitplanung möglich. einleitungsquorum das bürgerbegehren muss von 20 % der bürger unterzeichnet werden. zustimmungsquorum in gemeinden bis 10.000 ew: 20 % bis 50.000 ew: 15 % darüber: 10 % der bürger. folgen und bindung zwei jahre bindend, zwei jahre kein bürgerentscheid zum selben thema. quelle: thüringer gemeinde- und landkreisordnung, § 17, www.th.juris.de thüringen 346 anhang 

index a agenda setting 174 aida-regel 250 argumentarium 214 asiatisierung 207 aufstellungsbeschlusses 60 auslegungsbeschlusses 60 b bebauungsplan 57 blogs 157 budget 247 bürgerbegehren 88, 232 bürgerbeteiligung 106 bürgermeister 38 bürgermeisterverfassung 35 c compliance 163 d digitalisierung 202 direkte demokratie 106 e einleitungsquorum 95 europ. bürgerinitiative 81 europ. kommission 31 europ. parlament 82 f feststellungsbeschluss 60 flächennutzungsplan 55 freiraumkonzept 52 g gemeinderat 38 gemeindl. bauleitplanung 54 globalisierung 205 gutachten 151 i individualismus 187 individualität 187 j journalisten 155 k kollektive ­entscheidungen 111 komm. selbstverwaltung 33 konsenstheorie 185 l landesentwicklungsplan 48 lobbyisten 158 m magistratsverfassung 35 mediale berichterstattung 119 meinung 172 meinungsforschung 180 mobilisieren 261 motivation 118 muster-zeitplan 246 348 anhang index 

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